Impressionen aus Kobanê (Teil 1): Die Reise bis zur Ankunft

10807798_1487778978176502_1605722846_nGulan Gernas, Journalistin aus Kobanê, 24.11.2014

In gewisser Weise handelt es sich um eine Odyssee auf die ich zurückblicke, wenn ich meine Reise Revue passieren lasse. Viel Kraft und Geduld bedurfte es, bis ich in Kobanê ankam. Zuvor bekomme ich nach vielen Jahren erneut Amed zu Gesicht. Viel hat sich verändert. Der Duft des kurdischen Freiheitskampfes der sich in der Reflexion der Stadtmauern spiegelt, erscheint mittlerweile in anderem Glanz. Die zahlreichen Militärkontrollen auf dem Weg nach Pirsûs, was direkt an Kobanê grenzt, lassen an das brutale Vorgehen des türkischen Staates in den 1990er Jahren erinnern. Die Wut des mich begleitenden Fahrers ist in seinen Augen ersichtlich. Er berichtet, dass in den letzten Wochen über 40 Menschen allein bei Demonstrationen getötet wurden. Demonstrationen, die die Unterstützung der türkischen Regierung für die sich als Islamischer Staat bezeichnende Terrorbande protestierten.

 

Flüchtling in eigenem Land
Cemal lautet der Name des Fahrers. Er erzählt, dass er ursprünglich aus Lice stammt. Als 8- Jähriger musste er ansehen, wie Soldaten ihr Dorf umzingelten und in Brand setzten. Im Kugelhagel, erzählt Cemal weiter, hat er nicht nur seinen Vater und Großvater, sondern auch seine damals noch 1-Jährige Schwester verloren. Eine Kugel traf sie am Kopf als er sie in seinen Armen hielt. Die Situation der Flüchtlinge kann er gut verstehen, denn schließlich war ja auch er „als Kind Flüchtling im eigenen Land“, wie er sagt und fügt hinzu, „Kobanê ist auch Teil von Kurdistan. Daher fliehen die Menschen über eine Staatsgrenze, bewegen sich aber noch im selben Land. Die Unterstützung Cemals ist wie auch vieler anderer Menschen riesengroß, die alles in ihrer Macht stehenden unternehmen, um den Flüchtlingen zu helfen.

 

10811589_1487778318176568_1254072556_n
Von überall sind Menschen nach Kobanê gereist, um den Flüchtlingen zu helfen. Die Solidarität der Menschen ist immens. Weil es an Flüchtlingslagern fehlt, kommt ein Großteil der Flüchtlinge bei den Familien unter. Doch erzählt mir eine Mitarbeiterin der Kommunalverwaltung, dass die Kräfte der Bevölkerung weitgehend erschöpft sind und es unmöglich sei in diesem Ausmaße weiterhin Hilfeleistungen zu tätigen. Auf die Frage nach den Spendengeldern aus dem Ausland, wird mir erklärt, dass vieles hier nicht ankommt. Die türkische AKP-Regierung würde die Spenden konfiszieren, jedoch nicht an die hilfsbedürftigen Menschen weiterleiten. Zumindest nicht denen aus Kobanê, genauso wenig, wie den zahlreichen ezidischen Flüchtlingen, wie mir die Menschen hier vor Ort mitteilen.

 

Humanitäre Lage sehr prekär
Die Situation der Flüchtlinge ist sehr prekär. Vor allem in Anbetracht des bevorstehenden Winters. Die Zelte, in denen die meisten Flüchtlinge untergebracht sind, sind mehr provisorisch als wirklich, vor allem vor Kälteeinfall, schützend. Der Anblick der Menschen, vor allem der vielen kleinen Kinder berührt einen zu tiefst. Wie beispielsweise von Hêvîn, die höchstens drei Jahre alt ist. Sie läuft, wie viele andere Kinder auch Barfuß, gekleidet im Sommerkleid, herum. Schon augenblicklich ist es schwer vorstellbar, wie die Kinder es bei den bestehenden Witterungsbedingungen aushalten. Geschweige denn, wenn an den baldigen Winter gedacht wird. Weiter erzählen mir die Helferinnen und Helfer, dass ebenso die Zahl der Unterstützer, vor allem der, die von außerhalb herkamen, rapide abgenommen hat. Zusammenhängend damit wird die mediale Berichterstattung erwähnt, die zwar ihre Aktualität wahrt, jedoch an Brisanz verloren hat.

10808238_1487779268176473_811755468_n
Zu bemerken bekam ich dies auch in meinem vorherigen Umfeld. Menschen, die an den ersten Tagen des Protestes, sämtliche Zeit und Energie, die sie hatten, in Protestaktionen und Solidaritätsarbeit steckten, scheinen nicht mehr gerührt, wenn sie von Kobanê oder auch Şengal zu hören bekommen. Es schweift mehr an ihnen ab. Erneut reproduziert sich das alte Lied. Erneut scheinen Kommentare und Likes bei Facebook wichtiger als Menschenleben. Wieder einmal wird neuen Schuhen in der Werbung mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als einem leidenden Kind. Zwar lässt dieses sinnhafte Bild, in dem sich die Tragödie unserer Menschheit wiederspiegelt, mich depressiv werden. Jedoch sorgt der heldenhafte Widerstandskampf der Frauen und Männer in Kobanê gegen die Barbaren des IS dafür, dass ich meinen Mut nicht verliere. Seit über 60 Tagen wird ein unermüdlicher Widerstand gegen die menschenverachtende Terrormiliz geleistet.

