Unter diesen Umständen ist es schwierig über Frieden zu reden

yuksel gencEine Analyse von Yüksel Genç über die Lösung der kurdischen Frage, die Friedensarbeiten in der Türkei, die Entwaffnung der PKK und die „KCK-Operation“ der türkischen AKP-Regierung.
Yüksel Genç*, Inhaftierte Journalistin und Friedensaktivistin, 17.06.2012

Wann immer in Regierungskreisen von einer Lösung der kurdischen Frage gesprochen wird, erwähnen sie im zweiten Satz stets, dass die PKK von den Bergen auf die politische Ebene gezogen werden muss: „Wäre es schlimm, wenn sie auf Waffen verzichten und auf legaler Basis ihren Kampf führen?”
Dies geht nicht. Dies geht nicht, aber haben sie sich je gefragt, was die Antwort auf diesen Wunsch ist, die zu einer fantastischen Wiederholung wird? Haben sie sich gefragt, auf welche Referenzen sich die PKK bei der Bewertung dieser Forderung beziehen wird? Die PKK wird dabei die Erlebnisse derjenigen berücksichtigen, die in der Vergangenheit Teil der illegalen, gar bewaffneten Strukturen waren, jedoch heute im legalen Raum irgendwie zu existieren versuchen.

Eine gesetzliche legale Grundlage?

Hierbei sind selbstverständlich die Friedensgruppen, die 1999 und 2009 in die Türkei kamen, das beste Beispiel. Was geschah mit den Menschen, die wie gefordert, die Waffen niedergelegt und von den Bergen in die Täler gekommen sind, ihre Kampflinie mit legalen demokratisch-politischen Mitteln festgelegt haben? Können sie tatsächlich, wie gesagt, ihren Kampf auf legaler Basis führen? Können sie vertrauensvoll die Mittel der legalen Ebene nutzen? Ich kann eindeutig sagen – NEIN! Lassen Sie uns zunächst über die erste Friedensgruppe reden, die aus Europa und dem Kandil-Gebiet – dieser gehörte auch ich an – gekommen ist. Die Mitglieder dieser Gruppe sind umgehend nach ihrer Einreise in die Türkei verhaftet worden. Sie erhielten unter dem Vorwurf der Parteimitgliedschaft und dem Innehaben von Führungspositionen Haftstrafen. Ende 2004 wurde ein Großteil, ein geringerer Teil 2009 frei gelassen. Allerdings sind meine beiden Freunde, Haydar Ergül und Haci Celik, die sich aus Europa an der Friedensgruppe beteiligt hatten, noch inhaftiert. Sie warten auf das Ende ihrer längst hinfälligen Haftstrafe. Es gibt kaum einen, der sich an die beiden erinnert, ihnen gedenkt!

Was geschah mit denen, die freigelassen wurden? Die Mitglieder der Friedensgruppe haben nach der Haft Friedensarbeit geleistet. Sie waren Gründungsmitglieder des Friedensrates in der Türkei. Sie haben sich an zahlreichen Initiativen beteiligt, die eine Lösung für die kurdische Frage suchen. Ich war zum Beispiel journalistisch tätig. Aysel Dogan war Vorsitzende eines alevitischen Vereins. Aber allen voran blieben wir Mitglieder der Friedensgruppe.

Der überwiegende Teil ist noch im Friedensrat aktiv. Diese Friedensarbeit war für viele von ihnen nicht einfach. Bereits zu Beginn dieser Arbeit wurden drei Freunde erneut festgenommen und erhielten wegen des Vorwurfs von Propaganda Strafen. Dabei hatten sie für den Frieden lediglich ihre Geschichte erzählt. Auch später wurden zahlreiche Prozesse gegen uns geführt. Unsere Reden und Texte, in denen wir unsere Geschichten erzählten und unsere Meinung für den Frieden äußerten, waren stets Gegenstand von Prozessen. Aber wir haben immer darauf bestanden, auf legaler Ebene, in der demokratischen Politik zu bleiben; ein Teil als JournalistInnen, ein Teil als PolitikerInnen, ein Teil im Rahmen von Aktivitäten in zivilgesellschaftlichen Organisationen.

