Cemil Bayik, Kovorsitzender der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Yüksekova Haber
Cemil Bayik beantwortete im Kandil gegenüber der Nachrichtenagentur Yüksekova Haber Fragen zu den aktuellen Entwicklungen im Nahen- und Mittleren Osten, insbesondere zur Situation in Westkurdistan/ Syrien und dem gegenwärtigen Zustand des Friedensprozesses in der Türkei. Im Folgenden dokumentieren wir das vom Journalisten Necip Çapraz geführte Interview in Auszügen:
Im Mittleren Osten entwickelt sich ein auf „Macht zentrierter Islam“
Jeder muss sich der Realität bewusst werden, dass der Mittlere Osten eine sehr ernsthafte Phase der Neustrukturierung erlebt. Die PKK erlebt den Wechsel nicht von neuem. Die PKK ist eine Bewegung die den Wechsel ständig lebt. Denn die Grundlage der PKK baut auf dieser Dialektik auf. Die PKK reinigt ständig ihre alten Seiten und erneuert sich selbst. Ich kann sagen, dass von allen Kräften im Mittleren Osten die PKK die am besten auf die Veränderungen vorbereitete Bewegung ist. Die bestehenden Regime im Mittleren Osten brechen zusammen. Denn diese Regime haben schon lange ihre Lebenszeit überschritten. Es gibt nichts, was diese Regime den Völkern des Mittleren Ostens geben könnten. Nicht nur aus Sicht der Völker haben sie ihre Lebenszeit überschritten, sondern auch aus Sicht des internationalen Systems der kapitalistischen Moderne. Daher haben die Regime keine Chance mehr, sich auf den Beinen zu halten und zerbrechen nacheinander. Sie waren Regime, die vor allem auf Grundlage des Nationalismus aufgebaut waren. Als die Regime zusammenbrachen hat man stattdessen versucht Regime zu entwickeln, die stärker die Religion als Grundlage nehmen. Man hat geglaubt, die Probleme des Mittleren Ostens auf diese Weise zu lösen. Man hat geglaubt, auf dieser Grundlage die Interessen des internationalen kapitalistischen Systems wieder etablieren zu können. Aber es ist nicht viel Zeit vergangenen und man hat in Ägypten sehen können, dass der Aufbau von Regimen auf diese Weise nicht die Probleme löst, sondern neue Probleme bringen kann. Aus diesem Grund wurde in Ägypten der Putsch durchgeführt.
Eigentlich zeigt dieser Putsch den Niedergang dieser Politiken und Strategien. Stattdessen wurde versucht, ein neues Islam-Verständnis zu entwickeln, das sie als nationalistischen “politischen Islam” bezeichnen, einen Terminus, den wir nicht als richtig erachten. Wir betrachten diesen Terminus nicht als richtig und definieren ihn stattdessen eher als ein auf Macht zentrierter Islam. Meines Erachtens wird das auch keine Lösung sein. (…) Sie stellen mehr eine Sackgasse dar. Aus diesem Grund ist das im Mittleren Osten gelebte eine Situation des Chaos. Wenn man sich diesen Zustand des Chaos näher betrachtet kann man beobachten, dass weder die Völker Ergebnisse erzielen können, noch die Wegbereiter des System der kapitalistischen Moderne. Dagegen kann sich das Verständnis, das von uns als Macht zentrierter Islam bezeichnet wird, entwickeln. Die Al Qaida kann sich stärker entwickeln, mehr Ergebnisse erzielen. Als Zentrum hierbei wurde verstärkt Syrien gewählt. Das ist der Grund dafür, dass alle involvierten Kräfte in Syrien sich bekämpfen und in diesem Konflikt keine Ergebnisse erzielen können.
Das Chaos im Mittleren Osten kann mit der vom Vorsitzenden Apo entwickelten Linie überwunden werden
Kurz gesagt, erlebt der Mittlere Osten eine große Umwälzung. Diese ist noch nicht abgeschlossen. Es ist auch nicht ganz klar, wie ihr Ergebnis aussehen wird. Denn alle Kräfte, die sich im Mittleren Osten bekämpfen, sind noch nicht in der Situation, eine Vorreiterrolle in diesem Wechsel zu spielen. Weder Interventionen von außen noch die bestehenden Regime oder die neu entstehenden Regime bringen Ergebnisse und werden auch in Zukunft keine bringen. Es gibt den Freiheits- und Demokratiekampf der Völker. Weil auch deren Führung schwach ist, lassen sich aus der gegenwärtigen Situation keine Ergebnisse erzielen. Unsere Bewegung hat sich einem dritten Weg zum Ziel gemacht. Der Vorsitzende Apo hat diese Entwicklungen sehr früh vorausgesehen und hat die Realität des Mittleren Ostens, seine Staats- und Politikrealität bewertet, analysiert und Lösungen gefunden, wie die Völker des Mittleren Osten Widerstand leisten können. Er hat den Völkern des Mittleren Ostens eine solch starke Gedankenkraft übergeben. Wenn sich die Völker diese Gedankenkraft aneignen, auf dieser Grundlage ihre eigene Mentalität bilden, kann die schwache Führung überwunden werden und sie können mit Leichtigkeit den Mittleren Osten aus dem Chaos führen. Die Völker des Mittleren Ostens können sich von neuem mit ihrer eigenen Identität treffen und ihren großen Platz in der Geschichte wieder einnehmen. Das ist nur mit der vom Vorsitzenden Apo entwickelten Linie möglich. Mit anderen Linien ist es nicht möglich, das Chaos im Mittleren Osten zu überwinden.
