Shawrash Khane über die Demokratischen Kräfte Syriens; für den Kurdistan Report September/Oktober 2017
In einem weiten geographischen Gebiet in Nord- und Nordostsyrien wehen die Fahnen der Demokratischen Kräfte Syriens (im arab. Orig.: QSD), jener Einheiten, die aus religiös und ethnisch unterschiedlichen militärischen Gruppen gebildet werden. All diese verschiedenen Strukturen stellen einen einzigartigen Zustand innerhalb des Syrienkonflikts dar, weil sie zusammengesetzt sind aus multireligiösen, -nationalen und -konfessionellen militärischen Gruppen von Kurden, Arabern, Turkmenen, Assyrern und Tschetschenen, die sich alle unter dem Schirm der QSD sammeln, alle mit dem Ziel, die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien zu bekämpfen.
Die Harmonie und die Fähigkeit der QSD im Bodenkampf gegen den IS haben sie zu einer festen Größe in der militärischen und politischen Gleichung in Syrien gemacht, und trotz der Komplexität der Gleichung im Hinblick auf politische Interessen haben die Kräfte der internationalen Koalition, die von den Vereinigten Staaten angeführt werden, den QSD kontinuierliche Luftunterstützung gegen diese terroristische Organisation geleistet. Und die Unterstützung der Koalition war nicht auf Luftangriffe beschränkt, sondern beinhaltete auch die Entsendung militärischer Verstärkung auf syrisches Territorium, um diese Truppen in ihren Einsatzgebieten zu unterstützen. Ein Schritt, der – politisch und militärisch – die anderen bewaffneten syrischen Oppositionsgruppen und bestimmte Regionalstaaten verärgerte.
Zusammensetzung der QSD
Die QSD werden gebildet aus einer Anzahl militärischer Kampfgruppen und Fraktionen, die alle Segmente der syrischen Gesellschaft einbeziehen, in denen die QSD eingesetzt sind. Diese Gruppen umfassen:
Volksverteidigungseinheiten (YPG): Das sind große militärische Einheiten, überwiegend gebildet aus kurdischen Kämpfern zusammen mit anderen syrischen Komponenten (d. h. Arabern, Turkmenen, Assyrern und Tschetschenen).
Frauenverteidigungseinheiten (YPJ): Kurdische Kämpferinnen sowie Araberinnen.
Al-Sanadid-(»mutige«)Truppen: Arabische militärische Kräfte, von denen die meisten zum Schammar-Stamm gehören, der von Scheich Hamidi Dahham al-Hadi al-Dschurba geführt wird, dem Herren über den Al-Dschazira-Sektor in den Regionen der Demokratischen Selbstverwaltung von Syrien.
Dschaisch al-Thuwwar (Armee von Revolutionären): Die Kämpfer in dieser Militärfraktion gehören zu den Regionen Aleppo, Idlib, Homs, Hama, Azaz und al-Bab, die meisten von ihnen sind Araber.
Verbände der Al-Dschazira-Brigaden: Gebildet aus einer Gruppe von Militärfraktionen, die zu den arabischen Stämmen gehören, wie etwa den Schammar, al-Scharabiya, al-Dschabur und al-Bakkara, zusammen mit einem Anteil tschetschenischer syrischer Kämpfer, die aus der syrischen Stadt Serê Kaniyê (Ras al-Ayn) stammen.
Verbände der Al-Furat-Brigaden: Arabische Kämpfer, die zu den Stämmen der Tell-Abyad-Region und der ländlichen Region um Raqqa gehören. Diese Stämme umfassen die al-Badu, al-Assaf, al-Adadilah und al-Waldah.
Kataeb Schams asch-Schamal: Dieses Bataillon hatte zusammen mit der Freien Syrischen Armee (FSA) operiert, bevor es sich von ihr trennte. Es besteht vor allem aus arabischen Kämpfern und repräsentiert zurzeit das wesentliche Element des Militärrats von Minbic (Manbidsch).
