Wenn die AKP sich an Trump nicht festklammern kann…

Der Politologe İlhan Uzgel analysiert die Krise in den US-türkischen Beziehungen, 25.10.2017

Nie gab es in den turbulenten 70 Jahren US-türkischer Beziehungen eine solche Phase wie heute. Offizielle Statements, Berichte von Think-Tanks und das Erscheinungsbild in US-Medien sind seit einiger Zeit so negativ wie nie zuvor. Im Endeffekt aber spielt die USA weiterhin eine Rolle für die Türkei, die von besonderer Wichtigkeit ist. Das gilt insbesondere für die AKP, für die 2001 die USA der wichtigste Unterstützer auf dem Weg zur Macht war. Dessen sind sich auch regierungsnahe Kreise bewusst und deswegen sind sie in besonderer Sorge.

In dieser Kolumne werde ich versuchen die Wende in der amerikanischen Türkei-Politik zu analysieren. Wie konnte es dazu kommen, dass die USA, die anfangs große Hoffnungen in die AKP setzte, nun eine solche Kehrtwende vollzieht? Ich möchte zeigen, dass das Problem nicht an der Trump-Administration oder ähnlichem liegt, sondern an der einseitigen Aufkündigung bestimmter Abmachungen aus den 2000’er Jahren zwischen Erdoğan und den USA.

Die Beseitigung des Kemalismus: die AKP

Auf dem Weg zu den 2000’er Jahren war das politische System der Türkei in vielerlei Hinsicht im Hinblick auf die stattfindende Globalisierung problembehaftet. Die kemalistische Elite hat als Überbleibsel aus dem Kalten Krieg weiterhin den Laizismus zur Unterwerfung des Islamismus und den Nationalismus zur Unterdrückung der linken und kurdischen Bewegungen genutzt. Ferner war sie nicht in der Lage bzw. nicht gewillt, den Einfluss des Militärs auf die Politik zu reduzieren.

In den 2000’er Jahren stagnierte also das System. Die Kemalisten machten den Fehler, den die Islamisten jetzt tun, und versuchten ein Teil des Westens zu sein, aber lehnten den Wandel, den das westliche System forderte, ab. Genau zu diesem Zeitpunkt, als die Krise 2001 ihren Höhepunkt fand, entstand die AKP. Das türkische Staatssystem musste einer Transformation unterzogen werden und es war ersichtlich, dass dies mit kemalistischen Politikern nicht möglich war.

Die Abmachung der Islamisten mit dem Westens

Die „Reformisten“ ((Erdoğan, Gül, Arinc und andere später namhafte AKP’ler, die sich von der Milli Görüs abspalteten, nannten sich zu dem Zeitpunkt so)), die sich von Erbakans islamistischer Bewegung trennten, hatten enge Beziehungen zum Westen aufgebaut und versprachen Fortschritte auf folgenden drei Feldern: Neoliberalismus und Konsumwirtschaft anstelle von Industrialisierung, demokratische Reformen in der Politik und das Anstreben des EU-Beitritts, sowie ein Stopp des Anti-Israel-Kurses. Auf diese Weise sollten die Islamisten auf der einen Seite sich selbst transformieren und auf der anderen Seite den Staat verändern, um letztlich ein „Modell“ für den Mittleren Osten zu werden.

Offen gesagt verlief diese Abmachung ab 2002 auch wie geplant. Die AKP wurde seitens der USA und der EU aufgrund ihres „gemäßigten Islamismus“ hoch gelobt. Dies ging so weit, dass diejenigen US-Experten, die heute in der Türkei „kritisch“ betrachtet werden, früher regelrechte AKP-Verteidiger auf internationalen Plattformen waren. Ein Buch von Graham Fuller, ein Ex-CIA Mann und einflussreicher Politikanalyst in den USA, wird von AKP-nahen Buchhandlungen vertrieben. Henri Barkey und Morton Abramotiz, beide frühere US-Botschafter in Ankara, nannten das 2008er AKP-Verbotsverfahren einen „Putsch der Richter“. Grob gesagt, dauerten die Lobespreisungen und die Unterstützung der Türkei durch die USA bis ca. 2011 an. Ab dann kündigte sich allerdings die Änderung an, die ab 2013 die Form von offener Kritik an der AKP annahm.

Der arabische Frühling und die AKP

Während des arabischen Frühlings fingen die Beziehungen zwischen den USA und AKP schließlich an  zu bröckeln. Während dieser Phase, in welcher das laizistisch-autoritäre Regime mit einem gemäßigt-islamistischen ersetzt wurde, träumte Erdoğan – möglicherweise unter Einfluss von Ahmet Davutoğlu – von einer neuen neo-osmanischen Hegemonie, das von Tunesien bis zum Nordirak reichte. Erdoğan-Davutoğlu hielten dies für eine „historische Gelegenheit“ und kündigten die Abmachungen mit den USA einseitig auf. Anstelle der US- bzw. EU-gestützten Macht wurde eine neue Hegemonie unter Erdoğans Führung angestrebt. Mit anderen Worten: Während man erwartete, die Türkei zu einem „Modell“ für islamistische Bewegungen weltweit zu machen, versuchte Erdoğan zu einem „global leader“ aufzusteigen.