JournalistIn
Es ging dennoch nicht. Zunächst wurde Aysel Dogan im Rahmen der KCK-Verhaftungswelle und anschließend ich verhaftet. Aysel war zu dieser Zeit Vorsitzende eines alevitischen Vereins. Ich war Kolumnistin bei der Zeitung Özgür Gündem. Jetzt sind wir beide wegen Mitgliedschaft in einer bewaffneten Organisation angeklagt und es werden 20 Jahre Haft gefordert. Schauen sie sich diese Ironie des Schicksals an: Ich, die als Guerilla von den Bergen kam, wurde wegen Mitgliedschaft zu fünf Jahren Haft verurteilt. Jetzt werden 20 Jahre Haft für meine journalistische Tätigkeit in den Städten gefordert. Es gibt auch keinerlei Garantie, dass die anderen Mitglieder der Friedensgruppe nicht auch mit ähnlichen Vorwürfen verhaftet werden. Wird eine Organisation, die diese Situation sieht, die Möglichkeit des Kampfes auf legaler Ebene in den Städten nutzen? Überlegen Sie selbst.

Das Ende ist noch fern
Sie denken, dass dieser Missstand lediglich die ersten Friedensgruppen betrifft? Sie täuschen sich leider. Die Erlebnisse der Friedensgruppen, die 10 Jahre nach uns aus dem Kandil-Gebiet und aus dem Flüchtlingslager Mahmur gekommen sind, sind noch recht aktuell. Auch wenn der letzten Gruppe bei ihrer Einreise keine Verhaftungen widerfahren sind, war jede ihrer Reden Gegenstand eines Prozesses und nach sieben Monaten kam es zu ersten Festnahmen. Während 10 Gruppenmitglieder zu schweren Haftstrafen von 10 bis 20 Jahren verurteilt wurden, sind die anderen „aufgrund fehlender Bedingungen für einen Frieden in der Türkei“, wieder nach Mahmur zurückgekehrt. Die Verfahren, die noch fortgeführt werden, sind Routine. Kann die PKK, selbst wenn sie es möchte, vor diesem Hintergrund überhaupt den Beschluss fassen, die Berge zu verlassen und auf legaler Ebene den Kampf fortzuführen? Der zweite Punkt, der als Referenz den Beschluss der PKK bezüglich dieser Forderung beeinflussen wird, sind die Erlebnisse derjenigen Kurden, die auf legaler Ebene kämpfen und in zivilgesellschaftlichen Organisationen tätig sind. Hier besteht auch nicht viel Hoffnung. Warum?
Denn: Seit dem 14. April 2009 befinden sich entsprechend dem angewandten Konzept ca. 8.000 kurdische PolitikerInnen, AktivistInnen, JournalistInnen, ÄrztInnen, AnwältInnen, Studierende usw. in Haft. Von der BDP sind 6 Abgeordnete, 39 Bürgermeister, stellvertretende Vorsitzende, Mitglieder des Präsidialrates, ein Großteil der Vorsitzenden der Kreise und Kommunen und Ratsmitglieder verhaftet. Es liegen hunderte Anträge gegen die BDP-Abgeordneten im türkischen Parlament zur Aufhebung ihrer Immunität vor. Schlimmer noch, beim Kassationshof wurde das Verbot der BDP beantragt. Sämtliche Medien, die die kurdische Frage thematisieren, sind unter dem Vorwurf der „Arbeit für die die Organisation“ angeklagt. Dutzende zivilgesellschaftliche Organisationen, einschließlich Frauenorganisationen, werden strafrechtlich verfolgt. Unter dem Deckmantel des sog. KCK-TM (Türkeirat der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistan KCK) werden systematisch sämtliche legalen Arbeiten und Strukturen kriminalisiert. Aus diesem Grund werden schubweise kurdische PolitikerInnen und AktivistInnen systematisch verhaftet. Kann vor diesem Hintergrund die PKK der Forderung „führe den Kampf nicht in den Bergen, sondern auf legaler Ebene“ nachkommen? NEIN! Wird diese Organisation nicht fragen „Was wird, abgesehen vom internen Vertrauen, aus mir?“. Hätte sie unrecht zu sagen „Wenn sie uns vor diesem Hintergrund dennoch zur legalen Politik einladen, täuschen sie sich selbst oder uns?“ Meiner Meinung nach nicht. Wird sie nicht sagen, „Dein Ziel ist nicht Frieden oder eine Lösung, sondern Liquidation?“ Sie wird es sagen.
Daher muss man die Wahrheit aussprechen. Solange die Grundlagen für einen Kampf auf legaler Ebene nicht gegeben sind, der legale Rahmen nicht sicher ist, die Rechte und Freiheiten nicht geschützt werden und die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht vorliegen, die inhaftierten 8000 Menschen nicht freigelassen werden, stellt sich die Frage, „Warum soll die PKK die Berge verlassen? Wie soll dies geschehen? Wohin soll sie kommen? Soll sie kommen, um im Gefängnis zu landen? Um sich am Ende von der politischen Arbeit zu entfernen? Oder um erneut aufgrund einer politischen Aktivität angeklagt zu werden? Warum soll sie kommen? Gebt eine offene Antwort.