Thuwwar Manbidsch (Bataillon der Manbidsch-Revolutionäre): Arabische Kämpfer, ehemals bei der FSA, operieren zurzeit unter der Führung des Militärrates von Minbic.
Dschund al-Haramayn: Arabische Kämpfer aus der Stadt Minbic.
Brigade Tahrir al-Furat (Befreiung des Euphrat): Die Kämpfer sind überwiegend Araber aus der Stadt Minbic und deren Umland.
Bataillon Schuhada al-Furat (Märtyrer des Euphrat) aus Cerablus (Dscharabulus): Kämpfer sind überwiegend Araber aus dieser Stadt.
Ahrar Dscharabulus: Kurden und Araber aus der Stadt Cerablus.
Ahrar al-Bab: Arabische Kämpfer aus dieser Stadt.
Ahrar Arimah: Arabische Kämpfer, die ihren Beitritt zum Militärrat von al-Bab erklärt haben.
Bataillone Schuhada (Märtyrer aus) Qabasin: Die meisten ihrer Kämpfer sind aus dem Gebiet nördlich von Aleppo. Sie sind dem Militärrat von al-Bab beigetreten.
Dschabhat Thuwwar al-Raqqa (Front der Revolutionäre Raqqas): Arabische Kämpfer aus dieser Stadt.
Militärrat von Dair az-Zaur: Die meisten seiner Kämpfer sind arabische Stammesangehörige von dort.
Militärrat von al-Bab: Eine Mischung von arabischen, kurdischen und turkmenischen Kämpfern aus dieser Stadt und deren Umland.
Militärrat von Cerablus: Eine Mischung von arabischen und kurdischen Kämpfern aus dieser Stadt und deren Umland.
Militärische Anti-Terrorismus-Aktivitäten der QSD
Seit ihrer Gründung am 10. Oktober 2015 haben die QSD an zahlreichen militärischen Offensiven gegen die Terrororganisation IS teilgenommen, gemäß folgendem Zeitrahmen:
Befreiung von al-Hol und den südlichen Gebieten der Provinz Hesekê (al-Hasakah).
Befreiung des strategischen Tişrîn-Staudamms.
Kampagne »Zorn von al-Khabur«, während der die Stadt asch-Schaddadi befreit wurde.
Kampagne »Die Kinder Alan und Cudi rächen«.
Befreiung der strategischen Stadt Minbic [Juni–August 2016].
Offensive »Zorn des Euphrat« zur Befreiung von Raqqa (hält derzeit weiter an).
Zum Zeitpunkt dieser Untersuchung wird das von den QSD kontrollierte Gebiet, inklusive der kurdischen Stadtviertel von Aleppo, auf etwa 34.800 km² geschätzt, was ungefähr 18,79 Prozent des gesamten syrischen Territoriums entspricht.
Zum Zeitpunkt dieser Untersuchung wird das gesamte durch die QSD seit ihrer Gründung aus den Händen des IS befreite Gebiet auf 15.400 km² geschätzt. Es umfasst große Städte wie etwa Minbic, Tell Abyad, al-Hol, Dutzende Unterbezirke und Städte und Hunderte Dörfer und Höfe.
Zum Zeitpunkt dieser Untersuchung sind die QSD an einer Frontlänge von 450 km gegen den IS aktiv.
Die QSD kontrollieren ausgedehnte Gebiete von Nord- und Nordostsyrien und Tag für Tag entwickeln sie sich zur größten militärischen Gruppe in Syrien – im Hinblick auf Personal und Kapazitäten ihrer Kämpfer. Die meisten der militärischen Fraktionen der QSD hatten militärisches Training, das von den Volksverteidigungseinheiten durchgeführt wurde, die für ihre militärischen Taktiken und Fähigkeiten und den Mut ihrer Kämpfer bekannt sind. Diese Einheiten haben ihre Fähigkeit zu siegen bewiesen, ob gegen eine reguläre Armee wie die syrische oder im Guerillakrieg gegen die Nusra-Front und den IS.
Verfolgt man den Einsatz der QSD in weiten Gebieten Syriens, wird man eine Zunahme des Personals in ihren Reihen beobachten, besonders mit dem Zustrom arabischer Stammesangehöriger auf dem Lande in Raqqa, Minbic, Dair az-Zaur und Cerablus.
