Humanitäre Hilfe für Erdbebenopfer: „Appell an die Politik“

In Deutschland ansässige Organisationen Rojava-Solidarität sind besorgt über Versuche der türkischen und syrischen Regierungen, die Erdbebenkatastrophe für ihre politischen Ziele zu missbrauchen. Im Epizentrum der Erdbebenkatastrophe liegen die größtenteils kurdisch besiedelten Gebiete beider Länder – und damit Regionen, die strukturell benachteiligt sind. Aus Syrien wird gemeldet, dass Dschihadisten bei den Rettungsarbeiten bevorzugt werden, für Hilfslieferungen der AANES (Autonome Administration Nord- und Ostsyriens) in die von Damaskus und Ankara kontrollierten Erdbebengebiete gilt darüber hinaus eine Blockade. Jenseits der Grenze, gerade auch in Provinzen mit einem großen alevitischen Bevölkerungsanteil wie etwa Hatay, Meletî (tr. Malatya), Semsûr (Adıyaman) und dem Epizentrum Gurgum (Maraş), gibt es auch mehr als drei Tage nach dem Erdbeben noch zahlreiche Bezirke, Dörfer und Siedlungen, die von der staatlichen Hilfe noch nicht erreicht wurden. Hinzu kommt: Die AKP-Regierung von Recep Tayyip Erdogan hat einen Beschluss gefasst, wonach jegliche internationale Hilfe über die Katastrophenschutzbehörde und den türkischen Halbmond zentralisiert wird.

In einem „Appell an die Politik“ weisen Rojava-solidarische Gruppen und Einzelpersonen auf wichtige Aspekte hin, die bei der Krisenhilfe für die Erdbebengebiete berücksichtigt werden sollten. Nachfolgend dokumentieren wir den Aufruf und die Unterzeichnenden:

„Tausende Tote, zehntausende Verletzte, dutzende Städte in Trümmern – das ist das Ergebnis von Erdbeben, die die Türkei, Kurdistan und Syrien Anfang der Woche erschütterten.

Internationale Hilfe ist bereits angelaufen. Das ist enorm wichtig. Es gilt jedoch einige Besonderheiten im Hinblick auf die Region zu berücksichtigen.

In der Türkei sind zahlreiche betroffene Gebiete mehrheitlich von Kurd:innen und Alevit:innen bewohnt. Diese sind seit jeher, insbesondere aber nach dem Einsatz von Zwangsverwaltern durch die Regierung, strukturell benachteiligt. Hilfsorganisationen, u.a. medico international, berichten, dass staatliche Hilfen diese Gebiete nicht erreichen. In diesem Kontext sind auch die anstehenden Wahlen nicht zu vergessen. Die Regierung wird das Leid der Menschen diesbezüglich instrumentalisieren. Zudem blockiert die Türkei seit Jahren die Grenzübergänge nach Syrien.

Die Lage in den Gebieten der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien ist prekär. Dort sind vor allem das von der Türkei und ihren jihadistischen Verbündeten besetzte Afrin, die Region Şehba, wo zehntausende Flüchtlinge aus Afrin in Lagern leben, und Aleppo betroffen. Zum Embargo von der Türkei und der syrischen Zentralregierung addieren sich die Angriffe der Türkei. Nicht einmal 24 Stunden nach dem Erdbeben kam es zu Angriffen der Türkei, u.a. auf Tel Rifat.

Diese Aspekte müssen im Rahmen internationaler Hilfen Berücksichtigung finden, damit die Unterstützung alle Bedürftigen unabhängig von ihrer Herkunft, ihres Glaubens und der Haltung gegenüber der Regierungspolitik erreicht.

Wir, die Vereine und Initiativen aus dem Kontext der Solidaritätsarbeit für die Menschen in den Gebieten der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien, appellieren an die Politik, diese Herausforderungen zu berücksichtigen.“

Die Erstunterzeichnenden dieses Appells sind:

– Städtepartnerschaft Friedrichshain-Kreuzberg – Dêrik e.V.

– Städtefreundschaft Oldenburg-Efrîn

– Städtefreundschaft Frankfurt-Kobanê e. V.

– Förderverein für eine Kreispartnerschaft Herford-Kobane e.V.

– Dr. Mechthild Exo, Hochschulpartnerschaft Emden/Leer – Rojava Universität, Qamislo

– Initiative Frieden und Hoffnung für Kurdistan e.V. 

– Initiative Medizin für Rojava

– Kinderhilfe Mesopotamien e.V.

– Projekt für Bildung (Tübingen)

– Initiative Kölner Helfen

– Verein Armut und Gesundheit e.V.

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