Brief an SPD-Delegierte: Antrag „Solidarität mit Rojava“ annehmen

Auf dem Bundesparteitag der SPD am 9. Mai werden die Delegierten gebeten, über einen Antrag des Berliner Landesverbands mit dem Titel „Solidarität mit Rojava“ zu entscheiden. Die Konföderation der Gesellschaften Kurdistans in Deutschland e.V. (KON-MED) hat nun eine Initiative gestartet und legt in einem offenen Brief an die SPD-Delegierten Gründe dafür dar, warum hierzulande lebende Kurd:innen diesen Antrag wichtig finden. Denn Integration, gesellschaftliche Partizipation und gegenseitige Akzeptanz könne in Deutschland als Migrationsland nur dann funktionieren, wenn die politisch Verantwortlichen auch eine Sensibilisierung hinsichtlich der Sorgen, Ängste und Probleme der hier lebenden Gesellschaften aufwiesen und diese ihnen gegenüber auch demonstrieren.

„Leider hat sich seit dem Beschluss des Antrags im November 2019 an der Situation in Rojava nichts geändert. Weiterhin betreibt die Türkei einen vollkommen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die in der ‚Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien – Rojava’ zusammengeschlossenen Autonomiegebiete in Nordsyrien. Das erklärte Ziel der Türkei ist dabei weiterhin die von den kurdischen Selbstverwaltungsorganen geschaffenen an Basisdemokratie, lokaler Selbstbestimmung, politischer und sozialer Gleichstellung von Frauen und Männern sowie interethnischer, interreligiöser und interkultureller Koexistenz orientierten Strukturen zu zerstören.”

Kurd:innen haben auch Europa vor IS-Terror bewahrt

Eben diese Kurd:innen und die von ihnen aufgebauten Strukturen und Kampfeinheiten sind es gewesen, die den Islamischen Staat (IS) bezwungen haben und diesen bis heute mehr oder weniger unbeachtet von der Weltgemeinschaft aus eigener Kraft in Schach halten. Der Kampf gegen den IS hat auf kurdischer Seite 12.000 Opfer gefordert, heißt es in dem Schreiben. Dadurch sei Rojava zu einer „Insel der Sicherheit” für die Menschen aus der gesamten Region geworden. Bis heute sind 25 Prozent der Einwohner:innen Flüchtlinge aus allen Teilen Syriens und dem Irak. Vor allem für die vom IS aus Şengal vertriebenen Ezid:innen sei Rojava der einzige Zufluchtsort, an dem sie sicher vor Übergriffen und Diskriminierung leben könnten. Auch die Menschen in Europa lebten dank dem Einsatz der Kurd:innen wesentlich sicherer, „schließlich wurde durch die Zurückdrängung des IS die Gefahr des islamistischen Terrorismus auch in Europa stark minimiert”.

Türkische Angriffe destabilisieren gesamte Region

Die Angriffe der Türkei und der mit ihr gemeinsam operierenden islamistischen Söldnergruppen richten sich aber nicht nur gegen das Leben der Menschen in Rojava, hält KON-MED weiter fest. „Sie destabilisieren die gesamte Region und verhindern das friedliche Zusammenleben der Menschen im Nahen Osten. Das türkische Militär und seine zwielichtigen Verbündeten greifen gezielt zivile Infrastruktur an, immer wieder werden Zivilist:innen, Bürgerrechtler:innen oder Aktivist:innen der Frauenbewegung gezielt durch Drohnenangriffe getötet. Oftmals werden bei den Angriffen IS- Kämpfer aus der Gefangenschaft befreit. Genauso perfide wie der Angriffskrieg ist jedoch das Embargo, welches willkürlich von der Türkei als Druckmittel gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird. Davon sind Bedürfnisse des täglichen Lebens ebenso betroffen wie lebensnotwendige Medikamente und Material zur medizinischen Versorgung. So konnten bis heute keine Schutzmasken und Impfungen gegen COVID-19 nach Rojava durchkommen. Auch die Wasserversorgung wird regelmäßig von der Türkei blockiert, eigene, selbst aufgebaute Strukturen zur Wasserversorgung werden gezielt zerstört.”

Mahnende Worte reichen nicht

Europa und Deutschland als wichtigster Partner der Türkei dürfe dem eigenmächtigen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei in Rojava und Südkurdistan/Irak nicht länger schweigend zusehen. Wie auch in dem Antrag formuliert, reichten mahnende Worte und der Verzicht auf einige paar kleinere Waffendeals nicht aus, um einen wirksamen Einfluss auf die Türkei auszuüben. Die SPD als Partnerin in der Regierungskoalition sei mitverantwortlich für die Außenpolitik Deutschlands. Vor diesem Hintergrund würde die Annahme des Antrags durch den Bundesparteitag auch ein deutliches Zeichen an Außenminister Heiko Maas sein, sich wie darin gefordert dafür einzusetzen, „die Handlungsstrategien der deutschen Politik gegenüber der Türkei und dem gesamten Nahen und Mittleren Osten“ grundlegend zu verändern „und an humanitären Idealen orientiert“ neu zu formulieren. Die deutsche Politik dürfe nicht länger „deutsche und europäische geostrategische Interessen auf Kosten von geflüchteten Menschen“ durchsetzen.

Annahme wichtiger Schritt für Neuausrichtung deutscher Außenpolitik

„In Deutschland leben mehr als eine Millionen Kurdinnen und Kurden, ein großer Teil von ihnen sind deutsche Staatsbürger:innen, wahlberechtigt und verfolgt das politische Geschehen in Deutschland mit großem Interesse. Dabei stellen die Ereignisse in ihrer Heimat und die Rolle der deutschen Politik einen der wichtigsten Punkte auf der politischen Agenda. Die Annahme des Antrags ist dadurch nicht nur ein wichtiger Schritt in Richtung einer Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik, sondern auch ein deutliches Signal an die hier lebenden Kurd:innen, dass es die SPD ist, die sich für Frieden und eine nachhaltige Konfliktlösung in ihrer Heimat einsetzt.” 

Schreibe einen Kommentar