(…)
Die Lügenmaschine der AKP wird ins Laufen gebracht
Der türkische Staat versucht beharrlich, die PKK und die kurdische Frage voneinander zu trennen. Das ist eine bewusste Methode der psychologischen Kriegsführung. Es ist nicht möglich, die Kurden und die PKK voneinander zu trennen. Das muss sehr gut verstanden werden. Das Volk selbst ruft auf den Straßen “Wir sind die PKK”. Es sagt es ganz offen, jeder weiß das. Sie müssen aufhören, die PKK von den Kurden, den Vorsitzenden Apo von der PKK und die Kurden im Allgemeinen voneinander zu trennen. Diese Vorgehensweise hat ihre Wurzeln zweifellos in der Verleugnungs- und Vernichtungspolitik. Sie beruht auf der Einstellung, die Kurden nicht als Volk zu betrachten, ihre natürlichen Rechte nicht anzuerkennen und folglich eine Frage wie die kurdische Frage nicht zu akzeptieren. Das sind nun sehr veraltete Dinge. Die AKP bringt ihre Lügenmaschine ins Laufen. Darin ist sie ein Experte. Ein Experte für das Entwerfen einer psychologischen Kriegsführung. Sie kann mit Leichtigkeit jeden täuschen, Vertrauen gewinnen, Hoffnung erwecken und die Menschen in Wartestellung zu bringen. Was ist ihre letzte angewandte Methode? Die Grundlage ihrer entwickelten Propaganda, sowohl innerhalb der Kreise der AKP als auch außen in der Gesellschaft ist folgende: “wir haben uns mit Apo geeinigt, nun ist die Wahlphase. Aufgrund der Wahlen unternehmen wir keine weiteren Schritte. Nach den Wahlen werden wir einige Schritte machen. Jeder soll abwarten, beobachten, die Lösung wird kommen”. Mit dieser Propaganda weckt sie bei jedem Hoffnung, hält sie die Menschen hin. Und wirklich viele Kurden glauben, dass die AKP dieses Problem so lösen wird. Viele glauben wirklich, dass der Vorsitzende Apo sich mit dem Staat heimlich geeinigt hat und in Zukunft weitere Schritte folgen werden. Das ist Wahltaktik. Die AKP will so die Wahlen gewinnen. (…)
In der Mentalität der AKP gibt es keine Logik, die eine Lösung beinhaltet. Doch offen widerspricht sie dem nicht. Sie kann nicht sagen, dass sie gegen die Lösung ist. Sie stellt sich als dem Frieden nahe dar. Um den Druck auf sich abzuschwächen versucht sie, mit ihrer Lügenmaschinerie der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie bisher keine Schritte getätigt hat. Deshalb sagt sie, wir haben uns mit Apo heimlich geeinigt und werden langsam, langsam alles in die Wege leiten. Alle haben das geglaubt und warten nun. Unser Volk, alle Patrioten, Demokraten, Fortschrittlichen und Sozialisten müssen wissen: Das ist ein Produkt ihrer Lügenmaschinerie. Es gibt keine Absprache mit dem Vorsitzenden Apo. Die vom Vorsitzenden Apo einseitig entwickelten Schritte haben die AKP zerschlagen. Die Verhandlungen, die beginnen sollten, wurden nicht eingeleitet. Alle unsere Schritte bleiben unbeachtet.
Die AKP bietet uns keinen anderen Weg als den des Krieges
Wir versuchen immer noch, einseitig aus dieser Sachgasse rauszukommen. Aber der Schritt zu Verhandlungen hängt von der AKP ab. Wenn sie den Schritt hin zu Verhandlungen macht, kann man aus diesem Zustand rauskommen. Ansonsten hat die AKP den Prozess abgeschlossen. Die AKP bietet uns keinen anderen Weg als den des Krieges. Der einzig aufgezeigte Weg ist der des Krieges. Ein anderer Weg wird nicht geboten.
Wenn es so weitergeht, wird es Krieg in der Türkei geben
Wenn es so weitergeht, wird es Krieg in der Türkei geben. Dies hatte ich bereits zuvor der Öffentlichkeit erklärt. Ich hatte gesagt, wenn es so weitergeht, werden wir die Kräfte, die wir in den Süden zurückgezogen haben, wieder in den Norden schicken. Wir haben gesagt, damit es nicht wieder einen Krieg gibt, muss die AKP Verhandlungen akzeptieren. Für Verhandlungen haben wir drei Bedingungen genannt. Erstens: Die Änderung der Bedingungen für den Vorsitzenden Apo; eine Annäherung an den Vorsitzenden als Hauptgesprächspartner, keine taktische sondern strategische Annäherung. Zweitens: die Gespräche müssen mit gesetzlichen Garantien geführt werden, denn bisher gab es diesbezüglich keine Sicherheit. Diese Situation muss geändert werden. Drittens: es braucht eine dritte Seite für die Beobachtung der Verhandlungen. Wenn dies akzeptiert wird, kann der Prozess in Form von Verhandlungen fortgeführt werden. Doch wenn dies nicht akzeptiert wird, hat die AKP den Prozess mit Sicherheit abgeschlossen und täuscht die Gesellschaft. Dies muss jeder wissen.
Wir warten bis zu zum Frühling. Wenn die Bedingungen bis zum Frühling akzeptiert werden und Schritte hin zu Verhandlungen getan werden, sind wir auf dem Weg zur Lösung des Problems. Andernfalls ist es nicht mehr möglich, auf diese Art und Weise weiter zu verfahren. Wir werden diese Täuschungen nicht zulassen. Wir werden nicht zulassen, dass noch irgendjemand getäuscht wird.
yuksekovahaber, 03./04.12.2013, ISKU