Der gescheiterte Pusch in der Türkei und die Erdogan-Realität

putsch_gescheitertKurdistan Nationalkongresses (KNK), 21.07.2016

Am 15. Juli 2016 kam es in der Türkei zu einem Putschversuch, der gescheitert ist. Wäre der Putsch geglückt, würden wir nun über andere Sachen in der Türkei sprechen. Es wäre ein anderer Prozess in Gang gesetzt worden. Doch auch das Scheitern des Putsches hat wichtige Entwicklungen in Gang gesetzt, über die man sprechen muss. Um die aktuelle Situation und die möglichen Folgen des Putschversuches zu begreifen, muss man die Wahlergebnisse des 7. Junis 2015 und die darauffolgende Intervention der AKP zum Ausgangspunkt nehmen.

Zunächst einmal wollen wir allerdings festhalten, dass es nicht der Wahrheit entspricht, zu behaupten, dass dieser Putschversuch von der Gülen-Sekte organisiert worden ist. Es mag durchaus sein, dass Gülen-Anhänger an dem Putschversuch teilgenommen haben. Doch die Behauptung, die Gülenisten hätten den Putsch organisiert, dient sowohl dazu, noch stärker gegen die Organisierung der Gülen-Anhänger im Staate vorzugehen, als auch die tatsächliche Putschisten weiter zu isolieren und so zu vernichten.  So will die AKP zwei Fliegen mit einer Klatsche schlagen.

Innerhalb des Militärs gibt es eine Gülen-Fraktion, die im Stande wäre, einen Putsch zu organisieren. Wenn es überhaupt solch eine Fraktion unter den Soldaten gibt, dann dürfte sie sehr schwach sein. Der Putschversuch hingegen hatte einen durchaus großen Unterstützerkreis im Militär. Wenn sie ihre Aktion besser durchdacht und ihre Vorkehrungen besser getroffen hätten, hätte der Putschversuch durchaus auch erfolgreich sein können. Eine Vielzahl von Generälen und hochrangigen Militärs waren in diesen Versuch der Machtergreifung involviert. Die im Krieg in Kurdistan involvierten Soldaten sind während des Putschversuches zwar nicht aktiv geworden. Doch auch unter ihnen scheint es wohl großen Zuspruch für die Putschisten gegeben zu haben. Der mögliche Grund für ihre Zurückhaltung war wohl, dass ein Verlassen der Kriegsfront in Kurdistan ihnen wohl zu Lasten hätte ausgelegt werden können. Dennoch wurde im Nachgang des Putschversuches auch viele Militärs in Kurdistan festgenommen, was deutlich macht, auf wessen Seite sie in der Nach des 15. Julis standen.

Der Krieg in Kurdistan hat dem Militär den Weg zum Putschversuch geebnet

Nachdem die AKP sich dazu entschlossen hat, die kurdische Frage nicht zu lösen, hat sie seit einem Jahr das Konzept eines Zerstörungskriegs in Kurdistan in Gang gesetzt. Dich Nicht-Lösung der kurdischen Frage hat allerdings auch den „Putsch-Mechanismus“ in der Türkei in Gang gesetzt. Dieser Mechanismus, welcher durch ein antikurdisches faschistisches Bündnis Form angenommen hat, mündete nun in dem Putschversuch des Militärs. Seitdem sich Erdogan für seinen Machterhalt auf den Kriegskurs in Kurdistan eingeschworen hat, sind die Kompetenzen und Befugnisse des Militärs deutliche ausgeweitet worden. Erdogan und seine AKP haben sich in ihrem Krieg gegen die Kurdische Freiheitsbewegung vom Militär geradezu abhängig gemacht.

Das Militär hat in diesem Krieg ein neues Selbstbewusstsein erlangt. In den Jahren zuvor hatte das Militär kontinuierlich an Macht verloren. Der Versuch einer Machtergreifung des Militärs war demnach nicht im Bereich des Vorstellbaren. Doch mit dem Zerstörungskrieg in den kurdischen Siedlungsgebieten hat das Militär ihre Position gestärkt. Nun nahm sie für sich in Anspruch, die Politik in der Türkei mitgestalten zu können. Hierfür hat sie am 15. Juli gar den Versuch unternommen, die Geschicke des Landes komplett unter ihre Kontrolle zu bringen, um die Politik der Türkei grundlegend neuzugestalten. Diese Absicht geht aus dem Schreiben hervor, das die Putschisten in jener Nacht haben verlesen lassen. Die Haltung der Putschisten laute in etwa also wie folgt: „Wir haben den Krieg geführt, also machen wir auch die Politik.“

Nach dem gescheiterten Militärputsch: Islamistische Nationalisten werden einen türkischen IS schaffen

Nachdem der Putschversuch allerdings vereitelt werden konnte, werden die AKP und ihre Bündnispartner sich als der „Volkswille gegen den Putsch“ und „Demokratiekräfte“ darzustellen versuchen. Mit diesem Bild, das sie zu erzeugen versuchen, werden sie ihren Krieg gegen die KurdInnen und die tatsächlichen Demokratiekräfte im Land weiter zu vertiefen versuchen. Somit haben die AKP-Regierung, ihre AnhängerInnen und ihre Bündnispartner mit der Vereitelung des Putsches sich einen breiteren Spielraum für die Umsetzung ihrer kurden- und demokratiefeindlichen Politik geschaffen.

