Ezgi Basaran / Journalistin, Kolumnistin der Zeitung Radikal,15.11.2012
Es sieht aus wie ein Maiskorn. Von weitem ist auch der Geruch von Mais wahrzunehmen. Eine Taube nähert sich. Mit ihrem Schnabel begutachtet sie das Maiskorn. Als sie ihre Zunge an dem Korn streicht, bleibt es abrupt in ihrem Hals stecken. Es handelt sich nämlich um keinen Maiskorn, sondern um ein maisförmiges, gelbes Plastikstückchen. Eine raffinierte Erfindung des Menschen.
Bei der gestrigen Gesetzesänderung im türkischen Parlament, welche auch die Verteidigung vor Gericht in der Muttersprache beinhaltet, handelt es sich um ein aus Plastik bestehendes Maiskorn, das vor die Taube geworfen wurde. Eine raffinierte Menschenerfindung, die außer ihrem kargen Bestehen zu keiner anderen Funktion trägt.
Wenn ihr fragt wieso….
Der Gesetzesänderung nach kann eine Person, die ihre Verteidigung in einer Sprache tätigen möchte, in der sie sich besser ausdücken kann,obwohl sie die türkische Sprache versteht, nur nach der Verlesung der Anklage davon Gebrauch machen. Anschließend darf sich die angeklagte Person nicht in der Sprache verteidigen, in der sie sich am besten ausdrücken kann, sondern muss Türkisch reden. In den beiden Fällen, in denen es möglich ist, eine andere Sprache außer dem Türkischen zu sprechen, fällt die Aufgabe einen Dolmetscher zu finden der angeklagten Person zu. Zudem hat sie die vollen Kosten für den Dolmetscher zu tragen. Desweiteren kann die Verwendung einer anderen Sprache als Türkisch jederzeit von dem/der RichterIn mit der Begründung, dass dadurch der Prozess in die Länge gezogen würde, untersagt werden. Das Gesetzt überlässt somit dem/der RichterIn, ob in der jeweiligen Muttersprache die Verteidigung möglich ist oder nicht.
Erstens: Sollte die angeklagte Person nach der Verurteilung ins Gefängnis müssen, müsste sie dennoch die Gerichtskosten tragen. Deswegen kann die angeklagte Person nicht mit der Beschaffung eines Dolmetschers und dem Tragen seiner Kosten belastet werden. Das Gesetz drückt aus: Wenn du, obwohl du Türkisch kannst, unbedingt das Recht auf muttersprachliche Verteidigung verlangst, dann hast du auch das Geld dafür zu zahlen! Das bedeutet ein unveräußerliches Recht mit Geld zu kaufen! Herrje.
Zweitens: Stellen Sie sich vor, ein Mensch sagt, dass er sich auf Kurdisch besser ausdrücken kann. Das Gericht antwortet dem: “Okay, ich erlaube dir Kurdisch zu sprechen, aber nur nach Verlesung der Anklage und bei der dazugehörigen Stellungnahme. Im übrigen Teil hast du in einer Sprache zu sprechen, in der du dich nicht ausdrücken kannst.” Wo bleibt hier der Sinn? Wo ist die Logik?
Drittens: Das Gesetz überlässt es dem/der RichterIn willkürlich zu sagen: “Aaa,der Prozess zieht sich in die Länge”. An sich wird ihm zu jederzeit beliebiges Vorgehen in Bezig auf die Verteidigung in Kurdisch übertragen. Bewertet der/die RichterIn das neue Gesetzt mit guter Intention, dann besteht bei der Verteidigung vor Gericht in Kurdisch, beispielsweise bei den KCK-Prozessen kein Hindernis. Folglich liegt die Verteidigung auf Kurdisch wieder im Gewahrsam der “großen” türkischen RichterInnen. Das bestehende “politische Hindernis” wurde durch diese Gesetzesänderung nicht aufgehoben.
Die großen türkischen RichterInnen werden demnach entscheiden wieviel Türkisch die angeklagte Person versteht, wieviel sie nicht versteht und ab wann der Prozess in die Länge gezogen wird. Genau diese RichterInnen haben zuletzt bei den Gerichtsverfahren der angeklagten JournalistInnen verhindert, dass die Angeklagten mit ihren AnwältInnen reden und den sich im Hungerstreik befindenden Angeklagten Wasser mit Zucker gegeben wird. Sie sorgten dafür, dass das Mikrofon eines Angeklagten abgestellt wird, weil er “unerhörterweise” angefangen hatte Kurdisch zu reden. Die Sprache eines Volkes wurde dann als “eine nicht-türkische Sprache” oder als “eine unbekannte Sprache” im Gerichtsprotokoll vermerkt.
Wir sehen, dass der Staat, wenn es um die Rechte der KurdInnen geht, seine Taktik aus der sophistischen Industrie speist. Es wird ein Ettikett angeklebt, wonach die eingeforderten Rechte umgesetzt seien. Dieses Ettikett trägt die Besonderheit, dass nur diejenigen, die Geld haben von diesen Rechten Gebrauch machen können.
…zu ungenießbar der Geschmack des Staates.
Quelle: Radikal, 15.11.2012, ISKU