Muslim: Der türkische Staat muss gestoppt werden

Der Ko-Vorsitzende der Partei der Demokratischen Einheit (PYD), Salih Muslim, hat sich im ANF-Interview zu aktuellen Fragen geäußert, so auch zu dem Besuch des US-amerikanischen Generalstabschefs, General Mark Milley, in der vergangenen Woche in der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien. Der Besuch einer US-Basis von Milley am letzten Samstag hatte in der Türkei für Aufruhr gesorgt, Medienberichten zufolge wurde der US-Botschafter vom türkischen Außenministerium einbestellt.

Der türkische Staat hat seine Angriffe auch nach den Erdbeben fortgesetzt. Wie sollen die Kurd:innen das verstehen?

Die strategische Politik des türkischen Staates besteht darin, die Existenz des kurdischen Volkes zu beenden. Unter welchen Umständen auch immer, sie hören nicht auf, das kurdische Volk anzugreifen. Sie sehen sogar Erdbeben als ein Geschenk an, das sie bekommen. Die Angriffe auf Rojava wurden nicht eingestellt. Es finden ununterbrochen Aufklärungsflüge über der Region statt. Die Angriffe werden aus der Luft und vom Land aus fortgesetzt. Dass der Artilleriebeschuss nicht eingestellt wurde, ist insbesondere in Şehba bemerkenswert, denn die Region ist von dem Erdbeben betroffen. Es haben Drohnenangriffe stattgefunden. Das Erdbeben war in Tel Rifat stark zu spüren, unsere Leute mussten ihre Häuser verlassen, aber die Angriffe hörten nicht auf. Das kurdische Volk muss dieses Bild sehen, verstehen und begreifen. Unser Volk soll aus seinem Land vertrieben werden.

Der US-Generalstabschef, General Mark Milley, hat vor eine Woche die US-Truppen in der Region besucht. Was hat dieser Besuch zu bedeuten?

Die USA haben Soldaten hier, und sie haben das Recht, uns zu besuchen. In allen Ländern, in denen sie Truppen haben, hat es solche Besuche schon früher gegeben und wird es auch weiterhin geben. Es handelt sich nicht um eine außergewöhnliche Situation. Es ist etwas ganz Normales. Es war ein Besuch, um das Vorgehen der US-Truppen, neue Veränderungen und die Sicherheit zu überprüfen. Nach diesem Besuch wurden viele Kommentare abgegeben. In der Türkei wurde behauptet, es handele sich um einen Besuch zur Unterstützung der QSD [Demokratische Kräfte Syriens]. Das Gebiet gehört jedoch nicht zur Türkei und der türkische Staat hat kein Recht, sich in diesen Besuch einzumischen. Der Besuch lässt viele Interpretationen zu. Man kann fragen, warum, wieso, zu welchem Zweck, aber wir haben keine klaren Informationen und wissen nicht, ob es ein Treffen mit den QSD gab. Die QSD haben keine Erklärung in dieser Richtung abgegeben. Wir betrachten es als einen normalen Besuch. Es hat schon früher solche Besuche gegeben.

Wie wirkt sich dieser Besuch auf den gemeinsamen Kampf gegen den IS aus? Wie groß ist die Mobilität des IS in der Region?

Der IS ist noch nicht vom Erdboden verschwunden. Er hat viele Unterstützer. Einige von ihnen liefern Waffen, andere stellen Logistik bereit und wieder andere geben Geld. In den türkisch besetzten Gebieten ist die IS-Mentalität vorherrschend, und es gibt dort ein sogenanntes Leben mit dieser Ideologie. Je mehr Schwächen im Kampf gegen den IS auftreten, desto stärker wird der IS werden. Zweifelsohne sind es die QSD, die bisher gegen den IS gekämpft haben und ihren Kampf ununterbrochen fortsetzen. Wenn die vom IS ausgehende Gefahr auch heute noch in unserer Gegend besteht, so ist diese Gefahr auch für andere Länder zu befürchten. Auf der einen Seite will der IS das kurdische Volk abschlachten, auf der anderen Seite setzt er seinen Hass und seine Hetze gegen die Völker fort. Für die USA ist es gut, diesen Kampf zu führen, denn auch für sie stehen eigene Interessen auf dem Spiel. Wenn dieser Kampf nicht geführt wird, wird auch ihr Volk bedroht sein. Meiner Meinung nach sollte der gemeinsame Kampf fortgesetzt werden. Das haben auch US-Verantwortliche bereits erklärt. Die Macht hinter dem IS ist klar. Man hat gesehen, wie die Angriffe die IS parallel zu den Angriffen des türkischen Staates zugenommen haben. Es müssen Maßnahmen gegen den türkischen Staat ergriffen werden, der den IS unterstützt. In dieser Hinsicht besteht eine große Schwäche. Es liegt in den Händen der internationalen Mächte, diese Lücke zu schließen. Neben dem Kampf gegen den IS muss auch ein gemeinsamer Kampf gegen den türkischen Staat und andere Kräfte, die den IS unterstützen, geführt werden. Wir sind der Meinung, dass es den IS immer geben wird, solange die Kräfte, die ihn nähren und ihm zu Wachstum und Weiterentwicklung verhelfen, nicht bekämpft werden.

