Der Iran ist im Hinblick auf Demokratie und Menschenrechte zu bewerten

Zübeyir AydarZübeyir Aydar, Exekutivratsmitglied des KNK (Kurdistan Nationalkongress) 

Der Iran hat aufgrund seiner historischen Vergangenheit, der von ihm vertretenen Werte, seiner Bevölkerungszahl, seiner geographischen Lage und seines Potentials stets eine wichtige Position im Mittleren Osten eingenommen. Auch heute ist der Iran neben seiner Stellung in der Region auch in der internationalen Politikarena ein einflussreicher Staat. Seit der Revolution von 1979 steht der Iran stets auf der Tagesordnung und gewinnt in der Region weiterhin an Einfluss.

Das nach der Revolution von 1979 an die Macht gelangte Regime hat im Sinne des schiitischen Glaubens eine starre islamische Ideologie verinnerlicht und seine Innen- und Außenpolitik dementsprechend etabliert. Im Inneren hat es durch Repressalien gegen die Opposition eine starre islamische Struktur aufgebaut. Auch im Ausland hat es entsprechend nach Verbündeten gesucht und versucht, die Revolution dorthin zu transferieren. Es hat das westliche System, allen voran die USA und Israel, zum Feind erklärt. Es hat die USA als »großen Teufel«, »Handlanger des Zionismus« und »Mutter alles Schlechten« bezeichnet. Israel wurde »als Hauptstützpunkt der USA in der islamischen Welt und Militärstützpunkt in der Region« deklariert. Zugleich hat es die Auslöschung Israels gefordert, ist mit allen Gegnern Israels Bündnisse eingegangen und hat diese grenzenlos unterstützt.

Dementsprechend haben der Westen und die NATO, allen voran die USA und Israel, das iranische Regime als Feind und große Bedrohung gewertet und ihre regionale Politik dementsprechend ausgerichtet. In diesem Sinne haben sie im Inneren die Opposition und im Ausland alle Kräfte und Staaten unterstützt, die im Konflikt mit dem Iran stehen. Gegen den Iran wurde ein militärisches und wirtschaftliches Embargo verhängt. Auch von einer militärischen Intervention wurde stets gesprochen. Vor allem die Verhinderung der atomaren Aktivitäten war ständig Thema. Nach der Besetzung des Iraks 2003 hieß es, dass nun der Iran an der Reihe sei. Im Rahmen der Verschärfung der psychologischen Kriegsführung ließ man mehrmals im Jahr der Presse Interventionspläne gegen den Iran zukommen.

Dies hat sich bis heute so fortgesetzt. Insbesondere nach dem Beginn der Auseinandersetzungen in Syrien gab es wiederholt Statements wie »Erst wird Syrien, dann sein Verbündeter Iran vernichtet«. Doch weder fiel das syrische System in kurzer Zeit, noch kam der Iran an die Reihe. Die Wahl von Hassan Rohani zum iranischen Präsidenten im Juni und seine gemäßigten Äußerungen haben die Phase nun an einen neuen Punkt gebracht.

In der UN-Generalversammlung Ende September war Rohani der mit dem größten Interesse verfolgte Staatsführer. Seine Statements und die Gespräche mit US-Repräsentanten zeigen, dass beide Seiten Veränderungen ihrer Politik wollen. Das Telefongespräch zwischen Obama und Rohani sowie die gemäßigten Erklärungen weisen, wenn auch nicht zweifelsfrei, auf eine neue Phase in ihren Beziehungen hin. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich, eine sichere Aussage zu treffen, ob es zu einer Einigung kommt. Jedoch ist es eine Realität, dass beide Seiten sich erstmalig einander so weit annähern.

Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass auf beiden Seiten der Wille zu einem Abkommen überwiegt. Der Iran war immens beeinflusst von den Embargos und möchte sich von ihnen befreien. Die Bevölkerung fühlt sich sowohl vom repressiven System als auch vom Embargo gestört. Wenn beides nicht beseitigt werden kann, wird eine Situation wie der »Arabische Frühling« auch für den Iran keine Überraschung werden. Der Iran zielt darauf ab, über die Beziehungen zum Westen ökonomisch aufatmen und seine Position in der Region stärken zu können.

Dem von den USA geführten Westblock geht es ebenfalls um regionale Interessen, vorrangig um die Kontrolle der Energieressourcen (Öl, Gas, …) und die Sicherheit der Förderwege. Die Sicherheit Israels ist dem hinzuzufügen. Der Iran schafft große Sicherheitsprobleme sowohl für die Energieressourcen in der Region als auch für den Transfer auf den internationalen Markt sowie die Sicherheit Israels. Aus diesem Grund wird ein Iran, der Atomwaffen besitzt, als Gefahr gesehen und entsprechend wird interveniert. Die Prioritäten liegen nicht, wie stets beteuert, auf der Demokratisierung des Iran und den Menschenrechtsverletzungen. Sind die regionalen Bündnispartner des Westens so demokratisch? Wenn den USA im Hinblick auf ihren engsten Verbündeten Saudi-Arabien Demokratie und Menschenrechte nicht interessieren, wird dies auch für den Iran nicht zutreffen, insbesondere dann, wenn ihre Interessen gewährleistet sind.