Dieser Anstieg der Zahl der Kämpfer liegt an verschiedenen, für die QSD günstigen Faktoren, von denen die wichtigsten sind:
Einer dieser signifikanten Faktoren ist die Struktur der QSD und ihr Vertrauen auf die Militärräte in jeder Region oder Stadt. Diese Militärräte werden durch ihre eigenen Leute gebildet und sie kämpfen unter einer speziellen Fahne, die die Stadt oder Region repräsentiert. Das ist eine starke Motivation für die Bewohner dieser Gebiete und Städte, den QSD beizutreten. Der am 2. April 2016 gegründete Militärrat von Minbic ist ein Beispiel dafür.
Es gibt außerdem Öffentlichkeitsarbeitsbüros, die direkt dem QSD-Kommandorat in den von den QSD befreiten Städten berichten. Das Öffentlichkeitsarbeitspersonal mischt sich unter die lokalen Bewohner und hört sich ihre Meinungen und Beschwerden an. Sie halten auch QSD-Angehörige fest, die verantwortlich sind für jegliche Gewalt gegenüber den Einwohnern. Die Öffentlichkeitsarbeitsbüros werden üblicherweise mit Stammes-Scheichs oder bekannten Personen in den Gebieten besetzt.
Die meisten der durch die QSD befreiten Städte wie etwa al-Hol, Minbic und asch-Schaddadi waren von anderen bewaffneten Gruppen besetzt gewesen, angefangen bei der FSA und der Nusra-Front bis hin zum IS. Diese Gruppen gaben den Einwohnern einen Eindruck von jeglicher Art von Unterdrückung und Knechtschaft, was unter Kontrolle der QSD so ziemlich das Gegenteil ist.
Bestandteil der QSD-Strategie ist es, die Städte nach ihrer Befreiung vom IS an lokale zivile Räte zu übergeben. Die lokalen Räte wiederum bilden aus Einwohnern der eigenen Städte autonome Verwaltungen. Die QSD übergaben die Stadt Minbic an den zivilen Rat von Minbic, der sie aktuell leitet. Der Zivilrat hat am 20. Februar 2017 eine demokratische zivile Verwaltung für Minbic und Umgebung bekannt gegeben. Darüber hinaus bietet die Unterstützung der US-geführten internationalen Koalition für die QSD den Einwohnern einen weiteren Anreiz, sich den QSD anzuschließen.
Die QSD setzen auf ideologische Schulung für ihre Kämpfer, bevor diese an Kampfhandlungen teilnehmen. Akademien gibt es in der ganzen Gegend von Hesekê, Minbic und im Umland von Raqqa. Der ideologische Unterricht konzentriert sich auf das Denunzieren des Extremismus und die Vermittlung des Konzepts der »Geschwisterlichkeit der Völker«, das auf Gerechtigkeit, Toleranz und Gleichheit basiert.