Nach den Erdbeben ist eine Delegation der Barzani Foundation in das von der Türkei besetzte Efrîn gereist und hat dort ein Büro eröffnet. Wie ist das zu verstehen?

Die PDK hat den türkischen Staat nie als Feind betrachtet, aber der türkische Staat hat die Kurden immer als Feinde angesehen. Auch die von der Barzani Foundation nach Efrîn gelieferten Hilfsgüter wurden von den Banden beschlagnahmt. Wir halten diese Entscheidung der PDK nicht für richtig. Sie gehen in die vom türkischen Staat und seinen Banden besetzte Region, alle diese Banden sind gegen die Existenz des kurdischen Volkes, massakrieren, entführen und foltern jeden Tag Kurdinnen und Kurden; und sie besuchen diese Banden. Dieser Besuch ist gleichbedeutend mit der Legitimierung der Besetzung durch die Banden. Das kurdische Volk akzeptiert diese Legitimierung der Banden absolut nicht. Es ist nicht bekannt, welche konkreten Interessen sie mit dem türkischen Staat haben, aber dieser Besuch hätte unter keinen Umständen stattfinden dürfen. Sie kennen die Rechtsverletzungen in Efrîn, sie wissen, wie die Bevölkerungsstruktur verändert wurde. Nicht einmal zwanzig Prozent der Bevölkerung kann noch auf ihrem eigenen Land leben, die Menschen leben in Zelten in der angrenzenden Region Şehba und warten auf den Tag, an dem Efrîn befreit wird. Warum besuchen sie nicht die Menschen, die aus Efrîn vertrieben wurden? Warum besuchen sie nicht die Menschen in Şehba? Warum heilen sie nicht die Wunden der hier lebenden Menschen? Warum besuchen sie die von den Banden besetzten Gebiete und legitimieren diese Besetzung?

Wie sollten die Dialoge zwischen der Regierung in Damaskus und den arabischen Staaten gehandhabt werden, und wie können sie sich in der Autonomieverwaltung niederschlagen?

Die Dialoge mit Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Jordanien und Katar sollten im Einklang mit den Wünschen der Völker und zu deren Wohl geführt werden. Es ist nicht richtig, noch immer auf der Bühne zu stehen, während Plünderung, Massaker und Hungersnot grassieren. Solange sich das syrische Regime und die Politik nicht ändern, werden politische Schritte nicht gesund sein. Das syrische Regime hält sich noch immer nicht an die UN-Resolution 2254 [Darin wird die Einstellung aller Kampfhandlungen, die Berücksichtigung der Souveränität Syriens und eine politische Lösung für Syrien gefordert]. Sie akzeptiert das Modell der Autonomen Verwaltung nicht und betrachtet es nicht als Lösungsalternative. Meiner Meinung nach haben die politischen Verhandlungen des Regimes unter diesen Bedingungen keinen Zweck. Ohne politischen Wandel und Demokratisierungsschritte werden politische Schritte keinen Platz finden.

Als PYD waren wir die ersten, die Gespräche mit arabischen Ländern geführt haben, aber sie haben sich zurückgezogen. Wir waren diejenigen, die die Probleme in Syrien gemeinsam und ohne die Einmischung anderer Länder lösen wollten. Sie haben nicht entsprechend ihrer Pflichten und Verantwortung gehandelt. Die arabischen Länder, die das System des Regimes nicht akzeptieren, haben damals die Bevölkerung unterstützt, ihre Forderungen für richtig befunden und sich gegen das Regime gestellt. Heute hat sich an der Politik des Regimes nichts geändert; warum werden Gespräche ohne die Bedingung einer Demokratisierung geführt? Wir sind nicht gegen diese Gespräche. Wir sind für eine Stärkung der Beziehungen zwischen Syrien und den arabischen Ländern, aber die Gespräche und Dialoge müssen auf einer soliden Grundlage stehen. Die Dialoge müssen sich im Rahmen des Schutzes der Rechte des syrischen Volkes entwickeln. Das wäre ein solider und richtiger Dialog. Die Rechte des syrischen Volkes müssen geschützt werden. Wenn sich ein solcher Dialog entwickelt, würde es bedeuten, dass wir in schwierigen Zeiten Partner sein können.

Schreibe einen Kommentar