Die Morde an Dink, Santoro, im Zirve-Verlag und in Paris sind das Werk derselben Gruppe

alperen_ocaklariDer tiefe Staat und seine Werkzeuge
İsmet Kayhan, Journalist

Alperen Ocakları ist die Jugendorganisation der Partei der Großen Einheit [BBP, rechtsextrem-islamistische Partei in der Türkei], deren ehemaliger Vorsitzender Muhsin Yazıcıoğlu 2009 bei einem zweifelhaften Hubschrauberabsturz ums Leben kam. Ihr Name taucht auf in Verbindung mit den Morden an dem jüdischen Geschäftsmann Üzeyir Garih 2001, dem katholischen Priester Andrea Santoro 2006, dem armenischstämmigen Journalisten Hrant Dink 2007, mit dem Massaker im christlichen Zirve-Verlag in Meletî (Malatya) 2007 und der Ermordung der drei kurdischen Aktivistinnen in Paris 2013. Die BBP, die Pogromstimmung und -aufmärsche gegen Kurden organisiert, wird in den letzten Jahren im Zusammenhang mit mehreren undurchsichtigen Morden genannt.

Mustafa Öztürk ist Vorsitzender der Alperen Ocakları in Trabzon. Er hat gestanden, dass die Ermordung Hrant Dinks von der Alperen-Ocakları-Gruppe in Trabzon geplant und dieser Plan acht Monate vor der Tat ausgeheckt worden sei. In seinem Verhör im Dezernat für Terrorbekämpfung am 22. März 2007 in Istanbul sagt er aus, dies nach dem Mord an Dink auch zwei nach Trabzon geschickten BBP-Inspekteuren mitgeteilt zu haben.

Nach dieser wenig interessierenden Aussage gibt er zu, dass im April oder Mai 2006 im Gebäude der Trabzoner Alperen Ocakları »die Erschießung von Dink« geplant worden sei.

Noch vor dessen Ermordung kommt es in Trabzon zu weiteren Fällen mysteriöser Gewalt. Bei einem davon handelt es sich um die Explosion in einer dortigen McDonald’s-Filiale 2004. Zuvor kündigt Erhan Tuncel, Drahtzieher bei der Ermordung Dinks, in der Alperen-Ocakları-Hauptgeschäftsstelle in Ankara an, sie würden »im Ramadan die Türkei auf den Kopf stellen«.

Yasin Hayal jagt am 24. Oktober 2004 in Trabzon das McDonald’s in die Luft. Sechs Personen, darunter fünf Kinder, werden dabei verletzt. Erhan Tuncel ist der Drahtzieher, der hinter Hayal steht und ihm sogar die Bombe hergestellt und übergeben hat. Die Trabzoner Polizei verhaftet ihn zwar nach der Explosion, lässt ihn dann aber wieder laufen. Tuncel wird später als Gegenleistung für die ausbleibende Verurteilung zum Informanten der Trabzoner Polizei. Alle Beweise gegen ihn werden unterdrückt.

Hayal sagt vor Gericht aus, er selbst habe die Bombe hergestellt. Obwohl an dieser Tat mehr als eine Person beteiligt waren und sie politisch motiviert war, stufen Polizei und Staatsanwaltschaft in Trabzon diesen Fall nicht als »terroristisch« ein, sondern als Straftat. Ansonsten wären auch die Verbindungen zur Organisation untersucht worden. Doch das bleibt aus. Hayals Rechtsanwalt beantragt nach 11 Monaten, während das Verfahren noch läuft, die Entlassung aus der Untersuchungshaft und erreicht sie. Die erste Anlaufstelle Hayals nach seiner Entlassung ist der Sitz der Antiterroreinheit der Trabzoner Polizei.
Das Gericht in Trabzon verkündet am 14. Juni 2006 das Urteil im Falle der Explosion bei McDonald’s und verurteilt Yasin Hayal zu 6 Jahren und 8 Monaten Gefängnis. Aber da die Frist zur Berufung durch das Revisionsgericht abgewartet werden soll, wird er nicht erneut verhaftet.

Gülen-Gemeinde und BBP Hand in Hand

Nach diesen Geschehnissen beginnt Hayal, die Ermordung Hrant Dinks zu planen.

