Das große Scherbensammeln – Wende der türkischen Außenpolitik?

Erdogan_putinCivaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 29.06.2016

Die Türkei ist in diesen Tagen bemüht darum, ihr stark beschädigtes Image auf internationaler Bühne aufzupolieren. Nachdem im Jahre 2010 die Beziehungen zu Israel aufgrund des „Mavi-Marmara“-Vorfalls zum Stillstand kamen, die Beziehungen zur EU trotz des Flüchtlingsdeals  eher von Differenzen als durch Harmonie geprägt sind und man mit den USA aufgrund der Syrienpolitik in einen Widerspruch geraten ist, versucht der türkische Staatspräsident Erdogan und sein Ministerpräsident Yildirim „alte Freunde“ zurückzugewinnen. Insbesondere bemüht man sich zur Verbesserung zu den Beziehungen zu Israel und Russland.

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim erklärte vergangenen Mittwoch, dass sie bereit seien, eine Entschädigungszahlung an Russland zu zahlen. Yildirim versuchte klar zu stellen, dass „beide Seiten“ Initiative ergriffen haben und das Problem auf diese Weise ein „gutes Ende“ genommen habe. „Wir werden die letzten 6 Monate als nicht passiert verstehen“ erklärte der Ministerpräsident. Allerdings revidierte Yildirim diese Aussage später und stellte klar, dass von Zahlung keine Rede sei.

Yildirim ging auch die jüngsten Annäherungen zu Israel ein und behauptete, dass Israel das Gaza-Embargo aufheben werde. „Wir hatten drei Forderungen – Entschuldigung, Entschädigung und das Ende des Gaza-Embargos“ sagte Yildirim und behauptete, dass alle drei Forderungen erfüllt worden seien.

Die Beziehungen zu Russland

Die türkische Luftwaffe hatte im November vergangenen Jahres einen russischen Bomber abgeschossen. Die erste Reaktion des türkischen Staatspräsidenten Erdogans war klar und deutlich – Man sehe sich im Recht und es gäbe keinen Grund, sich für den Vorfall zu entschuldigen. „Wenn es jemanden gibt, der sich zu entschuldigen hat, dann sind das diejenigen, die unseren Luftraum übertreten haben“, sagte Erdogan damals und fügte hinzu, dass sie ihre Reaktion wiederholen würden, wenn erneut ein Flugobjekt ihren Luftraum betreten würde. „Den Befehl zum Abschuss erteilte ich“, unterstrich Staatspräsident Erdogan damals gegenüber der Presse.

Der Abschuss des Militärflugzeugs brachte die Beziehungen beider Länder auf den Nullpunkt. Russland verbot alle Importe aus der Türkei und rief seine Staatsbürger auf, die Türkei als Reiseziel zu meiden, infolgedessen der russische Tourismus um insgesamt 92% fiel.

Die ersten Anzeichen eines Wandels der türkischen Russlandpolitik deuteten sich dann Anfang dieses Jahres an. Erdogan sprach davon, dass Russland die Beziehungen zur Türkei „wegen zwei Piloten leider aufgebe“ und „einen Freund wie die Türkei“ verliere. Der Kreml bestand allerdings auf seine Forderungen.

Anfang Juni dieses Jahres schickten Erdogan und Yildirim an ihre russischen Amtskollegen einen Brief anlässlich des „Tages der russischen Nation“, in welchem sie zu dem Feiertag gratulierten und ihre Hoffnung auf eine Verbesserung der Beziehungen zu Worte brachten. Im selben Brief soll Erdogan sich auch bei der Familie des verstorbenen Piloten entschuldigt haben.