Die Führungsrolle von Frauen in den QSD
Die Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) sind ein grundlegender Bestandteil der QSD. Die meisten Frauen sind Kurdinnen, aber es gibt auch eine Mischung aus arabischen, aramäischen und assyrischen Frauen. Die Fundamente, auf denen diese Fraueneinheiten gründen, sind die Entlarvung der Mentalität des Extremismus und die Betonung des Rechts der Frauen, frei und ehrenhaft zu leben und sich gegen die männliche Mentalität zu verteidigen, die der Freiheit der Frau feindlich gesinnt ist. Die kurdischen Frauen haben sich in der Konfrontation mit den Terrororganisationen mit ihrem Bewusstsein und ihrer Kraft durchgesetzt und ein Beispiel für die Welt gegeben. Mit der Einrichtung und der Ausweitung der QSD auf mehrheitlich arabische Regionen wie etwa al-Schaddadi und die Gebiete rund um Raqqa war es nur natürlich, dass sich das bahnbrechende Frauenexperiment auch in den arabischen Regionen ausbreitet. Das wurde durch die wachsende Zahl arabischer Frauen in den Reihen der QSD belegt. Die Kämpferin und offizielle Sprecherin der Offensive zur Befreiung von Raqqa »Zorn des Euphrat«, Jihan Scheikh Ahmad, gab folgende Erklärung für unsere Untersuchung:
»Die Zusammensetzung der Frauenverteidigungseinheiten der QSD ist nicht allein auf kurdische Frauen begrenzt, sondern umfasst auch andere, insbesondere arabische. Sie schließen sich unseren Einheiten mit extremer Begeisterung an und ihre Zahl steigt mit unserem Vordringen nach Raqqa. Unsere militärischen QSD-Offensiven werden begleitet von breiten Sensibilisierungskampagnen unter der lokalen Bevölkerung, besonders unter den arabischen Frauen, die durch überkommene Bräuche und Traditionen, die sich gegen die Freiheit der Frau richten, unterdrückt wurden ebenso wie durch das Leiden, das sie von extremistischen Organisationen ertragen mussten. Wir haben spezielle Aufklärungsakademien für Frauen, die Frauenrechte, Gleichheit zwischen Mann und Frau und das Recht der Frau, sich zu organisieren und selbst zu verteidigen, behandeln. Einer der Hauptgründe, warum sich arabische Frauen den QSD anschließen, sind die Unterdrückung, die Angriffe und die Vergewaltigungen, die êzîdische Frauen erleiden mussten, was ein hohes Maß freien Willens bei der arabischen Frau zum Vorschein brachte. Die arabischen Stämme unterstützen diese Ideen sehr stark.«
Die ethnische Zusammensetzung der QSD korrespondiert in allen Aspekten mit den Befreiungsoperationen dieser Kräfte. Dieser wichtige Aspekt widerlegt völlig die Lügen, die durch den QSD feindlich gesonnene Gruppen oder Regionalstaaten verbreitet werden, dass es sich bei den QSD mehrheitlich um kurdische Kräfte handle, die danach strebten, arabische Regionen zu besetzen oder deren Bevölkerungszusammensetzung zu verändern. In diesem Kontext gab Brigadegeneral Husam al-Awak, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im Kommandorat der QSD, unserer Studie die Erklärung: »Die QSD wurden am 10. Oktober 2015 gegründet. Ihre Hauptstruktur baut auf einer Koalition aller Komponenten auf, die sich in der syrischen Al-Dschazira-Region finden – Kurden, Araber, Suryoye, Turkmenen und Assyrer. Die kurdische Komponente hat den größten prozentualen Anteil an den QSD, aufgrund der Tatsache, dass die aus den Händen der IS-Terrororganisation befreiten Gebiete mehrheitlich kurdische sind, besonders die Region von Kobanê. Mit dem Vorrücken der QSD und mit der Unterstützung durch die US-geführte internationale Koalition waren die Kräfte jedoch in der Lage, eine große Zahl arabischer Gebiete zu befreien, was zu einer großen Zahl von Arabern geführt hat, die den Reihen der QSD beigetreten sind. Das politische Dach (der Demokratische Rat Syrien) dieser Kräfte wurde gebildet und sie präsentierten ihre politischen, sozialen und humanitären Ideen im Rahmen einer Vision der Zukunft, in der sich alle Teile an einem umfassenden Gesellschaftsvertrag mit der Theorie der demokratischen Nation, Geschwisterlichkeit der Völker und Koexistenz beteiligen, um Freiheit und Demokratie für die Völker der Region zu erreichen, ohne ethnische, konfessionelle oder Stammesdiskriminierung. Nachdem der Rat gebildet worden war und die Menschen die Zukunftsvision kennengelernt hatten, verlangten prominente Persönlichkeiten und Scheichs arabischer Stämme aus der Umgebung im Hauptquartier des Demokratischen Rates Syrien, dass