Die Gemeinschaft der Frauen Kurdistans (Komalên Jinên Kurdistanê, KJK) wird den diesjährigen Kampftag gegen Gewalt an Frauen am 25. November mit einer zehntägigen Kampagne unter dem Slogan „Gegen jede Form männlich-staatlicher Gewalt: Jin Jiyan Azadî!“ begehen. Anstelle des Diskurses und der Psychologie der Viktimisierung setzt die KJK auf die Psychologie der Rebellion, des Kampfes und des Sieges und ruft dazu auf, am 25. November auf die Straßen zu gehen und die Stimmen, Farben und Kraft von Frauen zu vereinen.
Die Koordination der KJK hat eine ausführliche Erklärung zum Hintergrund ihrer Kampagne abgegeben. Zentraler Ausgangspunkt ist der von Frauen angeführte Aufstand in Rojhilat (Ostkurdistan) und Iran nach dem Mord an der Kurdin Jina Mahsa Amini durch die Sittenpolizei in Teheran. „Wir erleben diesen Prozess, der sich aus unserem Land weltweit ausgebreitet hat, mit großer Aufregung und Stolz. Die magische Atmosphäre des Slogans Jin-Jiyan-Azadî hat die ganze Welt erfasst“, schreibt die KJK. Der kurz darauf erfolgte Mord an der Jineolojî-Forscherin Nagihan Akarsel am 4. Oktober durch den türkischen Geheimdienst MIT in Silêmanî habe darauf abgezielt, diese Atmosphäre zu zerstören. Der 25. November finde in einer Zeit statt, in der „der Kampf, der Einfallsreichtum und die geistige Kraft von Frauen auf ihrem Höhepunkt sind. Wir begrüßen dieses Jahr nicht mit dem Diskurs und der Psychologie der Viktimisierung, sondern mit der Psychologie der Rebellion, des Kampfes und des Sieges“.
„Der Freiheitskampf kurdischer Frauen ist das Grab faschistischer Diktaturen“
Weiter erklärt die KJK: „Das Jahr 2022 ist für uns, die Freiheitsbewegung der Frauen Kurdistans, in allen Bereichen ein außergewöhnliches Jahr. Der faschistische türkische Staat und die internationalen Kräfte, die hinter ihm stehen, führen mit dem Völkermord an den Kurd:innen und dem Abschlachten des Freiheitskampfes der Frauen vielschichtige Angriffe durch. Die Folter der verschärften Isolierung von Rêber Apo [Abdullah Öcalan], der sein Leben und sein ganzes Wesen der Freiheit der Frauen gewidmet hat, wird weiterhin mit aller Gewalt angewendet. Es ist unsere grundlegende Aufgabe, uns zu wehren gegen die Isolierung von Rêber Apo, der das 21. Jahrhundert mit seiner Philosophie von Jin-Jiyan-Azadî zu einem Jahrhundert der Frauen gemacht hat, und für seine Freiheit zu kämpfen.
Auch hier verwebt die faschistische türkische Republik jeden Aspekt des Lebens mit staatlicher Gewalt und Tod, vom Einsatz verbotener chemischer Waffen gegen unsere Guerilla in den Bergen über alle Arten von Folter in Kerkern bis zum Verbot unserer Sprache, Kultur und Existenz. Unsere andere Hauptaufgabe ist es, alle Arten von Kriegsverbrechen der faschistischen türkischen Republik aufzudecken, insbesondere den Einsatz von Chemiewaffen. Wir müssen die Guerilla, die mit chemischen Waffen erstickt werden soll, stärker in die Arme nehmen. Während die kurdische Guerilla unermüdlich kämpft, um den Willen der Völker und der Frauen nach Freiheit zu vertreten, müssen wir als Frauen den Kampf der Guerilla stärken und ergänzen. Wir müssen sowohl den türkischen Faschismus als auch die PDK, die durch ihre Kollaboration mit der türkischen Republik ihre eigene Nation und die Frauen verraten hat, überall entlarven, ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzeln aufdecken und sie als Frauen vor Gericht stellen.“
In diesem Zusammenhang begrüßt die KJK eine von Frauen in Argentinien gestartete Kampagne gegen den Einsatz von Chemiewaffen in Kurdistan und erklärt zu der Verhaftung der türkischen Ärztekammerpräsidentin Şebnem Korur Fincancı: „Die Haltung unserer Lehrerin Şebnem unter schweren faschistischen und chauvinistischen Bedingungen ist die Haltung der ehrenwerten türkischen Frauen, die frei vom Gift des Chauvinismus und des Liberalismus sind. Es ist die Haltung der Schwesternschaft der Völker. Wir begrüßen die Haltung unserer Lehrerin Şebnem, die, wie sie selbst sagt, ,der Wahrheit auf der Spur ist’.”
