Sollten die Kurden nicht als dritte Kraft anerkannt werden, werden sie die Genfer Konferenz ablehnen!

Sabri OkSabri Ok, Mitglied des Exekutivrats der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans KCK, im Gespräch mit Firatnews (ANF). 15.01.2014

Sabri Ok erklärte gegenüber ANF, dass wenn die Kurden nicht als dritter Kraft anerkannt werden, sie die Genfer Konferenz 2 ablehnen müssen. „Sie sagen, die Kurden können ohne [eigene] Identität nach Genf kommen. Das ist ungerecht und beleidigend gegenüber den Kurden“, so Ok, „Es wird keine Lösung ohne Kurden in Syrien geben. (…) Rojava hat sowieso schon seinen Status bestimmt.“ Im Vergleich zu Lausanne [1923] und Genf sind die Kurden nicht dieselben Kurden wie zur Zeit von Lausanne. Auch die internationalen Kräfte haben nicht die selbe Initiative vor Ort wie damals.

In Rojava habe eine historische und großartige Revolution stattgefunden, so Ok, das kurdische Volk habe ohne Feindseligkeit gegenüber anderen seine Freiheit und Verteidigung errichtet. „Aber der Krieg in Syrien dauert noch an, weil die internationalen Kräfte sich einmischen. Innerhalb Syriens wird der Krieg als konfessioneller, ethnischer Krieg ohne Regeln fortgesetzt“, erklärte er. Mit der 19.-Juli-Revolution in Rojava aber habe die Bevölkerung ihr eigenes System aufgebaut. „Es war zwingend und zu Recht auch natürlich. Deswegen zwingend, weil das Leben niemals einen leeren Raum zulässt. Zuletzt ist es auch unumgänglich, wenn ein Volk seine Freiheit erlangt, muss es sein System aufbauen. Um die wirtschaftliche, soziale, politische, kulturelle und die Verteidigungsbedürfnisse des Volkes gewährleisten zu können, musste ein funktionierendes Verwaltungssystem gebildet und entsprechende ausübende Organe aufgebaut werden. Aus diesem Grund haben Persönlichkeiten, ethnische Gruppen und Glaubensgemeinschaften unter dem Dach von TEV-DEM angefangen ihr System aufzubauen.”

Rojava hat als erstes ein Verwaltungssystem der Demokratischen Moderne aufgebaut.

In Rojava wurden nach Abdullah Öcalans Fiktionen das erste Mal das System der Demokratischen Moderne und eine entsprechende Verwaltung aufgebaut. Dieses System kann als Modell nicht nur für Kurdistan sondern für den gesamten Nahen Osten und sogar weltweit entwickelt werden.

„Kanton ist ein französisches Wort. Es bedeutet Mitgliedschaft von kleinen Staaten oder Ländern an eine Föderation. Wir verstehen es nicht als Staat, sondern das ein staatenloses Volk sich in ihrem Lebensgebiet mit einer eigenen Verwaltung und Regierung mittels demokratischer Autonomie sich selbst regiert. Wir verstehen darunter, dass sich die Bevölkerung in ihren Lebensgebieten, alle sozialen Schichten, Glaubensgemeinschaften, die verschiedenen Kulturen mit eigener Kraft selbst regieren. Es gibt dafür Beispiele wie die Schweiz, Belgien und Italien. Sogar in den Zeiten der Imperien haben viele Volkgruppen sich selbst regiert. Zum Beispiel im Osmanischen Reich gab es nicht das Recht andere Völker zu assimilieren. Es gab keine zentrale Verwaltungskraft. Auch wenn es gezwungen war, gab es in den osmanischen Föderalismus. Es gab z. B. ein autonomes Kurdistan, Lazistan usw. Das was heutzutage in Europa als föderales System gilt ist nur ein bisschen demokratischer. Natürlich findet das auch nur im System der kapitalistischen Moderne statt.“ Sabri Ok unterstrich, dass in Rojava lebende Araber, Armenier, Assyrer, Jesiden und andere Völker und Glaubensgemeinschaften eine wichtige Rolle in dem Regierungsmodell spielen und dass die Kurden ihren Kampf im Sinne einen demokratischen Syrien fortführen. „Wie wir es auch aus dem Verwaltungsprotokoll ersehen können sind alle diese Völker bei der Regierungsbildung dabei. Das ist durch ein Abkommen garantiert. Wir nehmen es sehr ernst und legen großen Wert darauf, dass die Völker in Rojava in Freiheit sich selbst organisieren; sie mit gemeinsamer Regierung und Verwaltung ihre demokratische Autonomie leben“, so Ok