ihre Söhne und Töchter dem Rat beitreten, genauso wie sie es bei den QSD mit der Teilnahme am Kampf zur Vernichtung des IS taten. Trainingscamps wurden eröffnet und jeder mit militärischer Erfahrung arbeitete als Ausbilder und alle ohne militärische Erfahrung wurden von kurdischen und arabischen Ausbildern instruiert. Arabische Stämme aus den IS-kontrollierten Gebieten wurden kontaktiert und mit dieser Kommunikation geheime Zellen organisiert, um die QSD mit Informationen zu versorgen und verdeckt mit ihnen zu arbeiten. Wir im QSD-Kommandorat glauben, dass der Anteil der Araber, besonders der Söhne arabischer Stämme, in den nächsten zwei Monaten fünfzig Prozent der QSD erreichen wird. Und von hier an muss jeder wissen, dass unsere Kräfte zu einer tragenden Säule und einem Kern der syrischen nationalen Armee geworden sind und dass eine hochkarätige Unterstützung dieser Kräfte für die Zeit und das Blut zur Eliminierung des Terrorismus sorgen und ausgezeichnete Beziehungen zu allen Nationen auf der Basis gemeinsamer Interessen der Völker der Region aufbauen wird.«
In einer Erklärung vom 8. Dezember 2016 bestätigte Colonel John Dorian, offizieller Sprecher der US-geführten internationalen Koalition, dass ungefähr 13.000 der 45.000 QSD-Kämpfer den arabischen Anteil ausmachten.
Auf Grundlage o. g. Informationen lässt sich sagen, dass die verbindliche Organisationsstruktur der QSD, die Kompetenz ihrer Kämpfer vor Ort, die demokratischen Konzepte innerhalb der Organisation und deren Verurteilung von Hass und Rache bei der Übergabe befreiter Gebiete an die zivilen Räte die QSD zu einer führenden Kraft haben werden lassen, gemessen an all den anderen in Syrien kämpfenden bewaffneten Gruppen, von denen die meisten von islamischem oder chauvinistischem Extremismus dominiert werden. All das hat die QSD zu einer Zielscheibe für viele der ausländischen und heimischen Parteien gemacht, die gegen das syrische Regime opponieren oder es unterstützen, vor allem die mit der Türkei oder Iran in Verbindung stehenden politischen und militärischen Gruppen und Staaten, die jegliches demokratisches Modell auf der Basis historischer kommunaler Vielfalt und des Rechts der Menschen, ihr eigenes Schicksal zu bestimmen, fürchten; ein Modell mit komplexen internen Gemeinschaftsfragen, das es ablehnt, diese durch Unterdrückung der Menschen zu lösen. Die kurdische Frage ist historisch gesehen eine der am häufigsten unterdrückten, die in Iran und der Türkei ethnischer und politischer Säuberung unterworfen waren, insbesondere seit die kurdischen Kämpfer zu den etabliertesten und effektivsten Gruppen innerhalb der QSD zählen.
Die Türkei und die QSD
Die Türkei versteckt ihre Feindseligkeit gegenüber den QSD nicht. Ganz im Gegenteil, sie erklärt sie offen, indem sie in die Syrienkrise eingreift. Seit Beginn des Syrienkonflikts hat die Türkei die militärischen und politischen Entwicklungen der Kurden in Syrien (Rojava, Westkurdistan) behindert, denn wenn sie in Syrien ihre nationalen Rechte bekommen, dann werden die mehr als 25 Millionen Kurden in der Türkei [je nach Zählweise] in Aufruhr versetzt. Schon früh in der Revolution in Syrien hat die Türkei mit der Unterstützung syrisch-arabischer bewaffneter Gruppen mit dem Ziel, sie in Kämpfe gegen die Kurden zu involvieren, vorbeugende Schritte unternommen. Das ist deutlich belegt durch die türkische Unterstützung für Ahrar al-Scham und die Nusra-Front im Kampf von Serê Kaniyê an der syrisch-türkischen Grenze. Die Unterstützung wurde offensichtlich, als Fotos dieser Gruppen, wie sie die syrisch-türkische Grenze überqueren, in sozialen Netzwerken gepostet und damit belegt wurden. Es war für niemanden ein Geheimnis mehr. Nachdem sie gescheitert waren, die Stadt Serê Kaniyê zu kontrollieren, griff der türkische Geheimdienst darauf zurück, junge Männer aus Dair az-Zaur, Raqqa und Hesekê in Flüchtlingslagern in der Türkei zu sammeln. Sie arbeiteten daran, die Stämme und bekannte arabische Persönlichkeiten aus den o. g. Regionen für sich zu gewinnen, um den Kurden in Rojava feindlich gesonnene, parallele militärische Truppen zu schaffen. Diese sollten künftig eine Alternative zur internationalen Koalition in bevorstehenden Kämpfen gegen den IS in Städten wie Raqqa und Dair az-Zaur sein. Das ging einher mit dem schwindenden Einfluss des IS und dem wachsenden Einfluss der Volksverteidigungseinheiten.
