Das PKK-Verbot: Eine Fortsetzung der Ungerechtigkeit gegen die Kurd*innen (Teil 1)

Im November haben zahlreiche Intellektuelle, Philosoph*innen, Jurist*innen, Parlamentarier*innen, Schriftsteller*innen und Aktivist*innen eine Kampagne im Rahmen der Initiative „Justice for Kurds“ gestartet: Die Kampagne zur Streichung der PKK [Arbeiterpartei Kurdistans] von der sogenannten Terrorliste.

Das Verbot und die Auflistung der PKK auf der Liste ist nicht nur eine Haltung gegen eine politische Partei, sondern gegen eine Bewegung, die zur Stimme der Kurd*innen, eines unterdrückten Volkes, geworden ist. Die PKK ist also keine Partei im klassischen Sinne, sondern eine kurdische Rebellion und Revolution. Sie wird daher oft als der 29. kurdische Aufstand der Neuzeit bezeichnet. Hinter dem Verbot der PKK oder ihrer Einordnung in die Liste der “terroristischen Organisationen” verbirgt sich das nackte Unrecht gegen die kurdische Bevölkerung.

Die Ungerechtigkeit gegen die Kurd*innen ist ein historisches Ergebnis regionaler und globaler Politik der Eigeninteressen. Mit dem Verbot der PKK, die diese Wahrheit durch ihren Kampf seit 1978 offengelegt hat, wurde sie zur Zielscheibe. Die PKK ist nicht die Ursache, sondern die Folge einer Ungerechtigkeit gegenüber einem der ältesten Völker der Erde.

Mit dem Verbot der PKK und ihrer Aufnahme in die Liste der terroristischen Organisationen wollen die Verursacher*innen der kurdischen Frage einerseits ihre Schuld und Verantwortung verbergen und andererseits die PKK dafür bestrafen, dass sie ihnen die kurdische Karte aus der Hand genommen hat.

Sehr oft wird der historische Kontext aktueller politischer Ereignisse leicht vergessen. Bei Vorgängen, die seit langem auf der politischen Agenda stehen, wie dem Verbot der PKK, werden die Hintergründe und der historische Kontext nicht mehr beachtet. Das führt dazu, dass die wahren Verantwortlichen als die Guten und ihre Opfer als die Bösen wahrgenommen werden.

Seit Jahrzehnten berichten die westlichen und türkischen Medien, dass die PKK eine terroristische und verbotene Partei ist. Diese Aussage, die in den Mainstream-Medien ständig wiederholt wird, ist Teil einer Strategie, die eine Lüge wie die Wahrheit erscheinen und sie dann ins Unterbewusstsein rutschen lässt. Die permanente Wiederholung der Lüge führt auch dazu, dass man es selbst nicht mehr für nötig erachtet, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Dies ist eine Strategie der besonderen Kriegsführung, bei der man einen Gegner ohne physische Gewalt und gewaltigem Einsatz finanzieller Ressourcen in die Knie zwingen kann. Schändet man den Namen, hat man etwa 50 % des Krieges gewonnen. Das Wort Terrorismus, das seit dem 11. September je nach politischer Interessenlage immer willkürlicher gebraucht wird, hat genau dieses Ziel vor Augen. Er lässt sich daher weder politisch noch rechtlich eindeutig definieren. Er ist eine flexible Waffe, die je nach politischem Eigeninteresse jederzeit und gegen jeden zur Einschüchterung eingesetzt werden kann.

Seit dem ersten offiziellen Verbot der PKK durch den deutschen Staat 1993 (dann durch die USA 1997 und zuletzt durch die EU 2002) legitimieren diese Staaten ihre Unterstützung des türkischen Regimes in dessen Krieg gegen die Kurd*innen.

Ich sage absichtlich „deutscher Staat“, denn seit 1993 waren in Deutschland viele Regierungen an der Macht, aber die Verfolgung der Kurd*innen unter dem Vorwand des PKK-Verbots hat nie aufgehört. Genau wie der deutsche Staat legitimieren die Staaten, die die PKK als „terroristisch“ gebrandmarkt haben, die Brutalität, die Willkür und den Despotismus des türkischen Staates. Nicht zuletzt weist ein Bericht des britischen Parlaments darauf hin, dass die derzeitige türkische Regierung unter Erdogan die PKK als Vorwand benutzt, um ihren Totalitarismus weiter auszubauen.

Die PKK ist eine Folge und nicht die Ursache der kurdischen Frage

Es ist wichtig, immer wieder zu betonen, dass die PKK 1978 nicht als Ursache, sondern als Folge der kurdischen Frage entstanden ist.

Schon lange vor 1978 hatte es zahlreiche kurdische Aufstände gegen den türkischen Staat gegeben. Ein kurzer Blick in die Geschichte kann helfen, die kurdische Frage, die zur Gründung der PKK führte, besser zu verstehen.

