Die Chiffren zur Demokratisierung des Iran

Fûad Berîtan, Kovorsitzender der freien und demokratischen Gesellschaft aus Ostkurdistan (KODAR), zur orientalistischen Sichtweise auf den Iran und den allgemeinen gesellschaftlichen Dynamiken im Mittleren Osten, 14.07.2017

Die Ereignisse nach den iranischen Wahlen und die sich entwickelnde politische Situation betrifft sowohl die Region als auch die ganze Welt. In der Region betrifft es insbesondere die Kurden. Daher müssen die Entwicklungen im Iran auch richtig bewertet werden, was derzeit leider nicht der Fall ist. Die Entwicklungen werden mit genau demselben Blick betrachtet wie in Europa oder in anderen Teilen der Welt. Dabei haben bisherige westlich geprägte Analysen zu Ereignissen und Entwicklungen im Mittleren Osten immer zu falschen Ergebnissen geführt. All diejenigen, die solche Bewertungen abgegeben haben, wurden am Ende stets enttäuscht. Das konkreteste Beispiel hierfür: Die USA, das Land mit den meisten Denkfabriken und der eifrigsten politischen Manövrierfähigkeit war überall, wo es bisher war, erfolglos. Amerika ist keinesfalls dogmatisch bei seinen politischen Analysen. Es gibt kein anderes Land, das so pragmatisch ist und seine Politik entsprechend den Entwicklung wechselt. Aber trotz dessen sind die USA im Mittleren Osten erfolglos.

FEHLER IN DER GESCHICHTLICHEN ANAYLSE

Die USA und Europa tischen den Gesellschaften eine machthaberisch und etatistische Geschichte auf. Noch heute ist diese geschichtliche These nicht überwunden. Aber nicht nur die geschichtliche Bewertung, sondern auch die Definition von Demokratie und den Freiheiten ist nach ihrer eigenen Sichtweise definiert. Sie beginnen Demokratie und demokratische Werte bei sich selbst. Laut ihrer Definition beginnt Demokratie mit der Magna Charta, durch die einige Befugnisse des englischen Königs aufgehoben wurden. Im besten Fall bringen sie es mit Athen in Verbindung. Und dies bedeutet, dass sie die Völker mit ihrer ideologischen Gesinnung zu beherrschen versuchen. Die Gesellschaften sollen akzeptieren, dass der Prozess der Demokratisierung der ist, wie er bei ihnen verlaufen ist. Sie versuchen eine Akzeptanz der Gesellschaften für die Demokratie und Freiheit, wie sie es verstehen zu schaffen.

FALSCHE ANSÄTZE

Dies führt aber nicht zu einer Akzeptanz von Demokratie und Freiheit durch die Gesellschaften, sondern nur zum Durchsetzen von eigener Ideologie und politischer Herrschaft. Dass die USA und Europa so beurteilen, verstehen wir. Aber das Linke und unterdrückte Völker sich davon nicht befreien, ist nicht annehmbar. Insbesondere die entsprechende Beeinflussung der Kurden, die westliche Analysen sind auf keinen Fall hinnehmbar. Kurdistan ist nicht irgendeine Gegend. Es ist die Region, in der die erste Gesellschaftswerdung der Menschen begann und somit ganz natürlich die erste Urzelle einer Demokratie gelebt wurde. Es ist unverständlich, wie Menschen, Politiker aus dieser Region das Demokratie- und Freiheitsverständnis mit dem westlichen Ortientalismusverständnis aufnehmen, wie sie ihre eigene geschichtliche Realität übersehen bzw. ihre eigenen geschichtlichen Werte unterschätzen. Betrachtet man die Ausführungen des Vorsitzenden Abdullah Öcalan über die demokratische Gesinnung der Völker und die direkte Beziehung der Geschichte der Demokratie zur geschichtlichen Basis des kommunalen demokratischen  Zusammenlebens zeigt sich, dass eine westliche Betrachtung der Demokratie und Freiheit mit der tiefen Verwurzelung des herrschaftlichen Denkens über die Völker einher geht.

