Presseerklärung von NAV-DEM – Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland, 16.04.2017
Heute wurde in der Türkei über die Verfassungsänderung und die Einführung des Präsidialsystems abgestimmt. Die vorläufigen Ergebnisse besagen, dass etwas mehr als 50% der Bevölkerung für ein „Ja“ gestimmt hat.
Von Anfang an war klar, wir haben es hier mit keinen Referendum unter fairen demokratischen Bedingungen zu tun. Die Menschen haben in einem Land, in dem die kurdischen Gebiete vom Krieg geprägt sind ihre Stimmen abgegeben. Seit Mitte letzten Jahres hat sich dieser Krieg auf das gesamte Land ausgeweitet. Seitdem wird die Türkei vom türkischen Staatspräsidenten Erdogan diktatorisch im Ausnahmezustand regiert. Abgeordnete und Funktionäre der HDP sitzen zu tausenden hinter den Gittern, die kurdischen Stadtverwaltungen wurden unter Zwangsverwaltungen gestellt und die gesamte Bevölkerung mit einer noch nie dagewesenen Repressionswelle überzogen. Und trotz alledem haben die Menschen in den überwiegend kurdischen Provinzen der Türkei mit durchschnittlich etwa 70% für ein „Nein“ eine klare Haltung gegen Erdoğan und sein diktatoriales Regime eingenommen.
Besonders im letzten Jahr hat der AKP-Staat unter dem Vorwand der „Terrorismusbekämpfung“ Opposition verschiedenster Couleurs einzuschüchtern versucht, sei es durch massenhafte Inhaftierung, Entlassungen, Drohungen, wirtschaftliche Sanktionen, Folter und vieles mehr. Es herrscht ein Regime der Angst. Neben diesen Repressionen gab es eine breit angelegte psychologische Manipulation durch gleichgeschaltete Medien, die 24-Stunden lang die Propaganda der AKP ausgestrahlt haben.
Wie vor den vergangenen Parlamentswahlen im Juni 2015 wurden die nationalistischen Gefühle bewusst provoziert, sei es in Form von anti-westlichem Verbalradikalismus oder durch Hetze gegen alle gesellschaftlichen Gruppierungen jenseits türkisch-sunnitischer Kreise. Dieses AKP-MHP Koalition hat das Land zunehmend polarisiert und die gesellschaftliche, politische du wirtschaftliche Krise noch mehr vertieft. Unter diesen Voraussetzungen war praktisch keine Wahlkampagne für ein „Nein“ beim Referendum möglich. Am Tag des Referendums wurde massenhaft über Unregelmäßigkeiten berichtet, die sich vor allem in den kurdischen Siedlungsgebieten abgespielt haben. Vielerorts wurden die Menschen gezwungen, offen ihre Stimmen abzugeben; Wahlurnenleiter und -mitarbeiter der HDP wurden aus den Wahllokalen geschmissen und/oder festgenommen; Militärs und Soldaten hielten die rechtlich festgelegte Distanz zu den Wahlurnen nicht ein und erzeugten vor den Wahllokalen Drohkulissen. Außerdem gab es Meldungen von vorgestempelten Wahlzetteln. Auch Fahrzeuge ohne Nummernschilder wurden vor den Wahllokalen gesichtet.
Wir möchten klar und deutlich zum Ausdruck bringen, dass ein Referendum unter solchen Bedingungen keinerlei Legitimität genießt. Für uns bedeutet dieses Ergebnis nichts weiter, als dass wir unseren politischen Widerstand für die Demokratie, für Freiheit und Gerechtigkeit noch vehementer und zielstrebiger fortführen werden. Weil mit der Diktaturpolitik der AKP immer mehr gesellschaftliche Kreise von Repression betroffen sind, ist die Grundlage für den demokratischen Kampf heute größer als je zu vor. Wir rufen allen voran die demokratische Öffentlichkeit, sowie die EU und die Bundesregierung dazu auf, diese gefährliche Entwicklung in der Türkei, die gleichzeitig für die gesamte Region eine Gefahr darstellt, Einhalt zu gebieten. Wir glauben, dass dieser AKP-Wahnsinn gestoppt werden kann, wenn auf die Lippenbekenntnisse der unterschiedlichen Kräfte konkrete Schritte folgen. Die AKP hat längst ihre Legitimität verloren, dies wird auch das Referendum nicht ändern.