Das PKK-Verbot: Eine Fortsetzung der Ungerechtigkeit gegen die Kurd*innen (Teil 2)

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Die kurdische Frage ist ein Ergebnis des europäischen Kolonialismus im Nahen Osten. Der europäische Kapitalismus hat seine Expansion durch die Kolonialisierung verschiedener Teile der Welt betrieben. Die kurdische Frage ist also eine von Europa erzeugte Frage, um die vier wichtigsten Nationalstaaten zu kontrollieren, die als Kolonialstaaten über Kurdistan entstanden sind: Türkei, Iran, Irak und Syrien.

Im Rahmen der Kooperation und Konfrontation zwischen den Kolonialstaaten Türkei, Iran, Irak und Syrien wurden die Kurd*innen zur Grundlage eines Sicherheitsproblems gemacht. Dadurch konnten die Diktatoren, die den Westmächten dienten, offiziell in ihren Völkermorden an den Kurd*innen unterstützt werden. Um die Staaten unter Kontrolle zu halten, drohten die westlichen Staaten stets mit der kurdischen Karte, die bis heute eine institutionelle Phobie der Kolonialstaaten ist. Der PKK ist es gelungen, dieses Spiel zu entlarven. Der inhaftierte PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan hat dies in seinen Werken öffentlich gemacht.

Die Kolonialstaaten wurden nämlich als Nationalstaaten in der Region zum Nutzen des westlichen Kapitalismus entwickelt. Folglich ist die kurdische Frage eine Frage, die von den kapitalistischen Interessen im Nahen Osten geschaffen wurde. Unter diesem Gesichtspunkt ist es der PKK gelungen, die Maske des Nationalismus dieser Staaten zu entlarven und zu zeigen, wie sie als Instrumente des westlichen Kapitalismus nicht nur gegen die Kurd*innen, sondern gegen alle, die sich nach Freiheit sehnen, eingesetzt wurden.

Durch die Organisierung der kurdischen Diaspora weltweit, aber vor allem in Europa, konnte die PKK die Urheber der kurdischen Frage entlarven. Das Erstarken der PKK konnte auch durch das Verbot der PKK in Deutschland, den USA und schließlich durch die EU nicht verhindert werden. Eine historische Niederlage erlitt die PKK zwar mit der Entführung ihres Gründers, Abdullah Öcalan, am 15. Februar 1999. Öcalan nahm seine Entführung allerdings zum Anlass für eine radikale Konfrontation mit dem herrschenden System, das er als kapitalistische Moderne bezeichnete.

Weder das willkürliche Haftregime auf der Gefängnisinsel Imrali, wo Öcalan in Einzelhaft gehalten wird, noch die volle Unterstützung der NATO für ihren Mitgliedsstaat Türkei konnten schließlich verhindern, dass die PKK noch stärker und internationaler wurde. Heute leistet die PKK mit der Umsetzung des Paradigmas ihres Gründers Abdullah Öcalan einen großen Beitrag zu globalen Themen wie der Umweltfrage, dem Kampf gegen Nationalismus und dem Kampf gegen das Patriarchat als Grundlage des Kapitalismus.

Alternative Lösungen durch die PKK und die Aggression der Türkei

Mit der Revolution in Rojava hat der Kampf der PKK ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die  Alternativen zum Aufbau eines freien Lebens, die in Rojava, Bakûr (Nordkurdistan), Başûr (Südkurdistan), Rojhilat (Ostkurdistan) und in der Diaspora praktiziert werden, haben sowohl lokalen als auch nationalen Charakter, bieten aber auch eine globale Perspektive. Es waren die Kämpfer*innen der PKK, die das regionale und globale Stellvertreterinstrument des IS zerschlugen. Man braucht sich nur Mal vorstellen, was passiert wäre, wenn die PKK den ISIS nicht zerschlagen hätte.

Heute, nach 40 Jahren intensiven Kampfes für die Freiheit, ist zumindest diese Wahrheit ans Licht gekommen. Das ist wichtig für die Erlangung von Gerechtigkeit. Nämlich, dass die Verursacher von Konflikten, von Problemen und Kriegen auf der einen Seite stehen und diejenigen, die für Frieden und Demokratie kämpfen, auf der anderen Seite.

Wir können heute von einer türkischen Frage und einer kurdischen Lösung sprechen. Der türkische Staat ist heute zu einem aggressiven, destabilisierenden Staat geworden, nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in Nordafrika und überall dort, wo Muslime leben. Zu Expansionszwecken nutzt das derzeitige türkische Regime den Islam als politisches Machtinstrument.