Das berichtete Erhan Tuncel am 17. Februar 2006 der Polizei in Trabzon, was er auch später wiederholt. Die Tatsache, dass die Schlüsselpersonen bei der McDonald’s-Explosion und dem Mord an Dink dieselben sind, bedarf einer näheren Betrachtung. Aber darüber liegt ständig eine »schützende Hand«. Manche sind der Meinung, sie gehöre der Bewegung von Fethullah Gülen, andere sagen, dem türkischen »tiefen Staat«.
Erhan Tuncel ist in einem der Işık-(Licht-)Häuser der Gülen-Bewegung aufgewachsen und BBP- und Alperen-Ocakları-Mitglied. Er ist »Nachrichtenlieferant« für Ramazan Akyürek, Polizeichef von Trabzon. Tuncel steht Akyürek so nahe, dass er ihn »Bruder Ramazan« nennt. Dass er zudem auf Muhsin Yazıcıoğlus Reise nach Elaziz (Elazığ) dessen Bodyguard ist, wird im Nachhinein durch Fotos bekannt. Ramazan Akyürek gehört der Gülen-Bewegung an. Er war vor dem Mord an Dink Chef des Polizeinachrichtendienstes und wird nachher zum Chef des Aufsichtsrats des Polizeipräsidiums befördert.

Ali Fuat Yılmazer ist der damalige Direktor der Abteilung C des Polizeinachrichtendienstes. Er steht zusammen mit Akyürek auf einer »Liste mit 57 Namen von Gülen-Anhängern im Sicherheitsapparat«, die der Vertreter des Generaldirektors des Sicherheitsdienstes, Necati Altıntaş, Anfang 2008 an fünf wichtige staatliche Stellen leitet.

Im Bericht des Aufsichtsrats des Ministerpräsidentenamtes mit der Unterschrift von Ministerpräsident Recep Tayyıp Erdoğan heißt es: »Yılmazer hat trotz Warnungen Dink nicht geschützt.« Es wird darin festgestellt, dass Yılmazer die Mordplanung verheimlicht und übergeordnete Stellen nicht benachrichtigt habe. Trotz solcher schwerwiegender Anschuldigungen wird keinerlei Untersuchung gegen ihn eingeleitet. Ganz im Gegenteil wird er noch mit einem höchsten Posten bei den Ergenekon-/Balyoz-Razzien belohnt.

Yasin Hayal wirft die von Erhan Tuncel erhaltene Bombe auf das McDonald’s-Gebäude. Er gibt Ogün Samast die Waffe, mit der Dink ermordet wird. Er wird festgenommen. Während seiner Zeit im Gefängnis helfen ihm ständig Führungsleute der BBP. Denn auch Hayal ist Mitglied von Alperen Ocakları.

Salih Hacısalihoğlu besorgt die Kugeln, die Dink töten. Er steht in Verbindung mit der BBP. Sein Vater war 2004 Bürgermeisterkandidat der BBP.
Dinks Mörder Ogün Samast geht bei den Alperen Ocakları ein und aus.

Die Verbindungen von Yasin Hayal, Erhan Tuncel und Ogün Samast zur Partei der Großen Einheit und zur Fethullah-Gülen-Bewegung werden offiziell niemals untersucht.

Ohne Ausnahme sind die Täter dieser Morde und der Explosion bei McDonald’s Militante der BBP und der Alperen Ocakları. Und unter der Kontrolle der Fethullah-Gülen-Bewegung. Auch der Richtermörder im Staatsrat 2006, Alparslan Arslan, ist ein im Işık-Haus von Gülen aufgewachsener BBP-Militanter.

