Mahmut Sakar, Rechtsanwalt und stellvertretender Vorsitzender von MAF-DAD e.V. – Verein für Demokratie und internationales Recht / 14.11.2012
Kurdische Sprache soll vor Gericht erlaubt werden?
Es ist bekannt, dass eine der Hauptforderungen der über zehntausend hungerstreikenden Gefangenen das Recht auf Verteidigung vor Gericht in der Muttersprache ist. Die AKP-Regierung hat durch eine Erklärung an die Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass durch eine neue gesetzliche Regelung diese Forderung schon erfüllt sei.
Die Ideologie, die die Nutzung des Grundrechtes der Kurden auf ihre Muttersprache als Menschenrecht in allen gesellschaftlichen Bereichen, allem voran in der Bildung, bis heute verhindert hat, zeigt sich auch in der Gesetzesvorlage wieder.
Die am 12. November 2012 ins Parlament eingebrachte Gesetzesvorlage, die einen Paragraphen über die besagte Regelung enthält, gewährt nur in sehr begrenzten Fällen ein Recht auf Verteidigung in der Muttersprache und weiterhin ist dieses Recht dem Gutdünken des Richters überlassen.
Unsere Rechtsauffassung in Bezug auf die Gesetzesvorlage können wir folgendermaßen zum Ausdruck bringen:
1. Die Nutzung der Muttersprache während der Anklagevorbereitung, Untersuchungshaft, Staatsanwaltschaft und Ermittlungsphase wird völlig außen vor gelassen und von der Regelung nicht erfasst. Das Recht auf Verteidigung in der Muttersprache wird lediglich bei dem Vortrag der Anklageschrift und bei der ersten Einlassung zur Sache/Stellungnahme gewährt. Dass die Nutzung der Muttersprache im Ermittlungsverfahren, bei der Identitätsfeststellung, der Beweiserhebung, dem Kreuzverhör nicht erlaubt ist, sind Faktoren die diese Gesetzesvorlage bedeutungslos machen.
2. Durch die Gesetzesvorlage wird den Angeklagten das Recht genommen, sich im schriftlichen Verfahren gegen die Anklage zu wehren, sie können sich nur noch mündlich verteidigen.
3. Für die Nutzung dieses beschränkten Rechtes, müssen die Betroffenen auch noch die Dolmetscherkosten selbst übernehmen. Wenn die wirtschaftliche Lage des Angeklagten die Übernahme der Dolmetscherkosten nicht erlaubt, kann er dieses Recht auch nicht in Anspruch nehmen. Wir sind konfrontiert mit einer Rechtsausübungsmöglichkeit, die an die wirtschaftliche Lage gekoppelt ist.
4. Auch wenn diese ganzen Voraussetzungen erfüllt werden, hängt die letztendliche Erlaubnis zur Nutzung dieses Rechts vom Ermessen des jeweiligen Richters ab. Mit einer sehr abstrakten Begründung wie „Verschleppung des Verfahrens“ kann der Richter die Verteidigung in der Muttersprache des Angeklagten verbieten. Der Richter kann diese Entscheidung ohne irgendeine Erklärung allein nach seinem persönlichen Ermessen treffen und die gesetzliche Regelung völlig außer Acht lassen.
Hunderte von Gefangenen, denen im Rahmen der KCK-Verfahren seit dem 14. April 2009 der Prozess gemacht wird, sitzen ein, ohne sich verteidigt zu haben, weil die Richter von diesem „Ermessen“ gebraucht gemacht haben. Die Richter vermeiden sogar zu erwähnen, dass die Angeklagten kurdisch sprechen, also sogar der Name der gesprochenen Sprache wird ausgeblendet. In die Sitzungsprotokolle wird „eine unbekannte Sprache“ eingetragen. Man kann es sich schon ausmalen, wie eine Justiz mit solch einer Ideologie ihr Ermessen gebrauchen wird.
Als Resümee kann festgestellt werden, dass diese Gesetzesvorlage, die wohlgemerkt noch keine Rechtskraft entfaltet, lediglich die Öffentlichkeit irreführen und blenden möchte. Eine andere Bedeutung kann hieraus nicht gefolgert werden.