 

Mythos des IS gebrochen, Kobanê ist nicht gefallen
Als die Terrorgruppe des sogenannten Islamischen Staates am 15. September begannen Kobanê zu attackieren, waren sich sämtliche Experten weltweit sicher, dass Kobanê bin in weniger Tage fallen wird. Entgegen der mit schweren und hochmodernen Waffen ausgerüsteten IS-Miliz hätten die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) und Volksverteidigungseinheiten (YPG) nicht den Hauch einer Chance. Nicht nur die Prognosen und Erwartungen dieser sogenannten Experten, zu denen allen voran der türkische Staatpräsident Erdogan, welcher nahezu täglich den Fall von Kobanê prophezeite, wurden ins Leere laufen gelassen. Zeitgleich wurde auch der Mythos, der sich um den IS entwickelt hatte, gebrochen. Dieser galt bis dato nämlich als nicht aufzuhaltende Macht.
Ohne je Kobanê gesehen zu haben, bin ich mir sicher, dass dies mit dem Herzen und der Leidenschaft der Menschen Kobanês verbunden ist. Die Errungenschaften samt des Freiheitsgrads der Revolution vom 19.Juli 2012, als die Bevölkerung Kobanê sich aus den Fäden des syrischen Regimes befreien konnte, waren beziehungsweise sind erneut bedroht. Die Bevölkerung signalisierte von Anfang an die Entschlossenheit Kobanê, wenn es auch sein muss, bis zum bitteren Ende zu verteidigen. In diesem Moment kommt mir ein Satz von Salih Muslim in den Sinn. Versetzt in größter Emotionalität sagte er in einer Rede vor einer Solidaritätskundgebung in Düsseldorf, dass Kobanê nicht fallen wird, solange es Menschen wir Arîn Mîrkan gibt. Arîn Mîrkan hatte sich zuvor in die Luft gesprengt und dabei zahlreiche IS-Terroristen mit in den Tod gerissen. Sie ist zur wahrhaftigen Symbolkraft des Widerstandes von Kobanê geworden.

 

Leben in Würde
Nun bewege ich mich auf den Weg in Richtung Grenze. Mit mir haben sich viele Familien aus Kobanê an der Grenze versammelt, die alle zurückkehren wollen. Eine ältere Frau erzählt mir, dass sie zwar in Kobanê vom IS bedroht sind, jedoch zumindest auf den Schutz der YPJ und YPG zählen können. In der Türkei erzählt sie seien sie den willkürlichen Angriffen türkischer Soldaten ausgesetzt. Sie erzählt weiter, dass ihre und andere Familien in Schulen gebracht wurden, und dort starken Repressionen ausgesetzt waren. „Ihr Ziel war es, dass sie uns zur Rückkehr bewegen. Dies haben sie jetzt geschafft. Lieber leben wir in Kobanê, aber dafür mit menschlicher Würde.“, so ihre Worte weiter.

kobane
Die Schikanen seitens des türkischen Staates dürften sie bis nach Kobanê begleiten. Denn auch am Grenzgang werden sämtliche Personen nochmals einer Leibesvisitation unterzogen. Daten der jeweiligen Menschen, die zurück in ihre Heimatstadt kehren wollen, werden aufgenommen. Von jeder und jedem wird ein Bild gemacht. Sowie von mir. Da Journalisten und anderen Menschen, die Hilfe leisten wollen, der Zugang nach Kobanê verwehrt wird, bin auch ich als ein Flüchtling aus Kobanê getarnt. Ich habe anzusehen, wie die Person vor mir, seitens des Militärs mitgenommen wird. Die türkischen Soldaten wählen vor allem junge Männer, aber auch viele Frauen aus, und unterziehen sie in Verhören wegen angeblicher Mitgliedschaft in der YPG beziehungsweise YPJ. Die Unterstützung für den IS durch den türkischen Staat wird hier nochmal ersichtlich.
In Kobanê angekommen treffen Emotionen der Freude und Erleichterung auf Wehmut und Leid. Grausam dieser Anblick von Verwüstung. An vielen Stellen der Stadt ist nur noch Staub und Asche übrig geblieben. Ein abstoßender Geruch macht sich breit. Überall liegen die Leichen der IS-Terroristen verstreut. Diese verwesen und sorgen für eine große Seuchengefahr. Der ich begleitende Mutter rollen Tränen über ihr Gesicht. Auch ihr Haus wurde in Schutt und Asche gelegt. In dessen breitet sich Rauch über den Himmel aus. Die Gefechte zwischen den Einheiten der YPG und YPJ und dem IS gehen weiter. In Stadtzentrum angekommen schmückt die Wand eine berührende Aufschrift die Wand; „Em bernadin vê dîlanê.“ – Wir lassen von diesem Tanzreigen nicht ab…
Fortsetzung folgt.