Die Ankündigung der QSD hinsichtlich ihrer Bemühungen in den ländlichen Gebieten von Hesekê und Raqqa, bewaffnete Brigaden aus hier ansässigen Stammesangehörigen zu bilden, versetzte dem Plan der Türkei, die Stammesangehörigen in jenen Gebieten zu benutzen, einen herben Schlag. Besonders nachdem die Vereinigten Staaten von Amerika, NATO-Verbündete der Türkei und Anführer der internationalen Koalition, dieses Projekt unterstützten.
Selbstverständlich wird der Fortschritt des QSD-Projekts und dessen Unterstützung durch die internationale Koalition die Chancen der Türkei mindern, ihre Ambitionen in den QSD-kontrollierten Gebieten zu realisieren, und wird allmählich ihre Hoffnungen auf Kontrolle – durch die Ausnutzung untergeordneter Gruppen – über Gebiete von Hesekê, Dair az-Zaur und Raqqa verringern. All das drängte die Türkei dazu, eine Entscheidung zu treffen und direkt in Cerablus zu intervenieren, um den Vormarsch der Kurden Richtung Afrîn zu stoppen, besonders nachdem deren Truppen die Stadt Minbic befreit hatten. Und das neben dem laufenden nicht erklärten Krieg der Türkei gegen diese Truppen, da sie den Kampf gegen die QSD fortsetzt und sie durch eine Anzahl unterschiedlicher Methoden zu eliminieren sucht:
Die Türkei erkennt in ihrer offiziellen Korrespondenz oder ihren Medien weder die QSD an noch den Namen »Demokratische Kräfte Syriens«. Sie assoziiert die QSD mit den Volksverteidigungseinheiten, die wiederum (laut Türkei) Produkt der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) seien, die laut NATO und EU als terroristische Organisation ausgewiesen ist. Dieses Thema ist vielleicht die Kernfrage der türkischen Diplomatie, wenn die QSD mit der Kurdischen Arbeiterpartei verknüpft und gefordert wird, dass die internationale Koalition, insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika, die Unterstützung kappt und das QSD-Projekt vereitelt.
Die Türkei missdeutet das Projekt QSD absichtlich, indem sie die QSD als separatistische Kraft bezeichnet, die beabsichtige, die Araber zu vertreiben und die Bevölkerungszusammensetzung in ihren Einsatzgebieten zu verändern. Die Türkei beruft sich auch auf die ihr gegenüber loyale syrische Opposition, um die QSD als loyal zum Assad-Regime stehende Kräfte innerhalb der syrischen Gesellschaft darzustellen. Das soll die QSD von jeglichen Verhandlungen, an denen die bewaffneten Gruppen teilnehmen, um die Zukunft Syriens zu bestimmen, oder jeglichen Waffenstillstandsverhandlungen ausschließen.
Die Türkei könnte auf eine Strategie zurückgreifen, die Kampfgruppen und bewaffneten Fraktionen unter dem Schirm der QSD aufzubrechen, indem sie Agenten platziert und finanzielle Motive ausnutzt, um QSD-Mitglieder zum Überlaufen zu bewegen.
Die Türkei griff auch auf Attentate gegen prominente QSD-Führungskräfte zurück. Die QSD beschuldigten türkische Agenten der Ermordung des Kommandanten des Militärrates von Cerablus, Abd al-Sattar al-Dschadir, am 22. August 2016.
