Redet nicht, tut was

kck-festnahmeEine Analyse von Adil Bayram über den Krieg in Kurdistan und die Hinhaltepolitik der AKP
Adil Bayram – Kolumnist von Özgür Gündem, 18.06.2012

Es ist erkennbar, dass sich die AKP seit geraumer Zeit auf der Suche nach einer Lösung befindet. Aber es ist nicht zu erkennen, ob es bei dieser Suche darum geht, die Grundprobleme unseres Landes, und hier vorrangig die kurdische Frage, zu lösen, oder ob sie nur Zeit gewinnen wollen, um ihre Macht zu stärken. Das ist diskussionswürdig.

Die AKP ist an diesem Punkt angelangt, weil sie den ganzen Winter lang den kurdischen Widerstand nicht brechen und unterdrücken konnte und weil sie die teilweise herrschende, demokratische Einheit nicht auflösen konnte. Und als dann noch das in die Länge ziehen der Krise in Syrien durch die USA dazugekommen ist, erlebt die AKP-Regierung nun die schwierigste Phase ihrer Geschichte.

Getreu dem Motto „In der Not frisst der Teufel fliegen“ versucht sich die AKP-Regierung nun in dieser aktuellen Krise an allem festzukrallen, was ihr über den Weg läuft. Sie hat diese Politik damit eingeleitet, kurdische Politiker, die am Nullpunkt angekommen sind, in das Land zu bringen und will es aktuell fortführen, indem sie Fetullah Gülen aus Amerika in die Türkei ruft. Mit diesen Aktionen erhofft sie sich die Schwächung und Zersplitterung des kurdischen Widerstands, der Basis der demokratischen Bewegung und die Schwächung des oppositionellen islamischen Teils.

Zunächst versuchte sie, die Partei für Frieden und Demokratie BDP, Demokratische Partei Kurdistan KDP und einige JournalistInnen als Vermittler einsetzend, die PKK von ihrem aktiven, bewaffneten Widerstand abzubringen. Nun versucht sie diese Politik weiterzuführen, indem sie sich an das Projekt der CHP festklammert. In diesem Rahmen sagte sie nach Gesprächen mit KDP-Vertretern, „wenn die Waffen schweigen, werden die Operationen gestoppt“, womit sie zu einem gegenseitigen Waffenstillstand aufrief. Auch jetzt werden ähnliche Aufrufe gemacht und es wird von „Kurdisch als Wahlfach“ gesprochen.

Auf all dieses folgt von Seiten der PKK die sehr klare Antwort, dass „die Gesundheit, Sicherheit und Freiheit des PKK-Führers gesichert und förmliche Verhandlungen geführt werden müssen.“ Es sieht so aus, dass die AKP nicht dazu bereit ist. Sie ist vielmehr darauf bedacht, zu verzögern, Zeit zu gewinnen und ihre Macht auszubauen.

In Folge dessen bleiben die Vermittlungen ohne Wirkung. Die Beziehungen mit der BDP, die als Adressaten der „politischen Verhandlungen“ genannt werden, sind nahezu auf dem Nullpunkt. Die Gespräche mit der KDP brachten wirtschaftliche Ergebnisse, aber weitergehende politische oder militärische Ergebnisse brachten sie nicht. Noch nicht einmal Veröffentlichungen von Beobachtungen und Gedanken von Journalisten, wie die von Avni Özgürel wurden genehmigt. (Der Journalist Avni Özgürel von türkischer Tageszeitung Radikal war davor in Kandil und hatte Murat Karayilan interviewt. Dieses Interview wurde nicht veröffentlicht, erst dann als Murat Karayilan in einer Interview mit ANF davon redete, wurde es in einem Blog veröffentlicht.)

Nachdem diese Anläufe ins Leere liefen, werden nun das „Projekt der CHP“ und die „Worte von Leyla Zana“ diskutiert. Achtet man darauf, ist zu erkennen, dass mehr AKP-Vertreter als CHPler das Projekt der CHP in Beschlag nehmen. Aber sie höhlen es aus. Sie stellen so die CHP im Krieg gegen die Kurden als Buhmann dar.