Wenn dies „in die Perspektive eines demokratischen Syrien” gebracht würde, gewinne es eine besondere Bedeutung. Die Revolution von Rojava bringe eine positive Entwicklung bei der Demokratisierung Syriens. Der Gesellschaftsvertrag Rojavas sei eine fortschrittlich entwickelte Verfassung. „Der Unterschied ist, das dieses Systems das erste Verwaltungssystem ist, das nach dem Paradigma von Abdullah Öcalan auf der Demokratische Modernität basiert. Es ist ein wichtiges Beispiel für den Nahen Osten. Deshalb wird es auf alle Teile Kurdistans und in der Region wichtige Auswirkungen haben. Wenn heute von den fortschrittlichsten und demokratischsten Grundgesetzen gesprochen wird, wird Bolivien als Beispiel gegeben. In Bolivien wird die Dezentralisierung hervorgehoben, die zentrale Regierung spielt eine nebensächliche Rolle. Es wäre gelogen wenn wir behaupten würden, dass wir alle Grundgesetze auf Welt durchstudiert haben. Aber eines wissen wir, dass die internationalen hegemonischen Kräfte die ideologischen, politischen und philosophischen Seiten des Systems beeinflussen.

Diese Systeme sind Versionen der kapitalistischen Moderne und beruhen auf der Mentalität von Nationalstaaten. In verschiedenen Ländern können sie unterschiedlich sein, aber im Kern sind alle Verfassungen gleich. Die Ideologie ist der Liberalismus; die Wirtschaft basiert auf Ausbeutung. Die moralischen Werte sind bedeutungslos. Gesetz und Recht sind an das System angepasst. Deshalb ist Rojava ein Beispiel für eine demokratische Verfassung. Es ist ein Gesellschaftsvertrag. Wenn wir drauf achten werden wir feststellen, dass die Rechte der Frauen, die Rechte der Kinder, der Ökonomie, Gesundheit, die Beziehungen untereinander, die Legislative, die Judikative usw. auf das Höchste geachtet werden. Er basiert auf dem Willen des Volkes. Es ist der demokratische, freiheitliche Gesellschaftsvertrag. In so einem Vertrag gibt es keinen Platz für einen ethnischen, religiösen, geschlechtlichen Nationalismus. Mit diesem Vertrag sollen alle Völker, alle Kulturen sowohl untereinander wie auch nach außen in Frieden, Demokratie und Freiheit leben und mit der Umwelt im Einklang bleiben. Wirtschaftliche Ziele des Abkommens sind genauso. Es ist nicht das Ziel, eine monopolistische Wirtschaft aufzubauen. Eine auf Vernunft basierende Wirtschaft soll die Bedürfnisse der Gesellschaft befriedigen. Auf dieser Grundlage ist der Gesellschaftsvertrag in Rojava sehr demokratisch. Nicht nur für Kurden sondern für alle Völker des Nahen Osten sogar für alle Völker auf der Erde, sofern die internationalen hegemonischen Kräfte es zulassen.“

Die Kurden sind nicht die Kurden wie zu Zeiten des Lausanner Abkommens

Sabri Ok nahm auch zur Genfer Konferenz 2 Stellung. „In Lausanne wurde der Wille eines Volkes nicht anerkannt. Ohne den Willen von Kurden versuchte man die Zukunft der Kurden zu bestimmen. Kurdistan wurde zerschlagen und geteilt. Vor der Genfer Konferenz 2 sind die Kurden nicht dieselben Kurden wie zur Zeit des Lausanne-Abkommens. Auch die internationalen Kräfte haben nicht dieselbe Initiative vor Ort wie damals. Die Kurden haben sich für die Genfer Konferenz 2 sehr gut vorbereitet. Die Kurden nehmen die Genfer Konferenz sehr ernst, denn auf dieser Konferenz werden die aktuellen Probleme in Syrien gesprochen und dort werden Entscheidungen diesbezüglich getroffen.

