Der Flirt Erdogans mit Putin

erdogan putinSelahattin Soro für Civaka Azad, 23.06.2016

Erdogan hat Davutoglu mit einem internen Putsch abgesetzt und durch Binali Yildirim ersetzt. Damit hat er politisch eine neue Phase eröffnet. Diese sticht vor allem durch die Handlungen im Hinblick auf Syrien, Iran, Israel und Russland hervor.

Der Abschuss des russischen Kampfjets SU-24 durch die türkische Armee am 24. November 2015 an der syrischen Grenze hatte die Türkei und Russland an den Rand eines Krieges geführt. Seitdem ist keine Besserung in den Beziehungen zwischen  beiden Ländern zu verzeichnen, vielmehr verschlechtern sich diese stetig und  weiten sich auf neue Bereiche aus.

Zum Zeitpunkt des Absturzes beherrschten zwei Fragen die Beziehungen zwischen Russland und Erdogan: „Haben die Türken das Flugzeug abgeschossen, weil Russland seine Nahost-Politik geändert hat?! Oder haben die Russen ihre Politik wegen des Flugzeugabsturzes geändert?!“. Aus meiner Sicht definieren sich die Entwicklungen aus den Antworten auf diese Fragen.

Zunächst einmal muss man sich fragen, warum die Erdogan-AKP eine solche 180° Wendung erfahren musste. Nicht nur, dass sie in ihrer Nachbarschaft keine Freunde mehr haben, sondern auch international gehen die Beziehungen zu ihren Freunden und Verbündeten gegen Null. Unumstritten ist,  dass diese Politik eine Folge des politischen, diplomatischen und militärischen Prestiges ist, den die kurdische Freiheitsbewegung und die Kurden, allen voran Rojava, auf internationaler Ebene erlangt haben.

Nachdem die Politik der Erdogan-AKP, mit dem IS und seinen Derivaten diese Rolle der Kurden zu verhindern, nicht den gewünschten Erfolg gehabt hat, wollte sie mit dem Abschuss des russischen Flugzeugs eine Basis für Provokationen schaffen. Demnach attackiert Russland bei Abschuss seines Kampfjets die Türkei; diese wird als NATO-Mitglied von der NATO sowie den USA verteidigt und so erreicht Erdogan seine Ziele. Weil Russland und Putin sich nicht haben provozieren lassen, ist die Erdogan-AKP nach der Niederlage des IS in Kobane in globalem Sinne in der Syrienpolitik bedeutungslos geworden und wurde auch von ihren Verbündeten als unerwünschter Partner ausgegrenzt.

Um einen Status und Rechte für Kurden zu verhindern, wird die AKP-Erdogan-Türkei keine Bündnisse und Zugeständnisse scheuen. Die Türkei profitierte von den Widersprüchen der NATO und des Warschauer Pakts im 20. Jahrhundert und sicherte sich hierüber eine geostrategische Position, mit der sie die Kurden über das gesamte Jahrhundert unterdrückt hat. In allen Phasen der Rechtssuche der Kurden hat sie stets ihre geopolitische Position zwischen diesen beiden Welten von NATO und UdSSR ausgenutzt und so die Aufstände der Kurden unterdrückt und liquidiert. Die AKP-Erdogan haben im 21. Jahrhundert erkannt, dass dieses Gleichgewicht im Nahen Osten nicht mehr wirkt und die Kurden eine wichtige Position erlangen werden. Daher schrecken sie nicht vor äußerst gefährlichen Provokationen mit globalen Auswirkungen zurück. Bei dem Abschuss des Flugzeugs handelt es sich um so eine Provokation.

Die Erdogan-AKP versucht die Ziele, die sie mit dem Abschuss des Kampfjets nicht erreichen konnte, mit neuen politischen Vorstößen umzusetzen. Sie sucht hierbei schmutzige Bündnisse mit dem Iran und Syrien, die sich ebenfalls vom Status der Kurden gestört fühlen. Sie möchte, ähnlich dem 20. Jahrhundert, als Fortführung des Regimes von Lausanne (a.d.Ü: Vertrag von Lausanne) weiterhin als zentraler Akteur agieren. Doch hierfür bedarf es eines neuen Ost-West Konfliktes, damit hieraus eine geopolitische Position generiert werden kann. Ohne einen neuen UdSSR-USA oder NATO-Warschau Konflikt kann die Türkei weder ihre frühere Bedeutung nicht halten, noch die Kurden und Kurdistan unterdrücken bzw. kolonialisieren. Aus diesem Grund haben Erdogan und Binali Yildirim zeitgleich Putin und Medwedew angeschrieben und ihren „Friedenwillen“ bekundet. Kommt es zwischen Erdogan und Putin zu einer Einigung im Hinblick auf die Syrienpolitik, erlangen die Türkei und Syrien dort gegenüber der Politik der USA und der EU eine stärkere Position, und so können Syrien-Iran-Türkei den nationalstaatlichen Status des 20. Jahrhunderts in der Region bewahren. Die Türkei und Russland, aber auch die anderen Staaten in der Region gewinnen auf diese Weise eine neue Initiative, was ein neues Gleichgewicht und eine neue Polarisierung nach sich ziehen wird. Erdogan wird diese Widersprüche und dies sich daraus generierende geopolitische Basis nutzen, um die Kurden wie 1925-1938 zu liquidieren.

Während Erdogan diesen pragmatischen Vorstoß macht, ist es notwendig, weitere Aspekte dessen zu betrachten. Die Interessen und die Politik Russlands und der Türkei unterscheiden sich massiv, widersprechen sich gar. Die Türken verteidigen, dass die Krim zur Ukraine gehört, die Russen hingegen haben die Krim an ihr Land angegliedert. Während die Türkei die Einheit von Georgien und Abchasien-Südossetien verteidigt, haben die Russen Abchasien und Südossetien von Georgien abgespalten. Während die Türken zum Sturze Assads Terrororganisationen wie IS und El Nusra unterstützt haben, haben die Russen zum Schutze von Assad in den Krieg eingegriffen und bekämpfen diese Organisationen erbittert. Sie transferieren Assad erneut als Akteur auf die politische Ebene. Während die Türken die Separatisten in Kaukasien unterstützen, bekämpft Russland diese. Während die Türken im Nahen Osten die Opposition unterstützt, bekämpfen die Russen diese.

Es ist offensichtlich, dass die Politik von Türkei-Erdogan und Putin-Russland auf einem breiten Korridor konkurrieren, sich gar in intensiven Auseinandersetzungen befindet. Diese Situation voller Widersprüche und Konflikte ist sowohl ideologisch als auch paradigmatisch. Erdogan und die AKP-Türkei motiviert Millionen Menschen turkmenischen Ursprungs gegen Russland und bedroht Russland bzw. die orthodoxen Christen durch die generierte „Kreuzzug-Mentalität“ als Resultat ihrer politisch-islamistischen Perspektiven und ihre Kalifatsbestrebungen für Millionen Muslime in Russland. Es wird nicht einfach, dass Erdogan nach dem Flugzeugabschuss mit dem „islamistischen“ und „Türkentum“ Profil sowie der dementsprechenden Politik ein neues Kapitel in den Beziehungen zu Russland aufschlägt. Selbst wenn wieder Beziehungen aufgenommen werden, was möglich ist, ist es utopisch, dass diese sich an die frühere Form angliedern.

Die Zeit wird zeigen, ob Putin dieser Schlauheit, seinem angekratzten Charisma eine pragmatische Antwort gibt. Man wird sehen, inwiefern der Flirt Erdogans in Moskau Anklang findet.