Ein Punkt ist noch hinzuzufügen. Die USA stehen seit 34 Jahren im Konflikt mit dem Iran und wiederholen stets die Möglichkeit einer militärischen Intervention. In den letzten zwölf Jahren haben die USA in zwei Staaten in der Region – Afghanistan und Irak – interveniert. Von beiden Interventionen hat der Iran profitiert. Die Taliban und das Saddam-Regime waren Feinde des Iran. Beide sind mit der Intervention der USA zerfallen. Das zurzeit an der Macht befindliche Regime im Irak ist eher dem Iran zugewandt. Als die USA den Irak besetzt haben, haben sie die Volksmudschaheddin, die stärkste Oppositionskraft, entwaffnet und im Camp Ashraf untergebracht. Daraufhin hat der Iran seinen Einfluss im Irak ausgenutzt und ist repressiv gegen sie vorgegangen. In den letzten Jahren haben irakische Polizei und Armee mehrfach das Lager gestürmt. Drei der Angriffe waren sehr blutig verlaufen, und jedes Mal wurden Dutzende Mitglieder und Unterstützer der Volksmudschaheddin getötet. Kaum jemand hat sich hierzu geäußert. Der Iran hat dermaßen von der Intervention der USA im Irak profitiert, dass er sich ein Vorgehen gegen seine Opposition im von den USA kontrollierten Irak erlauben kann.

Der Wunsch der USA nach einer Einigung mit dem Iran hängt auch damit zusammen, nicht noch weitere militärische Risiken im Mittleren Osten einzugehen. Zum einen haben die USA nicht mehr die gleiche Kraft, zum anderen haben sich ihre Prioritäten geändert. Für die USA wird Südostasien zunehmend vorrangig. China schreitet als eine neue militärische und wirtschaftliche Kraft voran und ist auf vielen Ebenen mit den USA konkurrenzfähig. Daher haben die USA sich stärker auf Südostasien fokussiert und ordnen ihre Kräfte neu. Aus diesem Grund hat die Diplomatie mit dem Iran Vorrang. Es ist unklar, ob der Iran auf atomare Aufrüstung verzichtet. Ich denke, dass der Iran, solange das jetzige Regime bestehen bleibt, weiter um atomare Waffen bemüht sein wird. Es wird den USA und seinen Verbündeten am Ende nichts weiter übrig bleiben, als dies so zu akzeptieren.

Wenn der Iran im Hinblick auf die o. g. Sicherheitsaspekte die USA und ihre Verbündeten überzeugen kann, kann sich die Sichtweise des Westens auf die Region und die Landkarte der Verbündeten ändern. Vor allem die Entstehung und Erstarkung der radikal dschihadistischen, islamistischen Gruppen (Al-Qaida-nahe sowie Salafisten) mit dem »Arabischen Frühling» stellen ein immer größeres Sicherheitsproblem dar. Alle diese neuen Gruppen sind Sunniten. Es gibt auch schiitische Gruppen wie die libanesische Hizbullah. Sie sind jedoch nicht so aktiv wie die genannten sunnitischen Gruppen. Aus diesem Grund sind unterschiedliche Bewertungen des Westens hinsichtlich der regionalen Gefahren und Verbündeten möglich.

Der Iran ist im Hinblick auf Demokratie und Menschenrechte zu bewerten. Wir, die wir von einer anderen Perspektive aus schauen, sehen das als grundlegendes Problem. Einige Oppositionsgruppen, darunter auch kurdische, haben jahrelang Hoffnung auf eine Intervention von außen gehabt. Sie haben gehofft, dass die USA wie im Irak intervenieren, das Regime stürzen und sich der Probleme annehmen. Diese Gruppen haben auch in der Bevölkerung solche Erwartungen geschürt. Das war eine gefährliche und auch falsche Herangehensweise. Diejenigen, die gesagt haben, dass eine Anlehnung an äußere Kräfte nicht sinnvoll ist, wurden dadurch geschwächt. Aus diesem Grund konnte im Inland keine ausreichende Organisierung erreicht werden. Davon hat am meisten das Regime profitiert. Man muss kein Wahrsager sein, um festzustellen, dass die Entwicklungen in Syrien und das Ausmaß der Akzeptanz Rohanis im Westen bei den auf Intervention von außen hoffenden Gruppen für Enttäuschung gesorgt haben. Sie wären jedoch sowieso enttäuscht worden.

Hassan Rohani ist ein kluger Vertreter des iranischen Systems. Er ist nicht, wie behauptet wird, ein Reformer, der das iranische Regime demokratisieren wird. Er hat kein solches Programm und behauptet es selbst auch nicht von sich. Auch wenn er wollte, hätte er nicht die notwendige Kraft dazu. Das iranische System ist nicht einfach zu ändern. Es ist nicht einfach, solche Systeme zu reformieren. Es erscheint nahezu unmöglich. Es wird schon gar nicht durch Personen dieses Systems erfolgen. Ich bin der Meinung, dass Rohani und seine Umgebung sich für ihre Interessen mit dem Westen einigen, aber den Iran nicht demokratisieren werden. Sie haben weder ein solches Ziel noch Programm. Die Demokratisierung und Veränderung des Iran ist nur durch die auf ihre eigene Stärke vertrauenden demokratischen Kräfte des Iran und durch das Volk möglich.