Auch wenn augenscheinlich die Demokratisierung von Syrien das Thema ist, geht es ohne die Anerkennung und ohne die Vertretung der Kurden in Rojava nicht. Es unmöglich, dass genau die Parteien, die die Kurden massakrieren und sich untereinander bekriegen, für ein demokratisches Syrien Entscheidungen treffen sollen. Das ist unmöglich.“

Vor allem Amerika und England wollen nicht, dass die PYD und TEV-DEM an der Genfer Konferenz beteiligt werden. „Das heißt eigentlich, sie wollen, dass die Kurden ohne Identität nach Genf kommen können. Das ist gegenüber Kurden ungerecht und beleidigend“, so Ok und wies darauf hin, dass die Kurden Gewalt außerhalb der legitimen Selbstverteidigung ablehnen. „Die Kurden haben in Rojava keine Kriegsverbrechen begangen und sich nicht schuldig gemacht. Sie sind gut organisiert und haben bewiesen, dass sie sich gegen jegliche Angriffe verteidigen können. Aus diesem wichtigen Gründen sind Kurden in Syrien ernst zu nehmen. Aber es sieht so aus, als möchte man sie in Genf nicht dabei haben. Die Kurden könnten mit den oppositionellen Kräften vereint kommen. Eigentlich meinen sie damit, dass die Kurden ohne eigene Identität dabei sein können. Das ist gegenüber Kurden ungerecht und beleidigend. Gleichwohl beweist dass auch, welche Kräfte hinter dieser nicht Anerkennung der kurdischen Identität stecken. Wenn alle syrischen Oppositionellen mit ihrer Identität dabei sein können, so können auch Kurden mit ihrer Identität dabei sein. Noch dazu möchten sie, dass auf der Genfer Konferenz das Thema Kurden auf der Tagesordnung steht. Dieser Umgang schiebt die Probleme vor sich hin. Deshalb wäre es richtig, wenn Kurden mit Ihrer Identität, mit ihren Persönlichkeiten und mit ihrer Perspektive auf der Genfer Konferenz dabei sind.“

Wenn Kurden nicht als dritter Kraft anerkannt werden, werden sie diese Konferenz ablehnen

Sabri Ok erklärte, dass ohne die Anerkennung der kurdischen Identität eine Demokratisierung von Syrien unmöglich sei. „Ohne Kurden gibt es keine Lösung für Syrien. Ohne eine Zustimmung der Kurden wird es niemals ein Status für Kurdistan geben. Ohne die Anerkennung der kurdischen Identität wird es keine Zukunft für Syrien geben. Eine Lösung ohne Kurden ist weder gerecht noch tragbar. Niemand hat das Recht im Namen der Kurden zu sprechen. Niemand hat das Recht über das Schicksal der Kurden zu bestimmen. Deshalb gibt es den jahrelangen Aufstand der Kurden. Es ist die Entscheidung der Kurden wie und mit wem sie leben wollen. Das kurdische Volk ist in der Lage selbst Entscheidungen zu treffen. Sie haben dazu die Kraft, den Willen und den Verstand.“

Ok erklärte, dass von Amerika und vor allem von England nicht gewollt ist, dass der Vorsitzende der PYD und von TEV-DEM Salih Muslim und das Mitglied des Koordinationsrat der syrischen Oppositionellen Heyet Tensiq an der Konferenz teilzunehmen. „Sie wollen nicht, dass Salih Müslim zu der Konferenz geht, genauso wenig wollen Sie Heysem Menna bei der Konferenz haben. Das ist eine problematische und ungerechte Lage. Wenn es so ist, sollten ENKS, TEV DEM und alle Kurden diese Konferenz ablehnen.“

So Entscheidend sei Genf nicht, Rojava habe sowieso seinen eigenen Status bestimmt und festgelegt. „Die Kurden sind weder auf der Seite des Regimes noch auf der Seite der Opposition“, so Ok und betonnte noch einmal die Wichtigkeit, dass die Kurden als dritter Kraft an der Konferenz teilnehmen sollen. Falls dies nicht möglich sei, wäre es Richtig diese Konferenz abzulehnen. „Heute sind Kurden nicht nur in den vier Teilen Kurdistan sondern auf der ganzen Welt organisiert. Aus diesem Grund können sie für ihre Rechte noch intensiver eintreten.“
ANF, 15.01.2014, ISKU

ISKU | Informationsstelle Kurdistan

Schreibe einen Kommentar