Alle kurdischen Kantone rufen Demokratische Autonomie aus

Pressemitteilung von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 31.01.2014
Ausrufung der Demokratischen Autonomie in Cizîre, Kobanî und Efrin – Wahlen binnen vier Monaten geplant – Feierlichkeiten und Solidatitätsbekundungen über die Grenzen Rojavas hinaus – „Vorgeschmack auf pluralistisches und demokratisches Syrien“

Im Norden Syriens haben die drei kurdischen Kantone Cizîre, Kobanî und Efrin die Demokratische Autonomie ausgerufen. Alle drei mehrheitlich von Kurdinnen und Kurden besiedelten Gebiete verfügen nun über eine eigenständige Verwaltungen, die aus je einem 101-köpfigen gesetzgebendem Rat, 21 Ministerien und drei Exekutivratssprechern bestehen.

Bereits Anfang Januar hatte der „Übergangsrates zur Bildung der Selbstverwaltung in Westkurdistan“ die kurdischen Gebiete im Norden Syriens in drei Kantone aufgeteilt und der Bevölkerung in den jeweiligen Kantonen den Auftrag gegeben, ihre Demokratisch-Autonomen Verwaltungen aufzubauen. Außerdem hat derselbe Übergangsrat einen Gesellschaftsvertrag für Rojava verabschiedet, der für alle Kantone weitgehend verbindlichen Charakter hat.

In Cizîre wurde die Demokratisch-Autonome-Verwaltung bereits am 21. Januar ausgerufen. Dort wurde der Kurde Ekrem Hiso zum  Vorsitzenden der Demokratisch Autonomen Verwaltung gewählt, während zu seinen StellvertreterInnen die Assyrerin Elizabet Gewriyê und der Araber Husen Ezem gewählt wurden. Zudem verfügt der Kanton Cizîre über drei Amtssprachen (Kurdisch, Aramäisch und Arabisch). Nach der Ausrufung der Selbstverwaltung in Cizîre hat der Vorsitzende des Kantons Ekrem Hiso in eine ersten Erklärung im Namen des Kantons Czîre abgegeben. Darin heißt es unter anderem, dass man mit den Erfahrungen, die in der Autonomen Verwaltung von Cizirê gesammelt werden, als Vorbild für ein zukünftiges Syrien dienen und bei dessen Aufbau wegbereitend sein wolle. „Wir fordern ein Ende des Blutvergießens, ein Ende des Embargos, humanitäre Hilfe für die notleidenden Gebiete sowie die Freilassung der Gefangenen“, erklärte Hiso.

In Kobanî folgte die Ausrufung der eigenen Verwaltung am 27. Januar und in Efrin am 29. Januar. Die vorrangige Aufgabe aller drei Verwaltungen wird es sein, Wahlen für ihre Kantone vorzubereiten, durch welche der jeweilige gesetzgebende Rat neu zusammengesetzt werden soll. In den 101-köpfigen gesetzgebenden Räten sind feste Quoten für die christlichen und arabischen Volksgruppen in Rojava ebenso vorgesehen wie eine Geschlechterquote. Die Wahlen sollen binnen vier Monaten durchgeführt werden. In einem nächsten Schritt nach den Wahlen soll ein Koordinierungsrat zwischen den drei Kantonen geschaffen werden.

Die Ausrufung der Demokratisch-Autonomen Verwaltungen wird seit Tagen in allen Teilen Rojavas von zehntausenden Menschen gefeiert. Begrüßt wurde die Ausrufung auch von der kurdischen Bevölkerung außerhalb Rojavas. So finden in zahlreichen Städten Nordkurdistans (Ost-Türkei) Solidaritätskundgebungen mit Rojava statt, auf denen die Ausrufung gefeiert wird. Auch die Partei für Frieden und Demokratie (BDP), der Demokratische Gesellschaftskongress (DTK) und die Demokratische Partei der Völker (HDP) aus Nordkurdistan und der Türkei begrüßten die Demokratische Autonomie in Rojava. In Südkurdistan (Nord-Irak) begrüßten neben der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) und der Goran-Partei 13 weitere Parteien und Organisationen die Ausrufung Demokratisch-Autonomen Verwaltungen. Sie erklärten, dass die Unterstützung und der Schutz der Errungenschaften von Rojava zu ihren vorrangingen Pflichten zähle und forderten die südkurdische Regierung unter Massud Barzani dazu auf, die Demokratische Autonomie offiziell anzuerkennen und den Grenzübergang zwischen Südkurdistan und Rojava offen zu halten.

In Rojava wird die Ausrufung der Demokratisch-Autonomen Selbstverwaltungen von insgesamt 57 Organisationen, darunter 13 politischen Parteien unterstützt und mitgetragen. Auch Mitglieder des Nationalen Koordinationskomitees für demokratischen Wandel der syrischen Kräfte (CNCD), ein syrischer Oppositionszusammenschluss aus 10 arabischen politischen Parteien und 3 kurdischen Parteien, beglückwünschten die Bevölkerung Rojavas zur Ausrufung ihrer Selbstverwaltung.

Im Gespräch mit unserem Büro erklärte Salih Müslim, der Co-Vorsitzende der Partei der Demokratischen Einheit (PYD), dass die Ausrufung der Demokratisch-Autonomen Verwaltungen in Rojava keinesfalls einer Abspaltung der kurdischen Gebiete vom Rest Syriens gleichkomme. „Wir verstehen die drei Kantone weiterhin als Teil Syriens. Allerdings hat die Bevölkerung, das Recht  sich demokratisch selbst zu verwalten. Mitten im Bürgerkrieg ist die Ausrufung der Demokatisch-Autonomen Selbsverwaltung auch ein Schritt, um den Chaoszustand in den übrigen  Teilen des Landes von Rojava fernzuhalten. Aber wir diskutieren schon seit knapp zehn Jahren darüber, wie demokratische Sebstverwaltungsstrukturen für unsere Bevölkerung aussehen könnten. Es ging uns von Anfang an auch darum, alle Teile der Gesellschaft in solch ein Projekt einzubeziehen. In Cizîre gibt es drei Amtssprachen, in Afrin wurde eine alawitische Frau zur Vorsitzenden gewählt. Das sind Beispiele, die unter Beweis stellen, worum es uns geht.  Im Gesellschaftsvertrag für Rojava ist festgehalten, dass die selbstverwalteten Kantone Teil eines zukünftig demokratischen und dezentralen Syriens sind.  Was in Rojava aufgebaut wird, sollte deshalb nicht als Bedrohung der Einheit Syriens angesehen werden, wie es politische Kräfte darstellen, die die Kurden in der Region nicht anerkennen wollen. Ganz im Gegenteil, die Demokratische Autonomie in Rojava ist ein Vorgeschmack dafür, wie ein pluralistisches und demokratisches Syrien in Zukunft aussehen könnte“, so Müslim.

Weitere Informationen zu den aktuellen Entwicklungen in Rojava finden Sie hier:

FÜR DIE ERMÖGLICHUNG HUMANITÄRER HILFE IN DEN KURDISCHEN PROVINZEN SYRIENS – ROJAVA – Erklärung von Civaka Azad, 30.01.2014

SYRIEN: ZWISCHEN KRIEG, EMBARGO UND BASISDEMOKRATIE – Plenarrede von Jan van Aken (DIE LINKE) im Bundestag, 16.01.2014

DER TIGRIS IST NICHT NUR INNERKURDISCHE GRENZE, ER MARKIERT DIE GRENZE ZWEIER GESELLSCHAFTSSYSTEME – Embargo gegen die Revolution, Nick Brauns, Journalist und Historiker

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