„Jin Jîyan Azadî, gegen alle Formen männlich-staatlicher Gewalt!“
„So wie die Frau für uns Leben bedeutet, bedeutet sie für den Faschisten Erdoğan und sein männerdominiertes System den Tod. Aus diesem Grund erzwingt er überall dort, wo er den Willen freier Frauen sieht, Massaker, Tod und Vergewaltigung und nimmt dies als Grundlage, um ihre Existenz zu zerstören. In diesem Sinne halten wir es für sehr wichtig, die Ereignisse dieses Jahres, in dem die Angriffe einen Höhepunkt erreicht haben, am 25. November auszuwerten und bei frauenorientierten Aktionen, Aufständen und allen Arten von Aktivitäten an die Spitze zu treten.
Als KJK werden wir die diesjährigen Veranstaltungen zum Tag gegen Gewalt an Frauen vom 15. bis 25. November unter dem Motto ,Jin Jiyan Azadî, gegen alle Formen männlich-staatlicher Gewalt’ organisieren. Auf dieser Grundlage werden wir eine zehntägige Kampagne starten“, kündigt die KJK an.
Die Aktivitäten zum 25. November widmet die KJK allen kämpfenden Frauen und insbesondere denen, die in diesem Kampf gefallen sind. Stellvertretend nennt die KJK in Kurdistan die YPJ-Kommandantin Jiyan Tolhildan und die fünf jungen Frauen, die in Rojava durch türkische Drohnen getötet wurden, die Frauen im besetzten Efrîn, Jina Amini und Şilêr Resuli, die von einem Gebäude in Mêrîwan sprang, um den sexuellen Übergriffen eines iranischen Geheimdienstoffiziers zu entgehen, das sechsjährige ezidische Mädchen Axîn, das in einem Flüchtlingslager in Südkurdistan vergewaltigt und ermordet wurde, die kämpfenden Frauen in den türkischen Gefängnissen, die junge Kurdin Firdevs Babat, die gefoltert, vergewaltigt und von Dorfschützern ermordet wurde, Delal Nurhak und die Kämpferinnen der Frauenguerilla YJA Star.
„Wir widmen diesen Tag den widerständigen Frauen in Afghanistan, der armenischen Soldatin Ansuh Apetyan, die im Krieg von aserbaidschanischen Soldaten ermordet wurde, der palästinensischen Journalistin Shirin Abu Akile, unserer auf den Philippinen gefallenen Guerilla-Genossin und allen rebellischen revolutionären Frauen, die 2022 ermordet wurden.
In dem Bewusstsein, dass der wahre Mörder und Verbrecher der männliche Staat und seine Institutionen sind, sollten Aktionen und Aktivitäten entwickelt werden, die jedem Tag eine andere Bedeutung und ein anderes Bewusstsein verleihen. Bei all diesen Aktivitäten sollten vor allem junge Frauen eine Vorreiter- und Vorbildrolle spielen und den freien und rebellischen Geist der Jugend in den Aktionen widerspiegeln.
Spannende und schwindelerregende Entwicklungen
In diesem Prozess, den wir gerade durchlaufen, gibt es ungeheuer spannende und schwindelerregende Entwicklungen in Bezug auf frauenzentrierte Entwicklungen. Wir erleben, dass Frauen überall auf der Welt den Kampf gegen das System anführen. Obwohl sie unterschiedliche Organisationsformen und Identitäten haben, spielen Frauen überall auf der Welt eine führende und dynamische Rolle im Kampf gegen die kapitalistische Moderne und die hegemoniale Männlichkeit. Es gibt eine große Suche nach der Wahrheit, eine Suche nach dem Leben, und diese Suche entwickelt sich wellenförmig durch die Welt. Die Tatsache, dass die Reaktionen auf die Ermordung von Jina Amini in Rojhilat so intensiv und explosiv sind und sich in Form eines Frauenaufstands entwickeln, und dass der Slogan Jin-Jiyan-Azadî zu einer Parole, einem Kennwort unter den Kräften geworden ist, die den Kampf der Frauen führen, zeigt die Wellenqualität dieser Suche, die von unten kommt und alle einschließt.