Da die Bündnispartner des AKP-Faschismus die MHP und weitere chauvinistisch-nationalistische Kreise sind, ist es nicht weiter verwunderlich, dass nach dem gescheiterten Putschversuch die Angriffe und die Feindlichkeit gegen die KurdInnen und Demokratiekräfte ausgeweitet werden dürften.  Der Zusammenhalt zwischen der AKP und seinen faschistischen Bündnispartner ist nun enger denn je. Es ist nun durchaus auch zu erwarten, dass sich im Dunstkreis der AKP islamistisch-nationalistische Kreise radikalisieren und so eine türkische Version der Terrororganisation IS entstehen wird. Bereits jetzt legt die Organisation der „Osmanli Ocaklari“ in der Türkei eine entsprechende Haltung an den Tag. Diese Organisation wurde von Erdogan-nahen Kreisen als paramilitärische Kraft gebildet und baut ihre Strukturen derzeit auch in Europa aus. Schon länger wird über das Verhältnis dieser Gruppe zum IS spekuliert.

Nach dem kollektiven Erfolgserlebnis, das diese islamistisch-nationalistischen Kreise nach dem vereitelten Putsch spüren, ist zu erwarten, dass sie sich weiter radikalisieren und zu einer Kraft werden, die jegliche Opposition einschüchtern und bedrohen wird. Der große Teil der Menschen, die in der Nacht des Putschversuches auf die Straßen gegangen sind, gehören zu diesem Umfeld. Da einer ihrer gemeinsamen Nenner auch die Kurdenfeindlichkeit ist, dürften wohl auch die Angriffe auf die KurdInnen zunehmen. Bereits nach den Wahlen vom 7. Juni 2015 haben sich diese Kreise ohnehin verbündet, um gemeinsam gegen die KurdInnen und Demokratiekräfte im Sinne der türkischen Regierung zu agieren. Diese Angriffe dürften sich nun intensivieren. Darauf sollten sich eben die KurdInnen und Demokratiekräfte vorbereiten.

Was von der AKP nun zu erwarten ist und welche die Aufgaben der Demokratiekräfte sind…

Außer Frage steht, dass jeder Versuch eines Militärputsches anti-demokratisch ist und deshalb in keiner Weise der Demokratisierung eines Landes Vorschub leisten kann. Dies bedeutet allerdings nicht automatisch, dass jede antiputschistische Fraktion oder Gruppe gleich demokratisch ist oder im Sinne der Demokratie agiert. So sind die Handlungen und Äußerungen der AKP gegen den Putsch nicht einer scheinbaren Verpflichtung gegenüber demokratischen Prinzipien, sondern ausschließlich ihrer Fokussierung auf den eigenen Machterhalt geschuldet.

Falsch wäre es deshalb auch, von der AKP zu erwarten, dass sie jetzt eine Demokratisierung des Landes anstrebt, um weitere Putschversuche in der Zukunft zu unterbinden. Auch wenn ein solches Szenario wünschenswert wäre, ist es eine Farce, das von der AKP zu erwarten. Denn die AKP stellt selbst eine Regierung dar, die nur durch einen Putsch gegen den Wählerwillen vom 7. Juni 2015 ihre Regierungsgewalt erhalten konnte. Und so ist das einzige, was von der AKP in diesem Zusammenhang zu erwarten ist, dass sie versuchen wird, sich als Schützerin der Demokratie darzustellen, um so ihr wahres Gesicht zu verschleiern. Genau das passiert auch gegenwärtig.

Es ist zu erwarten, dass im Mittleren Osten unter dem ideologischen Dach der AKP islamistische Kräfte entstehen werden, die deutlich radikaler ausgerichtet sein werden, als beispielsweise die Muslimbrüderschaft. Tayyip Erdoğan wird die Gelegenheit, die der Putschversuch ihm hierfür gegeben hat, sicherlich versuchen zu verwerten. Bereits jetzt hat er innerhalb des türkischen Polizeiapparats islamistisch-nationalistische Gruppen organisiert. Die Rolle dieser Gruppen wird nach dem gescheiterten Putschversuch weiter anwachsen. Es ist gar zu erwarten, dass die Türkei zu einem richtigen Polizeistaat sich entwickeln wird. Die Polizei wird in der Türkei zu einer bewaffneten Kraft anwachsen, die eine Alternative zum Militär darstellen wird.

Die Demokratiekräfte müssen die Situation nach dem Putschversuch noch stärker verfolgen, besser bewerten und sich entsprechend vorbereiten. Denn der AKP-Faschismus wird die Demokratiekräfte noch stärker in sein Visier nehmen. Die AKP wird sich als die demokratische Regierungsgewalt präsentieren und allen einfordern, dass sie sich ihr beugen.  Jeder, der sich weigert, das zu tun, wird von der Regierung als Putschist denunziert und so wird die AKP „im Namen der Demokratie“ eine regelrechte Hexenjagd in Gang setzen. Aus diesem Grund müssen die Demokratiekräfte unbedingt diese Politik der AKP dechiffrieren und sich in einer gemeinsamen Demokratiefront wiederfinden, um sich gegen die Angriffe zu schützen.