YÜKSEL GENÇ: zur Zeit in der Haftanstalt für Frauen und Kinder Bakirköy / Istanbul

Bemerkungen von der Übersetzerin:
Yüksel Genç schrieb diesen Artikel für die Sonntagsausgabe vom 17.06.2012 „Radikal 2“ der türkischen linksliberalen Tageszeitung Radikal. Dies wird in der Radikal Zeitung als eine Plattform dargestellt, um der kurdischen Seite die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern.

Wer ist Yüksel Genç:

Yüksel Genç, geboren 1973 in Hatay, Schulbesuch bis zum Studium in Hatay. Sie hatte an der Universität Istanbul internationale Beziehungen studiert. Lernte während ihres Studiums die kurdische Freiheitsbewegung kennen. 1995 schloss sie sich der Arbeiterpartei Kurdistans PKK an und ging in die Berge Kurdistans. 1999 entsendete die PKK, dem Vorschlag ihres auf der Gefängnisinsel Imrali unter schwersten Isolationsbedingungen inhaftierten Vorsitzenden Abdullah Öcalan folgend, zwei Friedensgruppen in die Türkei, eine aus dem Kandil-Gebiet – dieser 8-köpfige Gruppe gehörte Yüksel Genc an–- und eine Gruppe aus Europa, um ihrem politischen Lösungswillen Nachdruck zu verleihen. Sämtliche Mitglieder dieser Gruppen wurden festgenommen. Eines der wichtigen Auswahlkriterien bei der Zusammensetzung dieser Gruppe, so beschreibt Yüksel Genç in diversen Interviews selbst, war der Punkt, dass diese Personen nicht am bewaffneten Kampf beteiligt waren. Sie wurde damals zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Nach ihrer Freilassung arbeitete sie als Journalistin und Friedensaktivistin. Sie war eine der Initiatoren des Friedensrats der Türkei der am 1. September 2007 gegründet wurde. Im Zentrum steht eine demokratische und friedliche Lösung der Kurdenfrage in der Türkei.
Neben ihren Friedensarbeiten war sie Kolumnistin bei diversen Zeitungen und einige Zeit verantwortliche Chefredakteurin der Tageszeitung „Gündem“, die aufgrund ihrer Berichterstattung zur kurdischen Frage verboten wurde. In Dezember 2009 wurde sie mit Hatip Dicle zu Co-Vorsitzenden des Demokratischen Gesellschaftskongresses DTK gewählt.
Sie war als Journalistin und Kolumnistin bei der Zeitung Özgür Gündem tätig als sie mit weiter 40 JournalistInnen – meist kurdische – am 20. Dezember 2011 festgenommen und später am 24. Dezember inhaftiert wurde.
Seit dem wartet sie in Haftanstalt für Frauen und Kinder Bakirköy / Istanbul auf ihren Prozess wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in einer bewaffneten Organisation. 20 Jahre Haft werden für sie gefordert.
Ihr Anschrift ist: Yüksel Genç, Bakirköy Kadin ve Çocuk Tutukevi, Istanbul, Türkei

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