Außerdem besteht die Möglichkeit eines Angriffs auf die Stadt Minbic durch Türkei-gestützte Gruppen (Schutzschild-Euphrat-Fraktionen), um ausreichend Platz zu schaffen für künftige Sicherheitszonen.
Die Position Irans und des syrischen Regimes gegenüber den QSD
Niemandem, der das Thema Syrien verfolgt, ist das Ausmaß der Macht und des Einflusses Irans auf die strategischen Entscheidungen in Syrien, besonders in Bezug auf die Kurden in Syrien, verborgen geblieben. Die Situation Irans ist dieselbe wie die der Türkei. Iran fürchtet sich vor den Erwartungen der Kurden und ihrem Einfluss auf die innere Lage in Iran. Kurdische Staatsangehörige bilden eine der größten Gruppen in Iran. Ihre Erwartungen und Hoffnungen werden sich verstärken und es wird Iran beeinflussen (Ostkurdistan/Rojhilat).
Mit der zunehmenden Rolle der Kurden in Syrien und ihren Bemühungen in den Gemeinschaften, durch die Ausrufung autonomer Verwaltungen in Rojava politische und militärische Organisationen zu bilden, erkannte Iran die gefährliche Lage und entschied umgehend, den Zuwachs der Kurden in Syrien zu begrenzen, indem er arabische Stammesmilizen, besonders in der Provinz Hesekê (al-Dschazira), zu organisieren begann.
Der schiitische Iran wird jedoch Schwierigkeiten haben, die arabischen Stämme, welche Sunniten sind, zu organisieren. Diese Stämme haben Verbindungen zu Stämmen in Irak, die über die schlechte Behandlung durch die iranisch gestützten Kräfte (People´s Mobilization Forces PMF) klagen.
Um diese Milizen in Syrien zu etablieren, besonders in den Gebieten unter dem Einfluss der kurdischen Kräfte, begannen die iranischen Revolutionsgarden die Saiten des arabischen Nationalismus anzuschlagen, indem sie diese Milizen als eine Möglichkeit formten, klassische, bestehende (d h. religiöse/schiitische) Hindernisse zu überwinden.
Tatsächlich begann Iran 2013 damit und stützte sich dabei auf den syrischen Geheimdienst und Offiziere der libanesischen Hisbollah. Iran nutzte die Präsenz des syrischen Regimes in bestimmten Sicherheitssektoren in Hesekê und Qamişlo (al-Qamischli) als Basis für die Milizen.
Iran versorgte diese Gruppen und die militärischen Fraktionen mit Ressourcen, Hisbollah-Mitglieder bildeten sie aus und der syrische Geheimdienst (nationale Verteidigung und Kommando-Miliz) überwachte sie. Die Gruppen erfuhren dann eine starke Gegenwehr der kurdischen Kräfte und die Situation eskalierte bis hin zu Konfrontation und Straßenkampf in Hesekê und Qamişlo. Die »kurdischen Einheiten« zerschlugen sie, bis von ihnen nicht mehr übrig blieb als der Anschein einer Präsenz in den Sicherheitssektoren.
Nach der Befreiung von Tall Hamis [Feb. 2015] und Tall Barak durch die Volksverteidigungseinheiten begann sich die Angelegenheit in eine entgegengesetzte Richtung zu entwickeln, als Teheran und seine Marionetten bezweckt hatten. Die jungen arabischen Männer aus den dortigen Stämmen begannen, den Volksverteidigungseinheiten beizutreten, und die Rekrutierung stieg mit der Bekanntgabe der Einrichtung der QSD an. Das zwang Iran, sich mithilfe von Hisbollah-Offizieren mit dem syrischen Regime zu koordinieren und sich mit neuen Bemühungen zu befassen, indem Stammesführer und arabische Stammespersönlichkeiten versammelt wurden und mit der Parole »Befreiung arabischen Landes« auf Gebiete in Hesekê Bezug genommen wurde. Dieser Ruf erntete jedoch aus mehreren Gründen keine breite Unterstützung der arabischen Stämme. Hauptsächlich deshalb, weil die kurdischen Einheiten gut mit der örtlichen Bevölkerung zusammenarbeiteten und weil die meisten arabischen Scheichs in der Gegend gegen dieses Projekt waren. Das zwang das syrische Regime dazu, die Verpflichtung für junge Männer und Angestellte staatlicher Institutionen zum Dienst in der Armee durchzusetzen. Selbst diese Initiative wurde von den demokratisch-autonomen Sicherheitsdiensten, besonders den internen Sicherheitskräften (Asayîş), abgewehrt und führte zu einigem Geplänkel mit dem syrischen Regime in Hesekê und Qamişlo.
