Kalkan: Die Freilassung der Gefangenen muss auf beiden Seiten geschehen

Duran KalkanDuran Kalkan, Mitglied des KCK-Exekutivrates, zu den Gesprächen auf Imrali

Im Interview mit dem Journalisten Erdal Er gibt Duran Kalkan, Mitglied des KCK-Exekutivrates, Antworten auf Fragen, wie sie sich – die PKK und KCK – dem Gesprächsprozess zwischen dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan und dem türkischen Staat annehmen. Wie sind die Aussagen Abdullah Öcalans zu werten? Werden die Guerillakräfte der Volksverteidigungskräfte HPG die von ihnen festgenommenen Soldaten, wie von Öcalan gefordert, freilassen? Will die AKP die kurdische Frage lösen oder ist dieser Prozess eher als Teil eines Vernichtungskonzepts gegen die kurdische Freiheitsbewegung zu werten? Auf diese und weitere Fragen ging Duran Kalkan im Interview ein.

Im Folgenden geben wir zusammengefasst die Ansichten Kalkans zu den Gesprächen auf Imrali wieder:

GESPRÄCHE AUF IMRALI STELLEN DIE SUCHE FÜR EINEN NEUANFANG DAR
Wir haben die kurze Erklärung nach der Rückkehr der zweiten BDP-Delegation auf Imrali von hier aus verfolgt. Es wird deutlich, dass gewisse Diskussionen geführt und gewisse Vorbereitungen getroffen werden. In der Vergangenheit hatte der Vorsitzende Apo sich zu Gesprächen dieser Art wie folgt geäußert: „Wir bereiten die Basis für eine Lösung vor. Wir kümmern uns um eine Grundlage zu einer passenden Geisteshaltung.“ Aktuell befinden wir uns eben in solch einer Vorbereitungsphase. Ein Wille ist vorhanden. Aber allein durch den Willen erreicht man noch keine Ergebnisse. Wir befinden uns eigentlich noch nicht einmal am Anfang. Die Gespräche stellen viel mehr die Suche nach einem Anfang dar. Es gibt Bemühungen für einen Neuanfang, für das erneute Aufkeimen einer Hoffnung. Mehr ist es zurzeit noch nicht.

Es gibt Hindernisse in diesem Prozess, die sowohl psychologischer als auch politischer Natur sind. Es zeigt sich, dass deshalb eine langwierige und schrittweise Arbeit auf Imrali aufgenommen wird. Natürlich werden auch Hoffnungen geweckt, dass eine neue Phase anbrechen könnte. Auf der kurdischen Seite gibt es, wie sie wissen, hierbei keine Gegenposition. Die kurdische Seite ist demgegenüber nicht entzweit, sondern sie ist mit ihrem Vorsitzenden, mit der PKK, mit dem politischen Bereich und mit den verschiedenen Teilen der Bevölkerung eins. Sie fordern gemeinsam den Frieden ein und ihre Forderungen nach einer demokratischen Lösung der Frage sind klar und deutlich. Aber natürlich funktioniert dies nicht einseitig.

DIE BEDINGUNGEN FÜR DIE FREILASSUNG DER GEFANGENEN MÜSSEN STIMMEN
Aus menschlicher und politischer Sicht gibt es keinen Grund, weshalb wir den Prozess zu einer Lösung ablehnen sollten. Unsere Geisteshaltung als Bewegung ist auf eine Lösung ausgerichtet. Wohlgemerkt lässt sich dieses Problem nicht durch irgendwelche Festnahmen lösen. Wenn die AKP-Regierung es als legitim betrachtet, kurdische AktivistInnen in Form einer Hexenjagd festzunehmen, sie als Terroristen zu bezeichnen, gar die Sympathie zur KCK als Schuld zu bezeichnen, so hätten wir auch dasselbe sagen können, indem wir sagen, dass die Staatsbediensteten sich schuldig machen, weil sie Teil einer Genozidpolitik sind. Wir hätten mit dieser Begründung auch hunderte AKPler festnehmen können. Aber wir haben dies nicht gemacht. Was wir gemacht haben, war eigentlich eher eine Warnung an den Staat. Dabei haben wir es bei unseren Festnahmen belassen.

