Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 21.08.2016
Gegen 22:30 Uhr Ortszeit wurde gestern (20. August) in der Provinz Dîlok (Gaziantep) ein blutiger Selbstmordanschlag auf eine Hochzeitsfeier verübt. Die Hochzeit fand in einem Stadtteil von Dîlok statt, in welchem überwiegend Kurdinnen und Kurden leben. Auch handelte es sich bei der besagten Hochzeitsfeier um eine kurdische Hochzeit. Nach ersten Vermutungen geht der Anschlag auf das Konto der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) zurück.
Augenzeugen, die kurz nach der Tat in den Fernsehsendern von der Tat berichteten, erklärten, dass auf den Straßen nach dem Anschlag getrennte menschlichen Körperteile zu sehen waren und viele Krankenwagen aus den umliegenden Krankenhäusern zum Tatort kamen. Es seien viele Tote und Verletzte zu verzeichnen. Am Morgen nach dem Anschlag sprach der Gouverneur von Dîlok von insgesamt 51 Toten.
Nur eine Stunde nach dem Anschlag wurde von der türkischen Regierung eine Nachrichten- und Ausgangssperre über den Ort verhängt, nachdem türkische Nationalisten mit Allahu ekber rufen und türkischen Fahnen den Stadtteil angriffen. Auch sollen die Nationalisten Menschen davon abgehalten haben, Blutspenden für die Verletzten in den umliegenden Krankenhäusern abzugeben.
Die Provinz Dîlok liegt an der Grenze zu Syrien und gilt als Hochburg des IS. So liegt die vom IS gehaltene Stadt Dscharablus am syrisch-türkischen Grenzgebiet in direkter Nachbarschaft zur Provinz Dîlok. Nach Dscharablus flüchteten viele IS-Terroristen nachdem die Demokratischen Kräfte Syriens vor Kurzem die Stadt Minbic (Manbij) befreiten.
KCK: Die AKP ist verantwortlich für diesen Anschlag
Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) machte heute in einer schriftlichen Erklärung die AKP-Regierung für dieses Massaker an der kurdischen Bevölkerung verantwortlich. So erklärt die KCK: „Selbst wenn der IS dieses Massaker ausgeführt hat, so ist doch die AKP-Regierung hierfür verantwortlich. Denn die AKP hat den IS genährt und groß gemacht. Sie hat zugelassen und die Augen davor verschlossen, dass der IS sich in Dîlok organisiert und stark wird. Die AKP-Regierung hat über den IS versucht, in Syrien Einfluss auszuüben und die Revolution von Rojava zu ersticken. Infolge dessen hat sie nicht nur dazu beigetragen, dass sich Syrien zu einem Meer von Blut verwandelt hat, sie hat auch den Weg für blutige Massaker in Europa, der Türkei und Kurdistan geebnet.“
Weiter heißt es in der Erklärung, dass die AKP den IS derzeit sowohl für die eigenen politischen Interessen vermarkte als auch als Provokateur einsetze. So werde in der Türkei in den letzten Tagen wieder intensiver darüber diskutiert, unter welchen Umständen und mit welcher Begründung man im Norden Syriens und in Rojava intervenieren könne. „Der türkische Geheimdienstchef Hakan Fidan sprach schon vor zwei Jahren davon, dass man ohne Probleme aus Syrien in die Türkei zwei Raketen abschießen könne, um sich so die Legitimation für einen Einmarsch zu verschaffen ((Diese Gesprächsinhalte aus einem internen Regierungstreffen wurden aufgezeichnet und tauchten später im Internet auf)). Deshalb ist es auch jetzt nicht auszuschließen, dass dieses IS-Massaker auf Anweisung des türkischen Geheimdienstes MIT durchgeführt wurde. Denn die Türkei wird versuchen, durch das Massaker von Dîlok die internationalen und regionalen Mächte von der Notwendigkeit einer Pufferzone für Syrien zu überzeugen. Dieses Massaker, diese Provokation soll eben jenem Ziel der Türkei dienen. Und während mit der Errichtung der Pufferzone gegen die Errungenschaften der KurdInnen in Rojava vorgegangen werden soll, wurden zum Ziel der Provokation, die dieses Vorgehen legitimieren soll, ebenfalls die KurdInnen ausgewählt“, so die KCK.
Erst wenige Stunden vor dem Massaker veröffentlichte die KCK eine Deklaration, in welcher sie ihre Bereitschaft für den Dialog und die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen unterstrich, sobald der türkische Staat glaubwürdige Schritte in diese Richtung unternimmt. Auch im Oktober letzten Jahres kam es auf einer Friedenskundgebung in Ankara zu einem Selbstmordanschlag des IS, kurz nachdem die KCK ihre Bereitschaft erklärt hatte, unter bestimmten Umständen einen Waffenstillstand zu verkünden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob dieser Anschlag in Dîlok ebenfalls eine Antwort auf die Deklaration des KCK darstellt.
Die Unterstützung und Verflochtenheit des türkischen Staates mit den dschihadistischen Gruppen ist ein offenes Geheimnis. Erst vor einigen Tagen kam heraus, dass auch die Bundesregierung die Türkei als Aktionsplattform für islamistische Gruppen des Nahen und Mittleren Osten einstuft. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass die Türkei die terroristischen Gruppen nicht nur im Ausland, wie in Syrien, sondern auch im Inland gegen die Kurden einsetzt.
Am Montag erklärte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu, dass seine Regierung äußerst aufgrund der Entwicklungen im Norden Syriens und dem Vormarsch der kurdischen Kräfte auf Al Bab besorgt ist. Er unterstrich erneut, dass dies die rote Linie der Türkei ist und die kurdischen Einheiten nach der Befreiung von Minbic sich erneut östlich von Euphrat zurück ziehen sollten. Die türkische Regierung drohte unverhohlen, dass man nach der Befreiung von Minbic mit allen Mitteln verhindern würde, dass die KurdInnen ein geschlossenes Gebilde im Norden Syriens kontrollieren. Gemeint damit ist die Befürchtung der Türkei, dass die Einheiten der Demokratischen Kräfte Syriens bis nach Afrin vorstoßen und so die drei Kantone Rojavas miteinander verbinden. Während die Kantone Cizîrê und Kobanê seit der Befreiung von Girê Spî (Tall Abyad) Mitte Juni vergangenen Jahres miteinander verbunden sind, ist der Kanton Afrin im Nordwesten Syriens weiterhin isoliert und wird von den Kräften des Assad-Regimes, dem IS und weiteren dschihadistischen Gruppen belagert.