Russland: eine einfache Entschuldigung reicht nicht

Der ehemalige Vorsitzende des russischen Parlamentsausschusses für auswärtige Angelegenheiten Konstantin Kosachev betonte in einer Rede, dass eine Entschuldigung seitens der Türkei nicht ausreiche. „Wir erwarten von der Türkei, dass sie aufhört terroristische Organisationen in Syrien und dem Irak zu unterstützen“, forderte Kosachev und erklärte, dass die wirtschaftlichen Sanktionen für die Umkehr des türkischen Staatspräsidenten von seiner vorherigen Haltung geführt haben

Die Beziehungen zu Israel

Die traditionell guten Beziehungen der Türkei zu Israel sind nach dem „Mavi-Marmara“-Vorfall Ende Mai 2010 in eine Krise geraten. Das Passagierschiff, welches sich an der „Ship-to-Gaza-Konvoi“ beteiligte, wurde von israelischen Soldaten auf internationalen Gewässern geentert. Dabei kamen insgesamt neun Menschen ums Leben. Erdogan, damals noch Ministerpräsident, erklärte, es werde „niemals eine Normalisierung [der Beziehungen zu Israel] geben, solange ich im Amt bin“.

Nachdem sich Israel bereits 2013 bei der Türkei entschuldigte, geht Israel jetzt auch auf Forderungen der Türkei nach Entschädigungszahlung ein. Allerdings wird das Gaza-Embargo entgegen Behauptungen der türkischen Seite, nicht gelockert, sondern Israel erlaubt der Türkei die humanitäre Hilfe über den Hafen Ashdod.

Israel: Das Embargo wird bleiben

Auch israelische Bürokraten erwähnten, dass die Lockerung des Gaza-Embargos „kategorisch abgelehnt“ wurde und dass es lediglich eine Übereinkunft zur humanitären Hilfe gäbe. Der Bürokrat erklärte auch, dass sie die Schließung eines Hamas-Büros in Istanbul Teil des Paktes sei. Ferner habe sich die Türkei in einem Brief dazu verpflichtet, die Vermittlerrolle für die Befreiung von zwei israelischen Geiseln, die sich in der Hand der Hamas befinden, einzunehmen.

Bloß das eigene Gesicht nicht verlieren

Die türkische Seite versucht die gesamte Situation als „gegenseitige Annäherung“ zu beschreiben. Betrachtet man die regierungsnahen Medien, spricht man nicht von einer „Entschuldigung“, sondern von einem „es tut mir Leid“ Erdogans. Der Pressesprecher Erdogans betonte in einer Erklärung, dass Erdogan „sein tiefes Mitleid“ ausdrückte und von einer Entschuldigung keine Rede sei.

In den gleichen Medien wird die Annäherung an Israel als „Sieg für Palästina“ präsentiert. Die türkische Seite ist um Imagepflege bemüht und stellt die Situation so dar, als wäre Israel auf alle Forderungen der Türkei eingegangen.

Diese Annäherungen machen deutlich, dass die Türkei unter Erdogan mit ihrer bisherigen Politik in eine tiefe Sackgasse in der internationalen Diplomatie geraten ist und deshalb nun verzweifelt nach Auswegen und Annäherungen sucht. Allerdings fällt es ihr hier sehr schwer, das zu tun, ohne das Gesicht vor der eigenen Bevölkerung zu verlieren. Deswegen präsentiert sie scheinbar Ergebnisse der Annäherungen in der Öffentlichkeit anders, als das tatsächlich der Fall ist.

Als nächstes stehen Ägypten und Syrien an

Betrachtet man diese Annäherungen, ist deutlich zu erkennen, dass die türkische Außenpolitik eine Wende durchmacht. So möchte man zu der anfänglichen Idee der „Null-Probleme-Politik“ mit den Nachbarstaaten zurückkehren. Erste Pressemeldungen, wonach eine „Normalisierung“ mit Ägypten, dessen Präsident Erdogan nicht anerkannte, stattfinden werde, wurden schon veröffentlicht. Denkbar ist auch, dass die Türkei ihre Syrienpolitik ändert und sich dem Regime annähert.

Ausgang ungewiss

Wie sehr diese Wende der Türkei nutzen wird, ist umstritten. Beispielsweise wird die Türkei und die AKP Russland als Akteur in Syrien offiziell anerkennen müssen. Auch wird sie ihren Anti-Israel-Kurs nicht mehr fortsetzen können. Die Unterstützung der Muslimbrüder kann mit der Wende in der Ägyptenpolitik wohl auch als beendet erklärt werden. Die Frage über die Beziehung zur EU und den USA bleiben weiter offen.