DAS EUROPA DER VÖLKER UND DER HERRSCHENDEN

In dieser Hinsicht kann nicht von einem Europa gesprochen werden. Es gibt das Europa der Herrschenden und deren Auffassung von Demokratie und Freiheit und das Europa der Völker. Das Freiheits- und Demokratieverständnis der Völker Europas ist nicht dasselbe, wie das der Herrschenden. Die Völker haben stets mit ihrem Kampf und ihrer Haltung versucht, den Staat zurück zu drängen und den demokratischen Raum zu vergrößern. Auch wenn die modernistische Einstellung, die ideologische Herrschaft und das westlich-kapitalistische System die kulturelle Lebensart der Völker in Hinsicht auf Gesinnung, Haltung und Praxis von Demokratie und wahre Freiheiten in die Irre führt, so ist dennoch die Sehnsucht der europäischen Völker nach Demokratie doch sehr stark. Es ist ein gesellschaftlicher Geist des Denkens und der Kultur entstanden. Auch wenn eine modernistische Einstellung und eine kapitalistische Kultur das Verstehen der Demokratie und seine Umsetzung in die Irre führt und Hindernisse aufbaut, so hat die in der Renaissance begonnene demokratische Einstellung und der Geist der Freiheit dennoch in der gesellschaftlichen Kultur einen besondere Stellung eingenommen. Und diese demokratische Kultur und seine Werte sind nicht wie von westlichen Politikern und Historikern behauptet eine Kultur, die mit der Magna Charta in der Gesellschaft Fuß gefasst und begonnen hat. Diese Kultur ist das Resultat von der Verteidigung der gesellschaftlichen Werte. Werten, die seit Beginn der Gesellschaftswerdung der Menschheit bis in die heutige Zeit getragen wurden, indem für sie gekämpft wurde. Dies ist dadurch zustande gekommen, dass die kommunalen, demokratischen Werte des Mittleren Ostens, die gesellschaftlichen Werte, Gefühle und demokratischen Keimzellen in den Westen hingetragen wurden. Die Bewertungen des Vorsitzenden Öcalan, die Renaissance als „das verbannte Kind des Ostens“ zu betrachten zeigt bestechend auf, wie die Geschichte zu bewerten ist.

DIE BETRACHTUNG DER VÖLKER AUF DIE GESCHICHTE

Wie erkennbar, muss die Geschichte aus der Sicht der Völker betrachtet werden. Die historische Gesellschaft ist genau zu analysieren und alle Entwicklungen müssen innerhalb der entsprechenden historischen Zeit und des Ortes abgehandelt werden. Erst wenn Ereignis und Fakten auf diese Weise behandelt und nicht westlich betrachtet werden, können die Entwicklungen im Iran noch besser analysiert werden. Allem voran muss es aufgegeben werden aus dem Blick des Westens auf den Iran zu schauen. Wenn vom Iran die Rede ist, kommt zu aller erst Fundamentalismus, Unterdrückung und Despotie in den Sinn. Ohne Zweifel herrscht im Iran ein unterdrückendes Regime. Das ist eine der Dimensionen. Eine andere Realität ist die der iranischen Völker. Und es gibt eine iranische Gesellschaft, die gesellschaftliche Realität des Irans. Man kann nicht von dem einen Iran sprechen. So wie man nicht von dem einen Europa sprechen kann. So wie es unterschiedliche Europas, USA’s, Franzosen, Deutsche gibt, so gibt es auch unterschiedliche Iraner.

DIE ORGINALITÄT DES WANDELS IM MITTLEREN OSTEN

Andererseits müssen die Ereignisse im Iran auf der Grundlage der mittelöstlichen  und der iranischen Geschichte analysiert werden. Nicht mit dem westlichen Blick sind Demokratisierung und Freiheit zu betrachten, sondern aus dem Blickwinkel der mittelöstlich-historischen Realität sind die Entwicklungen dieser Prozesse zu ersehen. Es ist nicht zutreffend die geschichtlichen Prozesse wie in Europa oder den USA  als demokratisch und die Prozesse außerhalb dieser Regionen als fehlerhaft in der Demokratie zu analysieren. Die Demokratie im Mittleren Osten wird sich selbst eigen entwickeln. Und auch die Freiheiten dort. Wie es der Vorsitzende Öcalan nannte: „Weil unsere Augen blind geworden sind, haben wir uns selbst verachtet und unsere eigenen Werte nicht gesehen.“ Dies ist eine wichtige Feststellung. Diese Aussage gilt nicht nur für die Kurden, sondern auch für die Iraner und die Araber. Öcalan hat diese Feststellung für die Gesellschaften im gesamten Mittleren Osten aufgestellt. Somit ist die Demokratisierung im Iran innerhalb des geschichtlichen Kontextes des Mittleren Ostens und des Irans zu betrachten.

