Irak nach den Wahlen: Und nun?

Seyit Evran über die erste Parlamentswahl im Irak seit dem Sieg über den IS, 18.05.2018

Am 12. Mai fanden die Parlamentswahlen im Irak statt. Auf die Veröffentlichung der Wahlergebnisse folgten sogleich die ersten Forderungen nach Neuwahlen aufgrund von Betrugsvorwürfen.

In Erbil sind der Generalsekretär der Partei Gorran, Omer Said Ali, Dr. Barham Salih von der ‚Koalition für Demokratie und Gerechtigkeit‘, Selahaddin Bahaeddin von der ‚Islamischen Bewegung in Kurdistan‘, Ali Bapir von der ‚Islamischen Gemeinschaft in Kurdistan‘, Kawe Mahmud von der Kommunistischen Partei und İrfan Abdulaziz von der ‚Islamischen Bewegungspartei Kurdistans‘ zusammengekommen, um die Ergebnisse der irakischen Parlamentswahlen zu bewerten. Die Ergebnisse des Treffens wurden anschließend der Öffentlichkeit mitgeteilt. Eine der wichtigste Forderungen stellt die Annullierung der Wahlen in Südkurdistan und den umstrittenen Gebieten wie Kirkuk dar. Solch eine Forderung von sechs Parteien bedeutet einen Legitimationsverlust der Wahlen in Südkurdistan. Somit wird deutlich, dass sich die Probleme, die durch die Wahlen eigentlich gelöst werden sollten, nun noch mehr vertiefen.

Auswirkungen auf die Regionalwahlen

Die Reaktionen der südkurdischen Parteien gegenüber den irakischen Parlamentswahlen werden zweifellos auch Einfluss auf die Regionalwahlen in Südkurdistan im September diesen Jahres haben. Die aktuellen Reaktionen sind ein Zeichen dafür, dass die Wahlen im Süden noch angespannter und konfliktreicher verlaufen werden. Denn die Parteien aus Südkurdistan messen den Regionalwahlen eine deutlich höhere Bedeutung bei, als den irakischen Parlamentswahlen. Dass kein einziger Parteichef Kandidat bei den irakischen Parlamentswahlen war, ist dafür ein eindeutiges Zeichen. So sind alle Parteien damit beschäftigt, sich auf die Regionalwahlen vorzubereiten und Südkurdistan unter ihre Kontrolle zu bringen.

Kirkuk ist ein Knotenpunkt

Die Ergebnisse der Wahlen in Kirkuk als umstrittenes Gebiet wurden noch immer nicht veröffentlicht. Die Turkmenenfront des Irak (ITC), die an den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan gebunden ist, hat die Wahlergebnisse in Kirkuk nicht anerkannt. Es blieb nicht nur bei Beschwerden. Bewaffnete Mitglieder marschierten auf den Straßen auf und bedrohten kurdische Viertel, Häuser und Wähler. Auf einige Parteigebäude wurde sogar wahllos das Feuer eröffnet. Arschad Salihi, Vorsitzender der ITC, hat öffentlich verkündet, man habe Beschwerde gegen die Wahl erhoben und werde sich mit Nuri al-Maliki treffen. Einige Vertreter der ITC gingen zu offenen Drohungen über und erklärten, dass sich im Falle einer Anerkennung dieser Wahlergebnisse die Krise in Kirkuk noch weiter vertiefen werde. Diese Erklärungen und Drohungen zeigen uns, dass in Kirkuk ein von Erdoğan geplanter und von der ITC umgesetzter kurdisch-turkmenischer Konflikt ausbrechen kann. Schon lange nutzt Erdoğan die ITC, um die Wahlen in Kirkuk und im Irak zu stören. Die neusten Entwicklungen zeigen, dass in Kirkuk jederzeit neue Konflikte ausbrechen können.

Um die derzeitigen Spannungen zu stoppen, rief der derzeitige irakischen Präsident Haydar Abadi dazu auf, dass “alle Parteien die Wahlergebnisse anerkennen”. Es ist jedoch nicht klar, wie einflussreich die Worte Abadis sein werden. Betrachtet man die Erklärungen der Gruppen, die mit der ITC verbunden sind, wird deutlich, dass Abadis Worte keine weitreichenden Folgen haben werden. Die aktuellen Entwicklungen verdeutlichen, dass die Wahlen zwar stattgefunden haben, die drängenden Probleme jedoch nicht gelöst wurden und sich stattdessen weiter verschärft haben.

Die Bedeutung der Wahlen aus Sicht der internationalen und regionalen Mächte

Zur Durchsetzung eigener Interessen unterstützten internationale und regionale Mächte im Zuge der irakischen Parlamentswahlen einzelne Parteien, Gruppen und Wahllisten. Die von Erdoğan und der Türkei unterstützte ITC konnte die erwünschten Ergebnisse nicht erzielen. Die ITC hat zudem Schritte unternommen, um die Situation in Kirkuk durcheinander zu bringen und lokale Konflikte anzuheizen. Die von den USA unterstützen Haydar Abadi (Nasir-Wahlliste), Mukteda Es Sadr (Sariun-Wahlliste) und Amr Hekim (El-Hükme-Wahlliste) konnten zwar nicht die erwünschten Ergebnisse erzielen, schnitten jedoch stark ab. Die von Sadr angeführte Liste erreichte den ersten Platz. Die von Hadi Amiri angeführte Liste, die vom Iran unterstützt wird, konnte viele Stimmen für sich gewinnen. In einigen Wahlbezirken landete sie an erster, in anderen an zweiter Stelle. Nuri Malik blieb hinter den Erwartungen zurück. Auch wenn sich die von den USA und die vom Iran unterstützten Kräfte ein Wettrennen liefern, zeigt sich doch, dass die US-unterstützten Gruppen vorne liegen. Dies wird sich auch auf die noch zu gründende neue irakische Regierung auswirken. Die Wahlen machen deutlich, dass der Irak auch nach den Wahlen weiterhin stark von den Widersprüchen zwischen den USA und dem Iran beeinflusst werden und als Austragungsort für deren Konflikte dienen wird.

Wie werden die Probleme zwischen Bagdad und Erbil gelöst?

Ein anderer zu beachtender Aspekt sind die Probleme zwischen Südkurdistan und dem Irak, deren Lösung zum Großteil auf die Zeit nach den Wahlen verschoben worden war. Die Wahlergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Probleme in nächster Zeit noch weiter vertiefen werden. Denn die Parteien, die auf einen Dialog zwischen Bagdad und Erbil setzen, haben zum allergrößten Teil den von ihnen erhofften Stimmanteil nicht erreicht. Auch auf irakischer Seite zeigt sich eine ähnliche Situation. Alles deutet also darauf hin, dass eine Lösung weiter in der Ferne liegt und eine Intensivierung der Probleme zu erwarten ist.