Jetzt ist es an der Zeit, diese frauenzentrierte Rebellion und diesen Aufstand auf eine neue Stufe zu heben, die Stufe der Frauenrevolution. Für die Überwindung der hegemonialen männlichen Mentalität und ihrer staatstragenden Machtstrukturen ist die Perspektive der Frauenrevolution von entscheidender Bedeutung. Es ist notwendig, diese mutige und entschlossene Haltung, die sich in der Welt und in Kurdistan herausgebildet hat, auf eine stärker organisierte und politische Grundlage zu stellen. Die bloße Rebellion zwingt die Herrschenden nicht, sich zu ändern. Wenn die Rebellion auf ideologische, politische und organisatorische Gründe stößt, offenbart sie die Macht, die Veränderungen und Wandel erzwingt. Im 21. Jahrhundert ist es sehr wichtig, dass die Frauenaufstände über dieses Rüstzeug verfügen.
Jeder Feminizid ist ein Aufruf zur Frauenrevolution
Jede ermordete Frau in Kurdistan und in der ganzen Welt ist ein Aufruf zur Revolution der Frauen. Hegemoniale männliche Mächte, Nationalstaaten und Kapitalisten haben die Frauen in den Mittelpunkt der Krise der Menschheit und des Lebens gestellt, die sie geschaffen haben. Sie verüben mit unvorstellbaren Methoden und rücksichtslos einen sozialen und ökologischen Vernichtungsfeldzug gegen das Leben und gegen Frauen. Es ist von historischer Bedeutung, dass wir hierauf mit der Strategie der Frauenrevolution antworten. Der namenlose Krieg gegen die Frauen wird nur durch die Frauenrevolution gestoppt und überwunden werden. Alle ermordeten Frauen werden mit der Verwirklichung der Frauenrevolution unsterblich werden, und die Rache für jede von ihnen wird mit der Frauenrevolution erfolgen.
Eine weitere bemerkenswerte Situation ist, dass als Reaktion auf die sich entwickelnde Generation revolutionärer, rebellischer Frauen Frauen in wichtige Positionen in den Regierungen westlicher Staaten berufen wurden, und die Vorsitzenden der rechten Parteien, die die Wahlen gewonnen haben, sind Frauen. Während sich die Welle, die im sozialen Sinne von unten kommt, unter der Führung von Frauen entwickelt, stützen sich die herrschenden Kräfte darauf, Frauen zu benutzen, um diese von unten kommende Welle zu neutralisieren. Durch die Entwicklung der rechten Welle unter der Führung von Frauen soll der soziale Frauenkampf unterdrückt werden. Mit anderen Worten, sie versuchen, uns die Taktik, Frauen gegen Frauen einzusetzen, vor Augen zu führen, indem sie sie mit den Argumenten unserer Zeit füttern, färben und ausschmücken. Einerseits gibt es einen Ansatz, die Macht der von unten kommenden Welle zu korrumpieren und zu vermännlichen, indem man sie auf den Boden der Macht zieht, und andererseits, über die Frauen auf faschistischer Linie diejenigen zu zerschlagen und zu liquidieren, die sich damit nicht abfinden wollen. Als national, regional und weltweit organisierte Frauenbewegungen sollten wir diese Gefahren erkennen, ideologisch und politisch diskutieren und eine gemeinsame Politik festlegen. Dabei müssen wir die Entwicklung des Weltfrauenkonföderalismus als globales Frauenfreiheitssystem gegen das globale hegemoniale männliche Machtstaatssystem ständig auf unserer Agenda halten. Dieser 25. November sollte auch ein Anlass dafür sein.
Selbstverteidigung und Bewusstsein
Ein weiteres sehr grundlegendes Thema ist die Entwicklung, Verbreitung und Professionalisierung des Bewusstseins und der Organisation der Selbstverteidigung von Frauen. Der Austausch von Erfahrungen im Bereich der Selbstverteidigung und die Entwicklung einer gemeinsamen Organisation sind von entscheidender Bedeutung. Insbesondere wird eine vielschichtige und systematische Angriffsstrategie gegen organisierte, bewusste und kämpfende Frauen verfolgt. Die männlich dominierte kapitalistische Moderne, die im Mittelalter weise Frauen als Hexen gejagt und den Willen der Frauen liquidiert hat, um so zu einem hegemonialen System zu werden, zielt heute darauf ab, weise revolutionäre Frauen und Organisationen zu liquidieren, um das hegemoniale männliche System in der Krise zu halten. Zuerst wird die organisierte Frau, die Frau, die sich selbst verteidigt, die bewusste, ungehorsame, rebellische Frau erschossen. Ziel der männlich dominierten kapitalistischen Moderne ist es, die Frauen bewusstlos, ohne Rebellion, ohne Organisation und ohne Selbstverteidigung zu machen und Frauen zu schaffen, die dem kapitalistischen System gehorchen. Dafür findet ein unerbittlicher physischer und spezieller Krieg statt. Das hegemoniale männliche System greift als konterrevolutionäre Bewegung Frauen und die Lebenswerte der Gesellschaft an. Um den Geist und den Körper der Frauen zu beherrschen, werden sie mit schrecklicher, spezieller Kriegsgewalt entfremdet, vermännlicht und traditionalisiert.
