Menschenrechtsverein der Türkei veröffentlicht interaktive Karte von Massengräbern

IHD toplu mezarlarDer Menschenrechtsverein IHD stellt die erste interaktive Karte von Massengräbern in der Türkei vor

Auf einer Pressekonferenz hat der IHD die interaktive Karte zu den Sammel- und Massengräbern in der  Türkei vorgestellt. Zusammen mit der Karte, die hier aufgerufen werden kann, wurde auch die aktualisierte Fassung eines Berichts über die Massengräber veröffentlicht, der zuerst im Februar erschienen war. Demzufolge gibt es mindestens 3.248 Leichname in 253 verschiedenen Gräbern. 

Der IHD-Sekretär Bilici geht davon aus, dass die meisten der 40.000 Kriegsopfer nicht in regulären Gräbern bestattet sind. Viele Militante und ZivilistInnen, die extralegal ermordet worden sind, wurden von staatlichen oder militärischen Kräften in Massengräbern verscharrt.

Bilic erinnerte an eine Äußerung des Gründers der Geheimdienst- und Anti-Terror-Abteilung der Gendarmerie (JITEM) Arif Dogan: „Glaubt ihr wirklich, wir würden sie in normalen Gräbern bestatten? Natürlich liegen sie in Massengräbern.“ Bilici bezeichnete die inhumanen Praktiken der 90er Jahre „Verletzungen von internationalen Abkommen, Menschenrechten und der menschlichen Würde.“

Bilici wies darauf hin, dass der Bericht auf echten Aussagen und Untersuchungen beruht. Der erste Bericht, der am 11. Februar 2011 veröffentlich wurde, habe zu vielen weiteren Entdeckungen und Untersuchungen geführt. „Im neuen Bericht gibt es nun dreimal so viele Daten über Massengräber“, so der IHD-Sekretär. Am Ende seiner Rede rief er die Regierung sowie Nicht-Regierung-Organisationen auf, sich zu den Massengräbern zu verhalten. Von Seiten des Staates herrscht bislang bezüglich der Massengräber eine gespenstische Stille.

Seit Januar haben tausende KurdInnen in Bitlîs, Amed (Diyarbakir), Sêrt (Siirt), Mêrdîn (Mardin), Colemêrg (Hakkari) und Elih (Batman), aber auch in großen Städten wie Istanbul, Izmir, Mersin und Adana gegen das Schweigen der türkischen Regierung und der internationalen Gemeinschaft protestiert. Die größte kurdische Partei BDP und Menschrechtsorganisationen wie der IHD und der TIHV fordern die Einrichtung einer Wahrheits- und Gerechtigkeitskommission, um alle Vorfälle im Land zu untersuchen. Organisationen wie MEYA-DER und Göc-Der, die Angehörige von Getöteten repräsentieren, die Partei für Frieden und Demokratie (BDP), der Menschrechtsverein IHD und zahlreiche NGOs, Gruppen und Frauenrechtsorganisationen haben Demonstrationen angeführt und Pressekonferenzen zu dem Thema abgehalten.

Die Debatte um Massengräber hatte sich insbesondere nach dem 5. Januar verschärft, als im Rahmen einer Untersuchung über das Schicksal von 38 seit Jahren verschwundenen KurdInnen die sterblichen Überreste von 12 Menschen in einem Grab in Motkî (Mutki) in der Provinz Elih (Batman) gefunden wurden. Seitdem entdeckten DorfbewohnerInnen dutzende weitere Gräber.

Trotz Anträgen von Menschenrechtsorganisationen und Angehörigen, verweigert der Staatsanwalt von Motkî (Mutki) die Exhumierung eines Leichnams im Beisein von AnwältInnen und MenschenrechtsvertreterInnen. Hasan Ceylan, Vertreter des IHD in Bitlîs, bezeichnete die Verweigerungshaltung des Staatsanwalts als „willkürliche“ Entscheidung. Unter Ausschluss von MenschenrechtlerInnen wurden die Exhumierungen durch von der Regierung für den Krieg gegen die PKK bezahlte und bewaffnete Dorfschützer vorgenommen. „Der Staatsanwalt will uns nicht in die Nähe lassen“, so Ceylan.

Eines der Gräber war neben einer Gendarmeriestation bei Motkî (Mutki) gefunden worden und gilt als besonderer Beleg der Komplizenschaft von Staat und Militär.
Atilla Kiyat, Vizeadmiral im Ruhestand, hatte gesagt: „Die Morde unbekannter Täter waren von 1993 bis 1997 staatliche Politik.“

Das frühere JITEM-Mitglied Yildirim Begler hatte ausgesagt, dass etwa 200 Leichen in einem als vermint gekennzeichneten Gebiet begraben sind. Begler, ein ehemaliger Dolmetscher für den Generalstab, der jetzt in Norwegen lebt, berichtete Journalisten, dass viele Menschen durch Folter ermordet wurden und ihre Leichen im Heizungshaus der 2. Grenzdivsion der Gendarmerie verbrannt oder einfach aus Hubschraubern geworfen wurden. Etwa 200 Leichen wurden im Gebiet des Hezil-Flusses abgeworfen. „Der Hezil liegt nahe dem Grenzübergang Harbur. Die Brücken 47 und 48 liegen in diesem Gebiet. Über Brücke 47 gelangt man vom Irak in die Türkei, die Brücke 48 wird in der entgegengesetzte Richtung befahren. Hunderte Hingerichtete wurden zwischen diesen beiden Brücken im Gebiet der 2. Division in den Fluss geworfen, an Steine oder andere schwere Gegenstände gebunden.

Es ist das größte Gebiet mit den Leichen von Hingerichteten. Die Menschen glauben, das Gebiet sei vermint, aber das stimmt nicht. Ein Gebiet mit einem Radius von 500–1000 Metern um die Brücke 48 nannten wir ‚Feuerzone‘. Wir haben dort die Minen geräumt, aber nach außen immer noch von einem verminten Gebiet gesprochen. Es gibt hier einen Fluss, wohl ein Seitenarm des Hezil. 20–30 Meter hinter dem Fluss sind 80–90 Menschen begraben.“

Der Präsident der Anwaltskammer von Sirnex (Sirnak), Nus¸irevan Elc¸i, gab bekannt, dass am 28. Dezember Anzeige bei der Sonderermittlungskommission in Amed (Diyarbakir) erstattet wurde, die Ermittlungen jedoch aufgrund des Wochenendes und des Neujahrs verzögert wurden.

Quelle: ANF, 27. September 2011

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