Trotz des völligen Scheiterns der iranischen Revolutionsgarden, diese Milizen im Raum Hesekê zu etablieren, unternehmen sie noch immer alles in ihrer Macht Stehende, um mit der Zustimmung des syrischen Regimes eine sunnitische Stammesstreitkraft zu schaffen, von der erwartet wird, dass sie ihre Autorität in den kurdischen Gebieten entfalten wird, sobald sich einmal die internen Fronten in Syrien beruhigt haben. In den letzten zwei Jahren haben die iranischen Revolutionsgarden mit direkter Unterstützung des syrischen Regimes daran gearbeitet, aus jungen Männern aus der Provinz Dair az-Zaur Milizen aufzubauen. Deren Zweck ist die Befreiung der Provinz Dair az-Zaur und von Palmyra (Tadmur) in Kooperation mit den irakischen PMF, die mehr als einmal ihre Bereitschaft bekundet haben, syrisches Territorium zu betreten. Am 16. November 2016 verlautbarte der Generalsekretär der irakischen Badr-Organisation, Hadi al-Amiri, in diesem Zusammenhang, dass die irakischen PMF ein Ersuchen des syrischen Präsidenten erreicht habe, nach der Befreiung Mûsils (Mossuls) vom IS syrisches Territorium zu betreten.
Andererseits stellen die Bildung der QSD und ihr Vorstoß weit hinein in arabische Stammesgebiete von Hesekê, Raqqa und Dair az-Zaur zusammen mit der breiten Akzeptanz dieser Kräfte durch die Stammesangehörigen eine direkte Bedrohung für das iranische Projekt dar. Bei der Region, in die die QSD vordringen und die sie militärisch und organisatorisch kontrollieren, handelt es sich um diejenige, in der sich vermutlich die irakischen PMF und die von Iran aufgebauten Milizen aus Raqqa und Dair az-Zaur treffen werden. Wir sprechen hier von Gebieten an der irakisch-syrischen Grenze. Das würde bedeuten, dass der oben ausgeführte iranische Plan scheitern wird.
Die QSD gaben kürzlich die Bildung des Militärrates von Dair az-Zaur unter ihrem Dach bekannt. Der befreite am 17. Februar 2017, beginnend an den Verwaltungsgrenzen der Provinz Hesekê, die ersten Dörfer in der Provinz Dair az-Zaur. Dieser Militärrat konnte wegen des hohen Ansehens der QSD in der lokalen Bevölkerung in Rekordzeit tausende junge Stammesangehörige aus Dair az-Zaur für sich gewinnen. Das ist dem Fakt zuzuschreiben, dass die lokalen Militärräte in jeder Provinz von ihren eigenen Leuten geleitet werden und mit Unterstützung der US-geführten internationalen Koalition unter ihrer eigenen Fahne kämpfen. Das sind alles Anreize für die lokale (sunnitische) Gemeinschaft in der Provinz Dair az-Zaur, den Reihen der QSD beizutreten und die iranisch-gestützten schiitischen Milizen abzulehnen. Auf diese Weise werden die QSD auf derjenigen Landbrücke in Position gehen, die Iran zwischen Irak und Syrien durch Dair az-Zaur, Palmyra und die Region Homs errichten will, die an den Libanon grenzt, wo die libanesische Hisbollah ist.