Während die Angriffe der türkischen Armee auf mehrheitlich von Kurd*innen besiedelten Dörfer und Städte in Nordsyrien andauern, traf sich am gestrigen Freitag die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Istanbul. Neben Libyen, Idlib und der Freilassung von in der Türkei inhaftierten Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft war vor allem die Flüchtlingsfrage und die Situation in Nordsyrien ein großes Thema der Gespräche.
Merkel stellte bei Ihrem Besuch der Türkei finanzielle Unterstützung für die besetzten Gebiete in Nordsyrien in Aussicht. So könne man in Nordsyrien Notunterkünfte für Flüchtlinge bauen. Angesichts der Lage der Flüchtlinge im Winter werde die Bundesregierung prüfen, ob man dies finanziell fördern könne, sagte Merkel und ergänzte: „Ich kann mir vorstellen, dass wir für diese humanitäre Aktion deutsche Mittel geben können.“
Mit keinem Wort ging die Bundeskanzlerin bei ihrem Türkeibesuch auf die momentane Situation in Nordsyrien eingegangen. Seit dem 9. Oktober greifen der türkische Staat und seine dschihadistischen Partner ununterbrochen nordsyrische Städte an. Mindestens 300.000 Menschen mussten aufgrund der Angriffe ihre Heimat verlassen. Trotz eines mit Russland geschlossenen Waffenstillstandsabkommens terrorisiert der türkische Staat die Bevölkerung mit Artillerieangriffen und vertreibt weiter die ursprünglichen Einwohner*innen der Region. Bereits im Jahr 2018 besetzte die türkisch Armee den nordsyrischen Kanton Efrin. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages stellte bereits fest, dass die türkische Präsenz in Nordwestsyrien „völkerrechtlich alle Kriterien einer militärischen Besatzung” erfüllt. Auch die von der türkischen Armee und dschihadistischer Gruppen in der von der Türkei kommandierten sogenannten „Syrischen Nationalarmee” (SNA) in Nordsyrien kontrollierte Besatzungszone von 34 km Tiefe und 110 km Länge stellt einen Völkerrechtsbruch dar.
Zu dem finanziellen Hilfsangebot der Bundeskanzlerin für die türkische Besatzung in Nordsyrien erklärte der Sprecher der Partei der Demokratischen Einheit (PYD) Salih Muslim gegenüber dem kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit Civaka Azad: „Wenn die deutsche Bundesregierung Hilfe leisten möchte, dann soll sie den Kindern und Frauen helfen, die Opfer der türkischen Besatzer geworden sind und nun den kalten Winter unter schwierigen Bedingungen in Camps verbringen müssen. Jede Unterstützung an Erdogan fließt an die islamistischen Banden und ihre in Nordsyrien angesiedelten Familien. Wenn Erdogan das Ziel gehabt hätte, den Menschen in Nordsyrien zu helfen, dann hätte er diese nicht umgebracht und aus ihren Häusern vertrieben. Diese Menschen müssen unter internationaler Beobachtung zurück in ihre Häuser geführt werden, um den von der Türkei beabsichtigten demographischen Wandel in der Region zu stoppen. Hier könnte Deutschland Verantwortung übernehmen, denn Hilfe leistet man nicht dem Aggressor, sondern den Opfern.“