Auch die Erklärungen von Leyla Zana werden am stärksten von den AKPlern ein Beschlag genommen. Die Worte von Leyla Zana wie „Tayyip Erdogan löst die Kurdenfrage“ scheint die AKPler sehr zu befriedigen. In der Presse werden diese Ergebnisse als „Leg die Waffen nieder und wir diskutieren über einen Hausarrest“ wiedergegeben. Alle diese Punkte sind also innerhalb dieser politischen Suche der AKP seit dem Frühling zu interpretieren.

Nach der BDP, KDP und Avni Özgürel reihen sich also auch die CHP und Leyla Zana in die Karawane der Vermittler ein. Diese Parteien können ja intern konsequent sein, sie können auf eine friedliche, politische Weise eine Lösung für die kurdische Frage fordern. Da sagen wir ja nichts zu. Aber es ist eine Realität, dass die aktuelle Situation der Vermittlerrollen im Sinne der grundlegenden Suche der AKP an die Tagesordnung gebracht wird. Das sollten alle vorrangig erkennen.

Aber was ist der Inhalt dieser Suche? Will die AKP wirklich die Probleme lösen, oder will sie durch Verzögerung ihre Macht stärken? Das ist der springende Punkt.

In dieser Hinsicht haben die Führungskräfte der BDP erklärt, „dass sich die AKP in [Vor]Wahlstimmung befindet und sie der AKP nicht mehr vertrauen, dass diese einen Wunsch zu einer Lösung hat.“ Die Führungskräfte der CHP versuchen die MHP zu beeinflussen. Und Leyla Zana erklärt, dass „sie daran glaube, Tayyip Erdogan könne die Kurdenfrage lösen.“ Besir Atalay und seinesgleichen sagen aus, dass „sie umfangreiche Gespräche geführt hätten“ und versuchen das Bild zu schaffen, sie seien kurz vor einem Lösungsdurchbruch. Und von der Führung der PKK kommt die Erklärung, dass „sie außerhalb dieser Gespräche sind und keinerlei Gespräche geführt worden sind.“

Die Menschen sind durch diese aktuelle Situation durcheinander. Der Gesellschaft werden gegensätzliche Punkte gleichzeitig und als wären sie real vorgestellt. Es ist offensichtlich, dass ein ernsthafter, psychologischer Krieg geführt wird. Die Gesellschaft soll durcheinander gebracht werden, ihr Bewusstsein soll getrübt und falsche Erwartungen erweckt werden. Vorrangig sollten wir diese Wahrheit gut erkennen und unsere Worte und unser Verhalten hiernach gestalten. Ansonsten würden wir ein Teil dieses derzeitigen, psychologischen Krieges werden.

Vor allen Kurden und demokratische Kräfte sollten bei diesem Punkt sehr aufmerksam sein. Denn diese Parteien müssen Widerstand leisten und die Demokratisierung weiterführen. Beachtet man die Erklärungen der PKK, dann haben die Worte des Koordinators Minister Besir Atalay keinerlei Bezug zur Wahrheit. Diese Worte, die nur das Ziel haben, die Kurden zu täuschen und Erwartungen aufkeimen zu lassen, damit sie sich vom Kampf distanzieren, sind ein Teil des psychologischen Krieges. Das muss vorrangig erkannt werden und man darf sich nicht vom psychologischen Krieg beeinflussen lassen.

Zweitens muss man die Aussage „Kurdisch als Wahlfach“ richtig auslegen. Die Bildung einer Gesellschaft in seiner Muttersprache als „Wahlfach“ aufzunehmen ist offen gesagt eine Beleidigung für diese Gesellschaft. Dieser Zustand ist Teil eines kulturellen Genozids und ein eindeutiger Beweis dafür. Anstatt das die AKP sich so verhält, hätte sie lieber an ihrer eigenen Linie, wie „Kurdisch ist keine kultivierte Sprache“ aus dem Mund von Bülent Arinç, festhalten sollen. Die Masken sind gefallen. Wenn Kurdisch also eine Sprache, eine Muttersprache ist, dann kann Bildung in dieser Sprache stattfinden, warum findet dann die Bildung der Kurden nicht in ihrer Muttersprache Kurdisch statt, sondern warum soll Kurdisch als „Wahlfach“ gelernt werden? Diese Auffassung ist ein Bekenntnis von Kolonialismus und kulturellem Genozid.