DIE SEHNSUCHT NACH DEMOKRATIE UND FREIHEIT

Wie einige schon betont haben, finden die Entwicklungen im Iran nicht durch den amerikanischen oder britischen Einfluss statt. Oder wie es die gegenwärtige iranische Herrschaft nennt, nicht durch deren Intervention. Obwohl die USA und Europa in dieser Hinsicht mehrdimensionale Versuche unternehmen ist es falsch, die Entwicklungen im Iran auf deren Einflüssen zu begrenzen. Dies ist eine Beleidigung der Sehnsüchte der mittelöstlichen Völker nach Demokratie und Freiheit. Selbstverständlich beeinflussen freiheitliche und demokratische Ansätze der Weltvölker den Iran, aber damit ist nicht die Politik der USA und Europas gemeint. Oder deren Demokratie. Sicherlich gibt es bestimmte positive  Werte, die das Ergebnis des historischen Kampfes der europäischen Völker ist. Dieses hat sicher den Kampf der Völker beeinflusst. Das ist ein anderer Punkt. Aber zu behaupten, dass die USA und Europa eins zu eins Einfluss haben, ist eine Verkehrung der Dinge.

DER EINFLUSS DER BEFREIUNGSBEWEGUNG

Wenn stattdessen gesagt worden wäre, dass „die Entwicklungen im Iran am stärksten vom Demokratie- und Freiheitskampf der Kurden“ beeinflusst worden seien, dann wäre dies eine richtigere Behauptung gewesen. Denn es ist eine richtige und realistische Analyse, dass die kurdische Befreiungsbewegung im Mittleren Osten die Lunte der Demokratie und Freiheit gezündet und dies die iranische Gesellschaft beeinflusst hat, als das der Westen oder Europa dies in dem Grad getan hätten. Natürlich sind neben den iranischen Völkern insbesondere die Kurden durch den kurdischen Befreiungskampf beeinflusst. Damit meinen wir nicht, dass alle Entwicklungen im Iran dadurch stattgefunden haben. Innerhalb der Geschichte des Mittleren Ostens hat auch der Iran freiheitliche und demokratische  Erfahrungen. Wenn der Mittlere Osten das Fundament der kommunalen demokratischen Werte ist, dann hat das kommunale demokratische Leben seinen höchsten Einfluss in Kurdistan und im Iran. Es ist bekannt, dass die Kurden und Perser dieselben ethnischen Wurzeln haben und derselben Sprachgruppe angehören. Es ist zudem bekannt, dass die Perser und Belutschen Arier sind. Der Begriff „Iran“ bedeutet in seinem Wortstamm „Land der Arier“.

DIE INNEREN DYNAMIKEN IM IRAN

Die Entwicklungen im Iran können mit den inneren Dynamiken erklärt werden. Insbesondere hat das aktuelle Ayatollah-Regime nicht die Erwartungen des Volkes erfüllt. Die Gesellschaft ist dieser unterdrückenden Herrschaft müde. Es ist unzufrieden mit der Art, wie dieses Regime funktioniert. Aber dies bedeutet nicht, dass diese Gesellschaft wie der Westen leben oder das politische, soziale oder kulturelle Leben wie dort möchte. Auch die iranische Gesellschaft will ihre Freiheiten ausbauen und die Demokratie weiter entwickeln. Aber es ist unbestreitbar, dass dies nicht der Wunsch nach den europäischen Werten ist. Denn die Basis der Bewegung im Iran besteht immerhin aus Gruppen, die islamische Werte haben und diese als elementar betrachten.


Komplette Analyse des Kovorsitzenden von KODAR in der nächsten September/Oktober Ausgabe des Kurdistan Reports.