Nach der Ermordung Hrant Dinks äußert sich Muhsin Yazıcıoğlu:
»Wir akzeptieren es nicht, dass mit den Worten ›Wir sind alle Hrant, wir sind alle Armenier‹ Staat und türkisches Volk auf die Anklagebank gesetzt werden. So wie bei Dink müssten die Reaktionen mit derselben Sensibilität auch für die gefallenen Mehmetçiks [Synonym für einfache türkische Soldaten], Polizisten und türkischen Staatsbürger erfolgen. Wollen wir in unserem Land Ruhe und Frieden, dürfen wir keine Doppelmoral gelten lassen. Warum reagieren wir nicht auf die Zustände in Palästina, Tschetschenien und Bergkarabach?«

Priester Santoro, das erste Glied

5. Februar 2006 … Der katholische Priester Andrea Santoro wird in Trabzon in der Kirche Santa Maria während seines Gebets getötet. Sein Telefon ist vor seiner Ermordung vom Staat mit der Behauptung, er sei »Pontus-Grieche«, abgehört und er selbst überwacht worden. Die Mutter seines Mörders Oğuzhan Akdin ist Mitglied der AKP-Frauengruppe, der Vater MHPler [Partei der Nationalistischen Bewegung, rechtsextreme Partei in der Türkei].
Die Morde an Santoro und Dink, im Zirve-Verlag in Meletî und an den drei Frauen der kurdischen Bewegung in Paris müssen als Ganzes gesehen werden.

Der Journalist Ertuğrul Mavioğlu macht in seinem Artikel vom 14. August 2008 bei »bianet« mit Verweis auf die in den Unterlagen zur Ergenekon-Anklageschrift durch das Auskunftsamt des Ägäischen Heeres aufgelisteten Städte mit missionarischen Aktivitäten darauf aufmerksam, dass sich dort Angriffe auf Christen verstärkten.

Auffällig ist die Gemeinsamkeit bei all diesen Angriffen, da alle Verhafteten entweder minderjährige oder verwirrte Personen sind.

Auch nach dem Mord an Santoro wird der damals 16-jährige Oğuzhan Akdin als einziger Täter festgenommen. Doch es wird nicht weiter auf die Fragen eingegangen, wie ein 16-Jähriger an eine 10 000 Lira teure Glock-Waffe gelangte, wie ein Jugendlicher dieses Alters aus großer Entfernung zwei gezielte Schüsse abgeben konnte, welche Rolle der Polizist Muhittin Zenit bei den Morden an Dink und Santoro spielte, dass der im Dink-Fall Verdächtige Yasin Hayal den Priester Santoro geschlagen hatte und vieles mehr.

Der Jurist und Autor Orhan Kemal Cengiz bewertet den Mord am Priester Santoro mit dem anschließenden Mord an Hrant Dink und das Massaker im Zirve-Verlag in Meletî als Startsignale.

Er betont, dass die Mörder in diesen drei Fällen dasselbe Profil zeigten, und beschreibt die jungen Leute so: »Ihr Alter liegt zwischen 17 und 19 Jahren, sie sind überaus nationalistisch, haben auf irgendeine Weise mit dem staatlichen Geheimdienst zu tun und passen genau in das Bild des jungen Gesindels, das in das Ergenekon-Konzept passt und das es zu organisieren gilt.«

Er sagt weiter, dass die Gesellschaft nach dem Mord an Santoro den Fall als »Tötung des christlichen Geistlichen durch einen zornigen Jungen« kommentiert und ihn erst nach dem Massaker im Zirve-Verlag damit in Beziehung gesetzt habe. Die Akte Santoro wird, noch bevor jemand etwas verstanden hat, sehr schnell geschlossen.

Diskussion über Missionare auf der MGK-Versammlung 2001

Das erste Mal wurde 2001 im Nationalen Sicherheitsrat (Milli Güvenlik Kurulu – MGK) darüber diskutiert, missionarische Aktivitäten als Gefahr zu betrachten. Ab 2002 wurde das Thema Missionare erneut auf die Tagesordnung des MGK gesetzt und, um den Nährboden für die später geplanten Morde zu schaffen, auf jeder MGK-Versammlung wieder aufgenommen. In zeitlicher Parallele erstellte die Handelskammer Ankara einen auffälligen Bericht über Missionarstätigkeiten. Darin werden Minderheiten als »Feinde« bezeichnet.

Nach dem Massaker im Zirve-Verlag kommt es in Samsun, Amed (Diyarbakır), Mersin und Izmir zu ähnlichen Mordversuchen. Der wichtigste davon die Vorbereitung eines Anschlags auf den Bürgermeister der Stadt Amed, Osman Baydemir.

Dieselbe Gruppe bei den Pariser Morden?