Die Strategie ,Erschießt zuerst die Frauen’ hat sich in die Strategie ,Erschießt zuerst die organisierten, bewussten Frauen, die ihre Rechte einfordern, und stellt das als legitim dar’ verwandelt. Wenn Frauen im Leben unorganisiert, ohnmächtig und kampflos sind, wenn sie ihre Rechte nicht einfordern können und gehorsam sind, ist dieses Leben kein Leben. Deshalb ist es unsere unabdingbare Aufgabe als Frauenbewegung, die organisierte Frau, die bewusste Frau, zu schützen und zu umarmen und das Bewusstsein zu schärfen.
Unter diesem Gesichtspunkt hat die 2. Internationale Frauenkonferenz am 5. und 6. November mit ihren Diskussionen eine sehr wichtige Agenda geschaffen und den Frauen der Welt Hoffnung und Mut gemacht. Bei dieser Gelegenheit grüßen wir die Konferenz und erklären, dass wir als KJK bereit sind, unseren Teil zur Umsetzung der Beschlüsse der Konferenz beizutragen.
Aufruf zur Frauenrevolution
Lasst uns an diesem 25. November unsere Stimmen, Farben und Kräfte vereinen und die Straßen füllen, lasst uns eine stärkere bewusstseinsbildende Mobilisierung durchführen. Lasst uns das Bewusstsein, den Kampf und die Organisation der Frauenbefreiung gegen die systematisierte und brutale männliche Staatsgewalt stärken. Nehmen wir das Sein und die Vermehrung als Grundlage gegen diejenigen, die versuchen, uns zu schmälern und zu zerstören.
In dem Bewusstsein, dass die Verteidigung von Frauen gleichbedeutend ist mit der Verteidigung der Natur, der Kinder, der Gesellschaft und des Lebens, sollten wir unseren Kampf gegen die Massaker verstärken, indem wir ihre Stimmen zu unseren Stimmen hinzufügen. Lasst uns die Stimme des Bodens, des Wassers, der Bäume und der Luft sein, lasst uns die Stimme der Kinder sein und lasst uns auf die Straße gehen.
Auf dieser Grundlage rufen wir kurdische Frauen, arabische, persische, armenische, syrische, assyrische und turkmenische Frauenorganisationen, feministische Bewegungen und alle Frauen, die in Richtung Freiheit und Schönheit marschieren wollen, dazu auf, sich auf der Straße, in Aktionen und im Kampf mit der magischen und wirksamen Kraft der Losung Jin-Jiyan-Azadî zu treffen.
Jetzt ist die Zeit des Bewusstseins, der Organisation und des Kampfes mit dem Verstand und den Gefühlen der Frauen. Jetzt ist die Zeit für eine Frauenrevolution mit dem Slogan Jin-Jiyan-Azadî. Es ist an der Zeit, sich zu vereinen und dem Aufbegehren der Frauen gegen Gewalt ungeachtet ihres Glaubens, ihrer Nationalität, ihrer Rasse oder ihrer Hautfarbe Nachdruck zu verleihen. Beteiligen wir uns an diesem 25. November mit dem Anspruch, die Massaker in einen Kampf für die Freiheit und den Sieg der Frauen umzuwandeln, und geben wir diesen faschistischen männlichen Mächten auf allen Gebieten die notwendige Antwort:
Jin-Jiyan-Azadî gegen den Völkermord an Frauen, Natur und Kindern! Jin-Jiyan-Azadî gegen Faschismus, Besatzung, chemische Waffen und Verrat! Gegen faschistische männlich-staatliche Gewalt, lasst uns bewusst werden, uns organisieren und mit unserer Selbstverteidigung gewinnen! Das 21. Jahrhundert wird mit dem wachsenden Kampf von Frauen zum Jahrhundert der Frauenrevolution!”