Unter welchen Bedingungen die Freilassungen dieser Festgenommenen geschehen wird, das hängt auch mit dem gegenwärtigen Prozess zusammen. Was unser Vorsitzender vorgeschlagen hat, steht im Zusammenhang mit einem demokratischen Prozess, in dem beide Seiten Schritte aufeinander zugehen. Zweitens sollte es Vermittler geben, durch die im Rahmen von Gesprächen die Freilassungen auf die Tagesordnung kommen. Es ist klar, dass wir nicht im Sinn haben, viele Menschen festzunehmen und diese über längere Zeiten festzuhalten. Unsere Aktion sollte lediglich als eine Warnung verstanden werden. Wir wollten zeigen, dass sie nicht die einzige Seite sind, für die es möglich ist, Festnahmen durchzuführen. Wir haben aber nicht vor diese Menschen wie Geiseln zu behandeln. Aber diese Haltung muss natürlich ihren Widerhall auf der Gegenseite finden. Denn wie kann von einem Frieden oder einer Lösung gesprochen werden, wenn gleichzeitig die Operationen des politischen Genozids weiterlaufen, wenn unter dem Mantel der KCK-Operationen tausende Menschen festgenommen werden? Wenn es wirklich zu einer Entspannung kommen und durch eine demokratische Politik eine Lösung gefunden werden soll, dann bedarf es auch der Freiheit innerhalb der demokratischen Politik. Und hierfür ist es unabdingbar, dass diese tausenden Gefangenen, die als vermeintliche KCK- oder BDP-Mitglieder verhaftet wurden, zu ihrer Freiheit gelangen. Sie sagen doch selbst, dass die Waffen schweigen und die Politik sprechen soll. Aber es ist die AKP, welche die Politik zum Schweigen gebracht hat. Sie muss deshalb auch eine Lösung hierfür finden.

EINSEITIGE FREILASSUNGEN WIRD ES NICHT GEBEN
Wir haben den Aufruf unseres Vorsitzenden nicht als einseitigen, sondern als einen beidseitigen Aufruf verstanden. Wenn es Bestrebungen dieser Art gibt, werden wir uns dem nicht verschließen. Deswegen soll niemand einseitige Schritte von uns erwarten. In der Vergangenheit haben wir auch einseitige Schritte unternommen. Die Angehörigen der Gefangenen haben sich eingeschaltet und wir haben aus menschlicher Sicht ihre Wünsche erfüllt. Aus menschlicher Sicht haben wir auch mit Forderungen dieser Art kein Problem. Unser Problem ist ein Politisches. Wenn die Regierung durch ihre Operationen auch nicht ihr Leben gefährdet, könnten die Familien auch als Vermittler für die Gefangenen eintreten, die bei uns sind. Aber wie gesagt, die Angelegenheit ist politisch. Wenn sie eine politische Lösung wollen, sollte diese Lösung auf Gegenseitigkeit beruhen. Einseitig funktioniert sie jedenfalls nicht.