Noch während ihres Untergangs erhöhte das Osmanische Reich den Druck auf die Nationen, die unter dem Dach seines Territoriums lebten. Ein Nationalismus nach westlichem Vorbild hatte neue politische Konflikte ausgelöst. Europäische Mächte wie Großbritannien und Frankreich und später auch Russland taten alles, um den Prozess des Zusammenbruchs zu beschleunigen.

Ein weiterer wichtiger Grund war, dass die Regionen unter der Kontrolle des Osmanischen Reiches reich an natürlichen Ressourcen waren, die für die Industrialisierung in Europa benötigt wurden.

In den Wirren des Zusammenbruchs kam es zu einer Reihe von Aufständen der Kurd*innen, die entgegen die erzwungene Türkisierungspolitik, die als Grundlage für den Aufbau eines neuen türkischen Nationalstaats diente, ihre Autonomie bewahren wollten.

Eine Auswahl der historischen Aufstände der Kurd*innen vor der Gründung der PKK soll nachfolgend aufgelistet werden:

  • Aufstand von Babanzade Abdurrahman Pascha (1806 – Mosul/Mûsil)
  • Babanzade Ahmet Pascha (1812 – Mossul/Mûsil)
  • Aufstand der Ezidi Kurden (1830 – Hakkari/Colemerg)
  • Aufstand von Sherefkhan (1831 – Bitlis/Bedlîs)
  • Bedirkhan-Aufstand (1835 – Botan)
  • Garzan-Aufstand (1839 – Diyarbakir/Amed)
  • Bedirkhan Osman Pascha und sein Bruder Husein Pascha Aufstand (1872 Mardin/Mêrdîn – Cizre/Cizîr)
  • Scheich Ubeydullah von Nehri (1880-1881-Hakkari/Colemerg)
  • Aufstand von Bedirkhan Emin Ali (1889 – Erzincan/Erzingan)
  • Aufstand von Bedirkhan und Halil Rema (1912 – Mardin/Mêrdîn)
  • Scheich Selim Schabettin (1912- Bitlis/Bedlîs)
  • Simko Shikak Aufstand gegen den Iran (Erster Aufstand 1918-1922- Zweiter 1926)
  • Koçgîrî-Aufstand (1920- Koçgîrî/heute die Region von Sivas)
  • Aufstand von Scheich Mahmoud Barzanji (1922-1924, Südkurdistan)
  • Scheich Sait Uprsing (Februar – März 1925, Amed, Bingol/Çewlîg, Erzurum/Erzîrom, Mûş)
  • Erster Ararat/Ağrı-Aufstand (16. Mai – 17. Juni 1926)
  • Zweiter Ararat/Agirî-Aufstand (10. September 1927)
  • Dritter Agirî/Ararat/Zîlan-Aufstand (25. September 1930, Region Agirî)
  • Sason-Aufstand (1935-Siirt/Sêrt)
  • Dersim-Aufstand (1937-1938)
  • Gründung und Niederschlagung der Republik Mahabad in Ostkurdistan (22. Januar bis 15. Dezember 1946)
  • Irakisch-kurdischer Krieg (1961-1970; zweite Welle des Krieges 1974-1975)

Nachdem die Osmanen im Ersten Weltkrieg besiegt worden waren, begannen die europäischen Staaten, die Gebiete des Reiches unter sich aufzuteilen. Auf Teilen dieser Gebiete wurde der Grundstein für den Aufbau der Nationalstaaten Türkei, Irak, Syrien und später Iran gelegt.

Die kurdischen Gebiete wurden unter diesen Staaten aufgeteilt, und dies wurde am 24. Juli 1923 am Ende langer Konferenzgespräche in Lausanne besiegelt. Vor Lausanne gab es mehrere Konferenzen, Kongresse und Vereinbarungen über die Aufteilung der Beute.

Das Schicksal der Kurd*innen und Kurdistans war ein zentrales Thema der Treffen und Vereinbarungen ohne die Beteiligung der Kurd*innen. Einige der Konferenzen waren:

  • Konferenz von Berlin am 13. Juli 1878
  • Abkommen von Sykes-Picot am 16. Mai 1916 (französisch-britisch)
  • Abkommen von Erzincan zwischen Türken und Russen am 8. Dezember 1917
  • Der Waffenstillstand von Mudros am 30. Oktober 1918
  • Konferenz von Paris zwischen dem 18. Januar 1919 und dem 21. Januar 1920
  • Konferenz von San Remo vom 8. bis 26. April 1920
  • Der Kongress von Sevres am 10. August 1920
  • Der Kongress von Kairo vom 12. bis 30. März 1921
  • Konferenzen von Lausanne 1923-1924
  • Tagung von Brüssel am 5. Juni 1926
  • Abkommen von Algerien am 6. März 1975

Teil 2 der Analyse wird morgen veröffentlicht. Themen sind u.a. die Bedeutung der „kurdischen Karte“ für die internationalen Akteure und die Suche nach einer alternativen Lösung der kurdischen Frage durch die PKK.

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