Es wird jetzt erkennbar, dass dieselbe Gruppe ihre Finger auch in den Pariser Morden hatte. Es gibt Hinweise darauf, dass bei den Morden an Sakine Cansız, Leyla Şaylemez und Fidan Doğan die Gülen-Bewegung und Alperen Ocakları gemeinsam aktiv waren.

Der Tatverdächtige Ömer Güney selbst stammt aus dem Nachbardorf Muhsin Yazıcıoğlus, Polatpaşa. Seine Familie ist nationalistisch eingestellt. Auf der persönlichen Facebook-Seite Güneys verherrlichen Schriften, Fotos und Gedichte Yazıcıoğlu. Kurz nach den Morden lässt sich sein Onkel Zekayi Güney in der Zeitung »Taraf« vernehmen: »Wir sind Patrioten und unterstützen als gesamte Familie Yazıcıoğlu. Wir sind mit seiner Partei auf einer Linie. Wir glauben nicht daran, dass Ömer in solche Sachen verstrickt ist. Falls ja, dann hat ihn jemand benutzt. Eine solche Tat kann nicht allein ausgeführt werden und sie müssen die Organisation dahinter ausfindig machen.«

Bayık verweist auf die Gülen-Gemeinde und die BBP

Der Kovorsitzende des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), Cemil Bayık, wies jüngst in einem Interview mit der Nachrichtenagentur ANF im Zusammenhang mit der Ermordung der drei Revolutionärinnen in Paris auf die Gülen-Bewegung hin: »Der Parallelstaat, im Zentrum der Fethullah-Anhänger, entwirft Pläne und zeigt eine Politik, unsere Bewegung zu vernichten. Daher besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie auch beim Massaker in Paris eine Rolle spielen.« Bayık machte auch auf die Verbindungen des Tatverdächtigen aufmerksam: »Es gibt Hinweise, dass der Verdächtige in Beziehung zu den Fethullahisten stehen könnte. Es gibt Hinweise, sogar Beweise, dass er eine organische Verbindung mit der Partei der Großen Einheit hat. Die Beziehungen zwischen BBP und Fethullahisten haben sich geändert. Sie sind sehr eng. Während der Staat vor 1980 die MHP benutzte, hat er sich nach dem 12. September des Parallelstaats und der BBP bedient, die sich im Staat eingenistet hatten und ihre Hegemonie aufbauen wollten. Die Fethullahisten sind innerhalb des Staates in der Polizei und der Justiz sehr stark. Sie stehen in enger Beziehung zur BBP. Das zeigt auch die Realität, dass die BBP hinter den schmutzigen Morden der letzten Jahre steckt. Es ist anzunehmen, dass die Alperen Ocakları in den Fällen des Priesters Santoro, Hrant Dinks, Meletîs und vieler anderer ihre Finger im Spiel haben. Die Hinweise und Informationen verdichten sich, dass die Person, die das Massaker in Paris verübt hat, aus diesem Umfeld kommt.«

»Sie haben unser Feld schon vor langer Zeit gepflügt«

Seit Beginn der 2000er Jahre wurden türkeibezogen mehrere Morde verübt. Kein einziger dieser Morde ist aufgeklärt worden. Sie scheinen in den letzten zehn Jahren mit zunehmender Deutlichkeit auf die BBP und die Gülen-Bewegung hinzuweisen.

Die Basis der Jugendlichen im Umfeld der Alperen Ocakları wird offenbar auf außerordentliche Operationen vorbereitet. Denn auf die Frage des Journalisten Şamil Tayyar »Sie haben das Leid dieser Arbeit zu spüren bekommen, warum gewinnen Sie nicht die Kontrolle über Ihre Organisationen?« antwortete Muhsin Yazıcıoğlu: »Ich versuche mein Bestes, um das abzuwehren. Aber sie haben unser Feld schon vor langer Zeit gepflügt … Wir sind in diesem Land umgeben von gepflügten Feldern. Auf einem Feld, auf dem ständig dasselbe angebaut wird, müssen wir für das Klima Fürbitte leisten. Wird die MHP nicht deshalb gelobt, weil sie gut auf ihr Feld achtet?«

 

Quelle: Kurdistan Report 173 | Mai/Juni 2014 (http://www.kurdistan-report.de/)

 

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