Die Türkei ist auf der Suche nach Bündnissen gegen die Kurden

türkiye_rojavaFehim Tastekin und Behlül Özkan über die gegenwärtige Verschiebung der Rolle der Türkei im Syrienkonflikt, Evrensel, 23.08.2016

Die Worte des stellvertretenden Ministerpräsidenten Numan Kurtulus „Vieles, was uns widerfahren ist, ist das Ergebnis der Syrienpolitik“, sowie die Erklärung des Ministerpräsidenten Binali Yildirim (welche er später wieder dementierte) „Assad kann man als Gesprächspartner annehmen“, zogen erneut die Aufmerksamkeit auf die Syrienpolitik der AKP. Der Schriftsteller und Journalist Fehim Tastekin und die Hilfsdozentin Behlül Özkan haben gegenüber unserer Zeitung darauf verwiesen, dass die Türkei auf der Suche nach einem Bündnis mit dem Iran, Russland und Assad sei, um gegen die Kurden einen noch größeren Krieg entwickeln zu können.

Falsche Politik wird fortgesetzt

Der Schriftsteller und Journalist Fehim Tasketin erklärte, dass die Regierung versucht, ihre falsche Politik durch neue Fehlentscheidungen zu ersetzen. „Die Türkei ließ ihre Grenzen zur logistischen Unterstützung nutzen. Dutzende Organisationen wurden dadurch gestärkt.  Die Türkei trug mit ihrer Politik dazu bei, dass sich damit dschihadistische und salafistische Gruppen der Al Qaida etablieren und sich schließlich der IS dergleichen entwickeln konnte. Die Türkei trug mit dieser Politik eigentlich dazu bei, dass die Kurden in der Region einen großen Korridor errichten konnten, was natürlich aus Sicht der türkischen Syrienpolitik ein großer Fehler war. Um diesen „Fehler“ zu korrigieren, ist man an den Punkt angelangt, gegen die Kurden mit allen möglichen Akteuren Abkommen zu schließen“. Anstatt, dass die AKP ihre Syrienpolitik auf Grundlage eines Friedens unter Prämisse der Geschwisterlichkeit der Völker neu plant, wird die Syrienpolitik auf der Grundlage eines viel größeren Krieges gegen die Kurden formiert. „Es wird eine falsche Politik verfolgt, die wenn nötig, ein Abkommen mit dem Regime von Damaskus, eine Annäherung an den Iran und in diesem Sinne eine Zusammenarbeit mit Russland vorsieht. Ich denke nicht, dass der Iran, Russland und Syrien dieser von der Türkei angestrebten Initiative sofort zustimmen werden. Jedes Land, jeder regionale Akteur hat seine eigenen Berechnungen.

Die Priorität Russlands, des Irans und Syriens ist es, die Kurden für sich zu gewinnen

Auf unsere Frage, welche Politik Russland im Bezug auf die Kurden verfolgen werde, antwortete Tastekin wie folgt: „Die Äußerungen bzw. die Annäherungen von Russland und dem Iran hinsichtlich der Kurden impliziert Folgendes: Die Kurden können unter der Voraussetzung der staatlichen Integrität Syriens, eine Autonomie oder Föderation erlangen, was für beide kein Problem darstellt. In der Hinsicht haben beide Akteure eine andere Herangehensweise als die Türkei. Aber es ist für sie wichtig, dies im Einklang mit der Führung von Syrien zu machen. Sie haben zwei rote Linien. Dass hier für die USA ein neuer Platz eröffnet wird, ist die erste rote Linie Russlands. Sie werden nicht wollen und zulassen, dass dies mithilfe der Kurden erfolgt. Zweitens werden sie nicht wollen, dass sie im Streit mit der Damaskus-Führung oder im Kampf mit Syrien dieses Ziel erlangen. Das sind die Unterschiede zur Türkei“. Die Türkei suche aber ein Bündnis, mit dem sie die Errungenschaften der Kurden zu Nichte machen kann, so Tastekin. „Solch ein Bündnis wird ihnen aber weder vom Iran, noch Russland oder Syrien auf einem goldenen Tablett serviert werden, denn die Kurden würden Widerstand leisten. Sie würden ihre Zusammenarbeit mit den USA vertiefen. Das wollen weder Russland, noch der Iran oder Syrien. Daher ist es ihr vordergründiges Ziel, die Kurden für sich zu gewinnen. Zwar werden selbstredend in den kurdischen Medien sehr unterschiedliche Sachen gesagt. Wenn wir uns anschauen, wer interveniert, damit die Auseinandersetzungen in Heseke eingestellt werden, nämlich der Iran und Russland, wird klar, dass sie befürchten, dass diese Auseinandersetzung den USA nützen wird. Deshalb wollen Russland und der Iran nicht, dass die Kurden und die syrische Armee gegeneinander kämpfen. Die Türkei aber will es. Wenn die Assad-Führung heute den Krieg gegen die Kurden eröffnet und diesen ausweiten sollte, dann wäre es die Türkei, die am stärksten zufriedengestellt würde. Auf diese Art möchte niemand die Türkei zufrieden stellen. Des Weiteren gibt es da noch die USA. Es würde die USA äußerst stören, wenn ein NATO-Bündnispartner gegen einen kurdischen Verbündeten kämpfen würde. Daher ist auch die USA nicht für diese Plan zu haben.“

