Seit der Invasion von Efrîn durch die Türkei und ihre islamistischen Söldner sind mehr als drei Jahre vergangen. Seither verübten die Besatzungstruppen unzählige schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Hunderttausende Einwohner:innen des bis zum 18. März 2018 selbstverwalteten Kantons mussten fliehen und leben nun in der angrenzenden Wüstenregion Şehba. Die Menschenrechtsorganisation von Efrîn versucht, die Verbrechen der Besatzungstruppen zu dokumentieren. Aufgrund der Bedingungen kann die Organisation sicher nur einen Teil der Verbrechen verzeichnen, aber die Bilanz der letzten 18 Monate fällt dennoch erschütternd aus. Demnach wurden in dem Untersuchungszeitraum mindestens 83 Frauen von den Besatzungstruppen ermordet oder sind in diesem Zusammenhang gestorben. 200 weitere wurden verschleppt.
„Über 70 Fälle von Vergewaltigung dokumentiert“
Naile Mehmûd von der Menschenrechtsorganisation berichtet, dass sich fünf der Frauen das Leben genommen haben, um nicht in die Hände der Söldner zu fallen. Im selben Zeitraum seien 216 Fälle von Verwundungen und Verletzungen an Frauen bei Angriffen der Söldner registriert worden. „Wir haben 70 Vergewaltigungsfälle dokumentiert. Allein in den vergangenen sechs Monaten wurden 25 Frauen entführt. Unter ihnen sind auch Minderjährige wie etwa die 13-jährige Aliye Adnan Cuma oder die sechsjährige Rûya Mehmûd Xatir. Emine Mistefa, eine weitere Entführte, ist 60 Jahre alt.“
„Kurdische Bevölkerung von 90 Prozent auf 23 Prozent gefallen“
Unter den ermordeten Frauen und Mädchen befindet sich auch ein zweijähriges Kleinkind, sagt Mehmûd und führt aus: „Zeyneb Şêx Dawûd war 21, Zeyneb Ibrahim 14 Jahre alt und Heyva Şerif Qasim war 21. Niemand kann die Realität dieser Verbrechen leugnen. Vor der Invasion von Efrîn machte die kurdische Bevölkerung dort 90 Prozent aus. Jetzt sind es 23. Das ist eine große Gefahr. Die überwiegende Mehrheit der Bewohner:innen von Efrîn sind Familien der Söldner, die aus den verschiedenen Teilen Syriens dorthin gebracht wurden.“
„In den Verliesen herrscht das blanke Grauen“
Auch Suzan Mistefa vom Diplomatiekomitee der Frauenbewegung Kongreya Star spricht über die Situation von Frauen in Efrîn: „Jeden Tag werden dort Verbrechen gegen Frauen begangen. Sie werden unmenschlich behandelt. Viele Kinder werden gezwungen, zu heiraten. Sie werden in die Türkei verschleppt. Viele Frauen, die in den Kerkern in Efrîn saßen, aber ihre Namen aus Sicherheitsgründen nicht preisgeben können, bestätigten dies. In den Verliesen in Efrîn herrscht das blanke Grauen. Wenn Frauen von den Verbrechen erzählen, die ihnen angetan wurden, dann fangen sogar die Steine an zu weinen.“
„Die Gefahr wächst täglich“
Mistefa berichtet weiter: „Nach einigen Informationen, die wir telefonisch bekamen, wurden viele Frauen entführt, weil sie ihre Häuser verließen. Von den Familien der entführten Frauen wurden Lösegelder gefordert. Viele patriotische Familien mussten für die Lösegelder ihr Hab und Gut verkaufen. Viele junge Frauen nahmen sich das Leben, da sie nicht bereit waren, das, was ihnen angetan wurde, zu akzeptieren. Folter, Morde und Entführungen nehmen von Tag zu Tag zu. Mittlerweile vergewaltigen sie die Frauen in ihren Häusern. Wir haben Information von Fällen, bei denen zehn Männer eine Frau vergewaltigten. Wir haben die Belege dafür. Wenn das keine Gräueltaten sind, was dann? Die Gefahr der Söldner in Efrîn für das kurdische Volk wächst tagtäglich. Viele Frauen wurden in die Türkei verschleppt, nachdem sie aus dem Kerker entlassen wurden.“
1.200 Frauen „verschwunden“
Mistefa berichtet, dass seit der Besetzung von Efrîn 1.200 Frauen „verschwunden“ seien und fährt fort: „Mehr als 1.000 Frauen wurden ermordet. Sie wurden vergewaltigt. 99 entführte Frauen wurden in Gefängnisse in Azaz und der Türkei gebracht.“
„Wenn wir den Frauen nicht zuhilfe kommen, werden wir nie wieder unser Haupt heben können“
In Richtung der Leugner der Verbrechen in Efrîn durch kurdische Kollaborateure sagt Mistefa: „Diejenigen, die sagen, dass in Efrîn keine Verbrechen begangen werden, sollen herkommen. Wir werden ihnen alle Dokumente zeigen. Sie zeigen mit ihrer Leugnung, dass sie wie damals bei der Besatzung mit den Invasoren kollaborieren. In Efrîn wird die Bevölkerungsstruktur verändert. Unglaublich Grausamkeiten werden dem kurdischen Volk angetan. Die internationale Gemeinschaft sieht dabei zu. Ich kritisiere auch dieses Schweigen. Wenn wir den Frauen in Efrîn nicht zuhilfe kommen, werden wir nie wieder unser Haupt für die Freiheit erheben können.“