Die Mitgliedschaft der Türkei in der NATO war ein entscheidendes Argument dafür, dass die NATO-Staaten die Türkei nicht nur politisch, diplomatisch, wirtschaftlich, sondern auch militärisch gegen die PKK unterstützt haben.

Die Revolution der PKK ist immer mit Separatismus gleichgesetzt worden. In Wirklichkeit praktiziert sie einen demokratischen Konföderalismus, d. h. eine Demokratie – ohne die Herrschaft einer zentralen Staatsmacht -, die das Zusammenleben der Völker innerhalb der bestehenden Grenzen des Lausanner Vertrags von 1923 ermöglicht. Gegenwärtig ist es der türkische Staat, der die Souveränität von Staaten verletzt. Das zeigen die Beispiele in Syrien, Irak, Libyen oder Armenien nur allzu deutlich.

Der von der PKK angeführte kurdische Aufstand wurde von der Türkei, dem Iran, dem Irak und Syrien stets als Sicherheitsfrage behandelt. Jetzt sind es diese Staaten, die zu einer Sicherheitsfrage für die Völker und die Region geworden sind.

36 Jahre lang wurde die Einstufung der PKK als terroristische Organisation ursprünglich durch die Ermordung des schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme im Jahr 1986 legitimiert. Aber die Wahrheit hat eine Besonderheit: Sie kommt früher oder später ans Licht. Olof Palme war ein Freund von unterdrückten Völkern wie der Palästinenser*innen, war gegen das Apartheidregime in Südafrika und trat auch für das Selbstbestimmungsrecht der Kurd*innen ein.

Nach 36 Jahren kam die Wahrheit ans Licht: Die PKK hatte nichts mit dem Mord zu tun. Die Akte wurde geschlossen, aber die schwedische Regierung hat sich bis heute nicht für diese Anschuldigung entschuldigt, die Hunderte von Kurd*innen ihre Freiheit gekostet hat.

Die Wahrheit, dass die PKK keine terroristische Organisation ist, wurde auch durch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg im Jahr 2018 und des belgischen Gerichts im Jahr 2020 bestätigt.

Da die kurdische Karte aber eine wirksame Karte ist, wollen sich die Staaten diese nicht aus der Hand geben und sehen im Erstarken der Kurd*innen eine Bedrohung für ihre eigenen Interessen. Aus diesem Grund wird türkischen Besatzungspolitik in Rojava und Südkurdistan nach wie vor damit legitimiert, dass die PKK sich in den benannten Gebieten aufhalte. Wenn die Türkei also chemische Waffen gegen PKK-Kämpfer*innen einsetzt, drückt die OPCW ein Auge zu. Es geht darum, die zu stark gewordenen Kurd*innen durch die türkische Aggression zu schwächen, um sie dann wieder instrumentalisieren zu können.

Denn mit der kurdischen Karte sind die Kurd*innen zu Instrumenten westlicher Interessenspolitik degradiert worden. Heute jedoch, mit dem 40-jährigen Bestehen des Freiheitskampfes, sind die Kurd*innen zu eigenständigen Akteuren aufgestiegen. Sie können Einfluss auf das Spiel nehmen und sind nicht mehr bloße Objekte.

Obwohl die oben genannten Staaten die PKK auf die Terrorliste gesetzt hat, unterhalten sie alle de facto Beziehungen zur PKK. Die Streichung von der Liste dürfte jedoch endlich den Weg für eine offizielle politische Lösung ebnen, was einen großen Beitrag zum Frieden in der Region darstellen würde. Die Kampagne zur Streichung der PKK von der Liste ist daher nicht nur ein Zeichen der Solidarität mit den Kurd*innen, sondern auch ein großer Beitrag zum Frieden in der Region.

Die Staaten haben ihr Unrecht gegenüber dem kurdischen Volk mit der Einstufung der PKK als „terroristische Vereinigung“ zu rechtfertigen versucht. Aber auch die nicht-staatlichen Kräfte können durch ihr Engagement an der Seite der Kurd*innen gegen dieses Unrecht Stellung beziehen. Eine Unterschrift gegen die Streichung der PKK von der Liste kann politisch viel bewirken, und wenn Millionen unterschreiben, dann ist die Wirkung umso größer.

Bitte unterstützen deshalb auch Sie die Kampagne für die Streichung der PKK von der EU-Liste der terroristischen Organisationen!

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Die Autorin Nilüfer Koç ist Mitglied des Exekutivrates und Sprecherin der Kommission für Außenbeziehungen des Kurdischen Nationalkongresses (KNK)

Zur Unterschriftenkampagne für die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste gelange Sie HIER

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