Sie eröffnen einen Manöverbereich

Die Hilfsdozentin der Marmara Universität der Fakultät für Politikwissenschaften und Internationale Beziehungen Behlül Özkan ist der Meinung, dass die Syrienpolitik der Türkei gescheitert sei. „Das wurde vielleicht seit einem Jahr von der Regierung erfasst. Viele haben von Beginn an gesagt, dass diese Politik zum Scheitern verurteilt ist. Daher war dies keine Überraschung“, so Özkan. Es wurde Özkan zur Folge eine islamistische Außenpolitik verfolgt, die mit der Realität des Mittleren Ostens nicht im Einklang stand. „Der Ideologie dieser Politik ist Ahmet Davutoglu. Dass Davutoglu gehen musste, hat damit zu tun, dass der Bankrott dieser Politik erkannt wurde. Özkan zur Folge versuchen die Machthaber sich hinsichtlich der Syrienpolitik reinzuwaschen und die Verantwortung auf Davutoglu zu schieben. Die Verantwortung in der Syrienpolitik, so Özkan, sei kollektiv.

Nach Meinung von Özkan, müsse die Regierung eine neue Außenpolitik entwickeln. Auf die Erklärungen des stellvertretenden Ministerpräsidenten Numan Kurtulus und des Ministerpräsidenten Binali Yildirim anspielend fuhr sie wie folgt fort: „Wenn eine neue Außenpolitik entwickelt wird, so sollte der Kontakt zu den wichtigen Kräfte, wie Russland und den Iran und Assad in der Region aufgenommen werden. Erklärungen, wie „Wir würden Assad als Gesprächspartner akzeptieren oder nicht“ haben in diesem Zusammenhang keinerlei Bedeutung. Dies wäre lediglich eine Ebene der Erklärung. In dem Moment, in dem die Türkei sich mit dem Iran und Russland an einen Tisch setze, bedeute das zugleich, dass sie Assad akzeptiert. Die Erklärung der Regierung ist eine Botschaft nach innen, um aus der verquickten Lage herauszukommen“. Özkan sagte zudem, dass die Türkei versucht, sich einen Manöverbereich zu öffnen.

Ihre Bindung zum arabischen Mittleren Osten könnte kappen

Vordergründige Priorität der Türkei sei es zur Zeit, zu verhindern, dass die PYD Al-Bab einnimmt, so Özkan und er erklärt über die Bedeutung der Stadt „Sie verbindet alle Kantone. Wenn es zu einer Verbindung der Kantone kommen sollte, so wäre die gesamte südliche Grenze der Türkei, von Hakkari bis Hatay Reyhanli unter Kontrolle der Kurden. Das ist ein Alptraumszenario für die Regierung. Das ist der tragischste Beweis für das Scheitern ihrer Syrienpolitik. Wir erklären „Wir wollen die Islamische Welt vereinen“ und nach fünf Jahren kommen wir an einem Punkt an, wo unsere geografische Anbindung zum arabischen Mittleren Osten unterbrochen ist. Vor diesem Hintergrund stellt dieser Situation einen Alptraum für die Regierung dar.“ Die Regierung sei in Panik, will verhindern, dass seine Südgrenze unter PYD-Kontrolle gerät. Daher versucht sie Bündnisse mit Russland, dem Iran und Assad einzugehen, so Özkan.