DIE AKP MISSBRAUCHT DEN LÖSUNGSBEGRIFF
Die AKP redet zwar gerne von der Lösung, aber ihre Haltung wird dem nicht gerecht. Sie missbraucht eigentlich den Lösungsbegriff. Erdogan sagt zwar, dass er jegliches Risiko für eine Lösung auf sich nehmen würde. Aber das wirkt für mich nicht aufrichtig. Was aber verstanden werden sollte, ist die Tatsache, dass er in der Sackgasse ist. Er hat verstanden, dass es keinen anderen Weg gibt, um gegen die PKK einen erfolgreichen Kampf zu führen. Da stecken keine humanen Gründe oder ähnliches dahinter. Wir erinnern uns an kaum eine andere Epoche, in der so viele Minderjährige hinter Gittern gesteckt worden sind, in welcher der Polizeiterror auf solch hohes Niveau gestiegen ist, wie in der AKP-Ära. In der Zeit Çillers oder des Militärputschs gab es ähnliche Fälle, aber der AKP ist es gelungen aus der Türkei einen umfassenden Polizeistaat zu machen. Sie haben einen faschistischen, kurdenfeindlichen, frauenfeindlichen und arbeiterfeindlichen Polizeiapparat erschaffen. Diese Polizei ist seit Jahren für die Folter an der kurdischen Bevölkerung verantwortlich. Das alles passiert unter der Regie der AKP. Zu Zeiten, als die jetzigen AKPler in der Partei Erbakans waren, hatten sie damit geprahlt, dass sie sich nicht auf die Ebene der Kriegsprofiteure begeben hätten. Sie spielten deshalb auch eher eine nebensächliche Rolle. Doch sobald sich ein Vakuum gebildet hatte, haben sie die Chance genutzt und sind an die Macht gesprungen. Und seitdem hat sich einiges verändert. Die Hände der AKPler sind mittlerweile auch blutig.

Deswegen fordern wir, dass die AKP erst einmal erklären soll, was sie denn lösen will. Ihre Praxis und ihre Worte stimmen jedenfalls nicht überein. Die AKP will mit diesen Worten Hoffnungen erwecken, um den Widerstand zu schwächen. Sie haben gemerkt, dass die PKK und die demokratischen Kräfte im Land seit den Wahlen von 2011 immer mehr an Stärke gewinnen. Dem wollen sie nun Einhalt gebieten. Sie wollen eine entspannte Atmosphäre im Land schaffen, um von dieser Atmosphäre profitierend ihre Stimmanteile bei den anstehenden Wahlen zu erhöhen. Wir sehen sehr deutlich, dass die AKP sich für die anstehenden Kommunalwahlen einige Pilotgebiete ausgesucht hat, wie beispielsweise Mêrdîn (Mardin), um dort den Grundstein für einen Wahlerfolg zu legen. Die anstehenden Wahlen erklären zu einem großen Teil die gegenwärtige Haltung der türkischen Regierung.

Ein anderes Ziel ist, die Widerstandskraft des kurdischen Volks zu schwächen. Ihre eigene bewaffnete Kraft steht demgegenüber in ständiger Habachtstellung. Sie reden die ganze Zeit vom Rückzug unserer Guerillakräfte. „Wenn sie sich zurückziehen, werden wir ihnen nichts antun“, sagen sie. Aber ihnen gelingt es doch auch jetzt nicht, der Guerilla etwas anzutun. Und dann bombardieren sie die ganze Zeit die Gebiete, in die sich die Guerilla zurückziehen soll. Deswegen erachten wir die Haltung der AKP nicht für aufrichtig. Sie tun so, als ob das Problem von den Kurden ausgehen würde. Bisher haben sie die Kurden stets als Separatisten dargestellt. Aber wir haben in Sinop, Samsun und Hatay erleben müssen [Orte in denen in letzter Zeit faschistische Lynchaktion gegen kurdische Politiker geprobt wurden, Anm. d. Ü.], wer hier die Trennung zwischen den Bevölkerungsgruppen betreibt. Wir sehen, welche Parteien dahinter stecken. Die Situation in Sinop hat augenscheinlich nicht die PKK herbeigeführt. Es war die Politik der AKP, der CHP und der MHP.

Das Problem rührt nicht von den Kurden her. Sie sagen, die PKK soll gehen, dann werde das Problem gelöst. Aber die PKK ist nicht das Problem. Die PKK ist eine Kraft, die ein vorhandenes Problem an die Öffentlichkeit getragen hat und es lösen will. Wenn sie das Problem lösen wollen, dann wird die PKK mit der Zeit gehen und sich verändern. Aber solange du die Frage nicht löst, wird die PKK auch ihre Position beibehalten. Und die PKK wird nicht auszulöschen sein. Denn sie ist der Wille des kurdischen Volkes. Sie ist ihre Widerstandskraft. Solange es die kurdische Frage gibt, wird es auch immer die PKK geben.

Quelle: ANF, 26.02.2013, ISKU

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