Duran Kalkan: Nutzt die Kurden nicht als Spielball für eure Interessen!

Interview mit Duran Kalkan zur Interessenspolitik gegenüber der kurdischen Gesellschaft, ANF, 04.06.2017

Das Mitglied des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistan (KCK), Duran Kalkan bewertete in einem Interview mit der Nachrichtenagentur ANF die Bestrebungen der Türkei, aber auch der USA und europäischer Länder die kurdische Frage als einen Spielball ihrer geopolitischen Interessen zu machen. Im Folgenden veröffentlichen wir einen kurzen Auszug des Interviews.

Erdoğan suchte den gesamten Monat Mai Unterstützung für seine Politik des Genozids gegen die kurdische Gesellschaft. Dafür reiste er von Land zu Land, hat aber keinen Zuspruch erhalten. Besonders interessant war die Haltung der USA. Was wollte die USA mit ihrer Aussage, die Türkei wäre ein NATO-Mitglied und solle sich auf ihre besondere Rolle besinnen, zum Ausdruck bringen? Wie ist ihre Einschätzung der Gespräche?

Vor dem Referendum hatte ich auf zwei Punkte aufmerksam gemacht. Falls bei dem Referendum mit einem „Ja“ gestimmt wird, wird im Inneren der Faschismus, die Unterdrückung und Verfolgung über die Menschen zunehmen. Außen jedoch wird Erdoğan eine 180-Grad-Wende einleiten. Wir hatten angemerkt, dass Erdoğan mit den Beschimpfungen aufhören, sein machohaftes Verhalten beenden und sich zu einem umherlaufenden Bettler verwandeln wird. Tatsächlich passiert das zurzeit. Es gibt eine Brutalität in der Türkei, die den Faschismus des 12. September-Regimes und die Diktatur von Saddam übertrifft. Nach außen hin wird jedoch eine Politik betrieben, die dem Betteln gleicht. Das geht so von Russland bis Europa. Die Medien der AKP sprechen dabei von „Warnungen und Botschaften“ die man angeblich ausspreche, doch dabei handelt es sich in der Realität um Handeln und Betteln.

Erdoğan versucht den im Landesinneren betriebenen Faschismus, die Verfolgung und die Massaker zu verheimlichen, im Ausland mehr Unterstützung zu erhalten und sich als mächtige Kraft zu etablieren. Man könnte sagen, er handelt mit der Logik eines Händlers. Die Türkei hat bei diesem Handel alle Karten auf den Tisch gelegt. Mit der Bedingung, gegen die Kurden zu agieren, ist die türkische Regierung bereit, allen Zugeständnisse zu machen. Er sagt damit eigentlich; „Schweigt zu dem Völkermord an den Kurden, und ich werde euch geben was ihr wollt.“ Und darauf beruht ihr Handel mit der USA, Russland und China. Vor allem beruht darauf der Handel mit Europa. Dieser schmutzige Handel gegen die Kurden dauert seit 150 Jahren an. So wurden die Existenz und der Befreiungskampf der Kurden auf dem Markt angeboten und die staatlichen Mächte handeln heute damit. Wir wissen nicht, was die USA bei den letzten Gesprächen von der Türkei erhalten hat. Wegen des Kampfes zur Befreiung Raqqas vom Islamischen Staat (IS), braucht die USA die Kurden aus Rojava an ihrer Seite. Es könnte somit sein, dass sie der Türkei sagten: „Schweigt zu unserer Zusammenarbeit mit den Kurden, aber tut mit den Kurden im Norden was immer ihr möchtet. Wir unterstützen euch dabei.“

Ähnelt dies nicht der Abmachung zwischen Mossul und Kirkuk während dem Ersten Weltkrieg?

Ja, das ist der Handel mit den Kurden. Die Leugnung und Vernichtung der Kurden ist so eine Falle. Sie basiert auf einem System, in dem Regierungsmächte gegenseitige Interessen verfolgen und diese verhandeln. Im Wesentlichen geht es um dieses Spiel; „Gegen die PKK könnt ihr alles tun, aber sagt nichts zu YPG!“

In Deutschland wurden die YPG, YPJ und PYD Flaggen verboten. Dies passierte kurz nachdem Erdoğan nach Europa ging und verhandelte. Man müsste die deutsche Bundesregierung fragen; Welche wirtschaftlichen und politischen Interessen erfüllt ihnen Tayyip Erdoğan, dass sie dafür die YPJ verbieten? Zum einen heißt es, dass man den IS bekämpfe, aber auf der anderen Seite opfern sie das Wohl und die Existenz der Gesellschaften mit dem Handel über Incirlik oder anderen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Handel. Man drückt ein Auge zu und wird mitschuldig an den verübten Massakern in der Türkei.

Vor einigen Tagen gab es einen Angriff des IS auf England. Vorher jedoch, hatten die Türkei und England gute Beziehungen. Auch England wird zurzeit von einer Frau regiert. Den größten Widerstand gegen den IS haben nämlich die kurdischen Frauen gezeigt. Aber diesen kurdischen Frauen werden in Sur, Cizre und Nusaybin die Häuser zerstört. Was denkt wohl die britische Premierministerin Theresa May darüber? Sie schließen Allianzen mit Menschen, die den Frauen in Cizre und Sur die Häuser dem Erdboden gleichmachen. Genau das meine ich, wenn ich sage, es wird gehandelt für die eigene Interessen. Und das machen sie alle, Amerika, England und auch Deutschland.

Dabei wurden die Kommandantinnen der YPJ doch im Élysée-Palast empfangen. Was ist passiert? Wenn der IS am Ende ist, werden die Kurden wieder verboten sein? Manche sagen; „Die YPG und YPJ sollen nicht in der Terrorliste stehen, aber die PKK schon.“ Was ist denn der Unterschied zwischen der YPG und der PKK? Beide leisten Widerstand gegen den Faschismus des IS.

Mit Faschisten und Mördern kann es keine Beziehungen und Allianzen geben. Man muss eine klare Position gegen den Faschismus einnehmen. Sie müssten gegen Erdoğan dieselbe Position vertreten, die sie damals gegen Saddam vertraten. Jeder sollte sich gegen den Faschismus Erdoğans stellen. Diejenigen die sich heute nicht dagegenstellen, werden morgen selbst daran leiden. In Europa wütet der IS. Wer ist der IS? Wer regiert diesen? Hat Erdoğan nicht Europa damit gedroht, dass er „überall mit dem IS angreifen“ könnte? Europa sollte dies nicht vergessen. Ihrer Beziehungen mit der Türkei sind ernster als je zuvor. Es gibt eine ernste Auseinandersetzung. Aber sie versuchen, diese Gegensätzlichkeit zu einer Feindschaft gegen die PKK zu bündeln. Sie sollen untereinander tun was sie wollen. Aber sie sollen damit aufhören, Handel über die PKK und die Kurden zu betreiben.

(Das Originalinterview wurde am 30. Mai 2017 bei ANF veröffentlicht)