Und drittens möchte ich einige Worte zu Leyla Zanas Worten sagen. Natürlich finden wir nicht alles an der Erklärung falsch. Auch die Ermutigung in den Worten „Ich glaube daran, dass Tayyip Erdogan die Kurdenfrage lösen wird“ verstehen wir. Aber dienen diese Worte in dieser Zeit der Lösung oder dem psychologischen Krieg? Das muss gut abgewogen werden.
Tayyip Erdogan ist nicht irgendjemand, er ist der Ministerpräsident. Er ist nicht in der Opposition, er ist an der Macht. Er ist nicht neu an der Macht, sondern ist seit 10 Jahren Ministerpräsident. Dann soll er doch die Kurdenfrage lösen! Das ist doch auch seine Aufgabe. Warum löst er es seit 10 Jahren nicht? Wer hindert ihn denn daran?
Man beachte aber, er löst es nicht. Anstatt die Kurdenfrage zu lösen, nutzt er es dazu, seine Macht zu stärken. Wenn er es nicht lösen kann, soll er die Gründe offenlegen! Aber er legt es nicht offen. Wenn es Hinderungsgründe gibt, soll er sie nennen! Aber er nennt sie nicht. Wie sollen wir denn dann überhaupt glauben, dass Ministerpräsident Erdogan die Kurdenfrage löst? Redet nicht, tut was!
Schauen wir mal, was Ministerpräsident Erdogan in den 10 Jahren zur Kurdenfrage gemacht hat. Positives: 1. Hoffnungen geweckt, dass er es löst, 2. „Kurdischer Herkunft“ wird mittlerweile gesagt, 3. Es gibt AKP-Propaganda auf Kurdisch im TRT-6. Das ist alles. Schaut man darauf, erkennt man, dass all dies, durch die Irreführung, der Erlangung der Unterstützung durch die kurdische Gesellschaft dient. Die AKP führt den kulturellen Genozid durch, indem sie „Kurdisch“ sagt.

Natürlich gibt es daneben auch noch die negativen Seiten. Wie viele Parteien, die die Rechte der Kurden verteidigen, sind während der AKP-Herrschaft verboten worden? Wie viele kurdische Intellektuelle und Politiker sind im Gefängnis? Wie viele Bürgermeister und Abgeordnete sind im Gefängnis? Wie viele kurdische Kinder sind wegen „Steinewerfens“ im Gefängnis? Wie viele Menschen sind dem Polizeiterror ausgesetzt gewesen? Wie viele Personen sind festgenommen und ausgefragt worden? Wegen welcher Schuld ist Leyla Zana vor kurzem zu etwa 10 Jahren Haftstrafe verurteilt worden?
Fragen dieser Art können weitergestellt werden. Allein schon die Razzien, die seit dem 14. April 2009 gegen die kurdische, demokratische Politik geführt werden (bislang gab es mehr als 8000 Inhaftierungen und die tägliche Razzien gehen weiter), lassen erkennen und verstehen, dass die AKP die Kurdenfrage nicht lösen möchte. Gibt es die kurdische Politik nicht und ist der politische Wille der kurdischen Gesellschaft nicht erlaubt, mit wem soll die politische Lösung der Kurdenfrage dann stattfinden?

Die AKP löst die Kurdenfrage also nicht. Sie löst sie nicht und sie kann sie nicht lösen. Sie nutzt die Kurdenfrage als Mittel zur Stärkung ihrer Macht. Darum verzögert sie und führt die Politik zum Zugewinn von Stimmen. Jetzt ist sie durch die regionalen Entwicklungen und der Entwicklung des kurdischen Widerstands in die Enge getrieben und sucht auf dem Weg heraus nach verschiedenen Wegen. Ihre Vermittlungen und einige, neuer Wörter sind in diesem Rahmen zu sehen.

Bestimmt kann es sein, dass die AKP-Führung auf der Suche ist. Aber kurdische Politiker dürfen nicht das Mittel der AKP sein, aus dieser Enge einen Ausweg zu suchen. Das ist weder ihre Arbeit noch ihre Aufgabe. Im Gegenteil, ihre Arbeit sind die Lösung der Kurdenfrage, die Intensivierung in der Demokratisierung und die Entwicklung des Lösungskampfes

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