Die iranische Opposition und die demokratischen Kräfte müssen ihr Programm und ihre Pläne vorbereiten, ohne auf eine Intervention von außen oder auf die Männer des Systems zu hoffen. Eigentlich ist von nun an alles aus Sicht der demokratischen Opposition deutlicher zu erkennen. Jeder kann sich entsprechend ausrichten. Im Iran gibt es eine Basis für eine Volksbewegung und dieses despotische Regime wird früher oder später gehen oder sich verändern müssen.

Wenn wir in diesem Kontext zur kurdischen Bewegung kommen, gehören die Kurden seit 1979 zu den am stärksten Unterdrückten. Sie sind stärkeren Repressalien ausgesetzt, da sie in Opposition zum Regime stehen und es in Kurdistan zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt. Außerdem gehören sie mehrheitlich dem sunnitischen Glauben an. Einige kurdische Gruppen, die ihre Hoffnung auf Erfolg verloren haben, sind von der fehlenden Intervention von außen enttäuscht. Diese sollten ihre Haltung entsprechend der jetzigen Situation neu bewerten. Entweder sie tun dies oder sie werden sich auflösen.

Die PJAK (Partei für ein Freies Leben in Kurdistan) ist die dynamische Kraft der kurdischen Opposition im Iran. Sie hat sich ohne anderweitige Erwartungen sowie im alleinigen Vertrauen auf ihre eigene Kraft gegründet und ihre Position entsprechend entwickelt. Dadurch hat sie Zuspruch erhalten. Seit dem Krieg von Qandil 2011 herrscht zwischen der Guerilla [Hezên Rojhilatê Kurdistan, HRK] der PJAK und der iranischen Armee ein Waffenstillstand. Trotz einiger schwieriger Momente hält dieser seitdem an. Es ist heute am besten, die Organisierung unter Einhaltung der Waffenruhe weiter auszubauen. Selbstverständlich wird sich die Organisation im Falle von Angriffen von Seiten der iranischen Armee verteidigen. Darüber hinaus steht die PJAK vor der wichtigen Aufgabe, ihre Kontakte zu den anderen oppositionellen und demokratischen Gruppen im Iran auszubauen und die Organisierung der Opposition im Land stärker zu unterstützen.

Die jetzige Regierung wird, aus der Perspektive des Iran betrachtet, ihre Probleme nicht ausschließlich über eine Einigung mit den westlichen Kräften lösen können. Der Iran wird vielleicht die Aufhebung einiger Embargos erzielen können. Das wird auch eine teilweise Erleichterung herbeiführen. Dies kommt jedoch nicht einer Lösung der Probleme des Iran gleich. Das grundlegende Problem liegt im Inneren des Landes. Der Iran muss den Wohlstand des Volkes zur Grundlage nehmen. Der Iran kann in diesem Jahrtausend nicht ausschließlich eine an Religion angelehnt und demokratieferne Politik fortsetzen. Er muss sich demokratisieren. Im Iran gibt es unterschiedliche Religionen und Ethnien. Es besteht daher die Notwendigkeit, für diese eine zeitgemäße und gerechte Lösung zu finden.

Der Iran muss sowohl in seiner Innen- als auch in seiner Außenpolitik die Kurden stärker berücksichtigen. Es bestehen keine Probleme mit den Kurden aus der Türkei, dem Irak oder Syrien, um Kontakte aufzubauen. Das iranische Regime und seine Diplomatie besitzen die Freiheit, wenn gewollt, zu jeder Zeit mit ihnen zusammenzutreffen. Dies gilt jedoch nicht für die Kurden im eigenen Land. Der Iran sollte bestrebt sein, entsprechend den Kontakten mit Kurden außerhalb des Iran, auch mit den Kurden im eigenen Land, seinen Staatsbürgern, auf einen Dialog zur Lösung der Probleme einzugehen. Die Frage, warum der Iran, der sich mit den so verschmähten USA trifft, nicht mit seinen eigenen Staatsbürgern kommuniziert, findet keine befriedigende Antwort. Betrachten wir die anderen Staaten: Der Irak hat in großem Umfang seine kurdische Frage gelöst. In Syrien stehen sowohl das Regime als auch die Opposition mit den Kurden im Dialog. Am härtesten war die Türkei. Aber auch sie führt seit fast einem Jahr einen Dialog mit den Kurden. Warum sollte also der Iran nicht auch einen Dialog aufnehmen? Das iranische Regime sollte Verantwortung für eine sinnvolle Antwort auf diese Frage zeigen.

Quelle: Kurdistan Report 170, November/Dezember 2013

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