Dieser unrealistische, unvorbereitete und eher auf Heldentum anstelle eines politischen Programms basierende abenteuerliche Versuch ist bekanntlich in einem Fiasko geendet. Das „Modell Türkei“ und die Transformation des Islamismus im Mittleren Osten sind gescheitert. Die USA haben den Versuch Erdoğans durchschaut und sich zunehmend von ihm distanziert. Da die Unterstützung der USA auf die Abmachungen aus den 2000er Jahren beruhte und Erdoğan diese einseitig aufkündigte, gab es keinen Grund mehr, Erdoğan weiter zu unterstützen. Zeitgleich hörte auch die Unterstützung der AKP durch die Gülenisten auf und die ersten Beben waren mit der Operation vom 17. bis zum 25. Dezember 2013  deutlich zu spüren. ((Aufgrund des Korruptionsvorwurfs wurden in diesem Zeitraum durch die Staatsanwaltschaft Untersuchungen gegen hochrangige AKP-Mitglieder eingeleitet; laut der Regierung wurden die Untersuchungen durch Gülen-Mitglieder im Staat koordiniert)) Erdoğan erkannte dies früh und suchte die Verantwortlichen in den eigenen Reihen. Nach und nach breitete sich in den Reihen der AKP die Angst vor einem möglichen Machtverlust aus. Immer mehr verspürte Erdoğan die Furcht, dass der Westen ihn stürzen wolle, und nahm fortan jedes Ereignis persönlich.

Eurasien anstelle von Trump

Erdoğan selbst und die Kreise der AKP wussten ganz genau, was sie taten. Gleichzeitig hofften sie, dass mit der Wahl von Trump eine neue, unbelastete Seite in den amerikanisch-türkischen Beziehungen aufgeschlagen werden könne. Ein Neuanfang wurde angestrebt, bei dem man alles aus der Vergangenheit einfach „vergisst“. Doch sie haben sich getäuscht. Das Problem war nicht die US-Administration, sondern die erdoğan’sche Politik, die als kleinerer Verhandlungspartner einseitig die Abmachungen aufkündigte.

Die Reaktion auf diese Enttäuschung lautete innenpolitische Repressionen und außenpolitische Zuwendung nach „Eurasien“. Innenpolitisch hat Erdoğan die Unterstützung der „Eurasier“ bekommen und sich Russland und dem Iran angenähert. Verkauft wurde dieser Politikwechsel als vermeintlich außenpolitische Eigenständigkeit. Doch so sehr diese vermeintliche Eigenständigkeit in der internationalen Arena während des arabischen Frühlings auf Selbstüberschätzung beruhte und folglich fehlschlug, eben so sehr beruht der jetzige Versuch, einen „eigenständigen“ Kurs in der Außenpolitik anzustreben, aus der Furcht vor dem Verlust der eigenen Macht. Während bei ersterem Versuch Erdoğan zum „global leader“ aufsteigen wollte, klammert er sich jetzt verzweifelt an die Macht, die ihm zu entgleiten droht.

Außenpolitische Eigenständigkeit: Ist das möglich?

Unter den heutigen Konditionen ist dies aus Sicht der türkisch-islamistischen Politik eher nicht möglich, selbst wenn die Gründe hierfür vielfältig sind. An diesem Punkt muss erwähnt werden, dass die Wirtschaft, das Militär und die Sicherheit durch die AKP noch viel stärker an den Westen gebunden wurde, als dies 70 Jahre zuvor der Fall war.

Um eine eigenständigen Außenpolitik führen zu können, muss ein Land entweder von wirtschaftlich herausragender Bedeutung für die internationale Ökonomie sein (wie bspw. Exportweltmeister Deutschland) oder man muss die vollständige Isolation von der westlichen Welt in Kauf nehmen. Doch selbst unter diesen Bedingungen gestaltet sich das Ganze äußerst schwierig. Wenn wir den Iran oder Venezuela betrachten, also die Länder, die den Weg der Isolation vom Westen einschlagen, so sehen wir, dass selbst sie trotz ihrer globalen energiepolitischen Vorteile eine eigenständige Außenpolitik nur in Teilen bewerkstelligen können und dafür zugleich einen hohen Preis zahlen müssen. Abgesehen davon scheinen Erdoğan und die AKP nicht abgeneigt zu sein, die Beziehungen zu den USA zu verbessern, wenn ihnen eine Hand ausgestreckt werden würde.

Außer in der Zeit von 1945-1950 als ein gewisser Inönü die türkischen Staatsangelegenheiten lenkte,  ist die USA zum ersten Mal mit einer Türkei konfrontiert, die aus ihrer inneren Dynamik heraus ein autoritäres System errichtet hat. Wir haben es also mit einer Macht zu tun, die innenpolitisch autoritär, kulturell islamistisch und außenpolitisch eurasisch orientiert ist, aber gleichzeitig den wirtschaftlichen Liberalismus nicht aufgeben will.  Wir können deshalb davon ausgehen, dass das US-System sich derzeit darüber Gedanken macht, wie es sich gegenüber einem „neuen“ politischen System positionieren soll, dessen Entwicklung dem US-Einfluss entglitten ist.

 

Im Original ist der Artikel am 23.10.2017 im Nachrichtenportal Gazete Duvar unter dem Titel “Trump’a tutunamamak” erschienen.