Staatsterror in Nordkurdistan: Was passiert in Xerabê Bava und Talatê?

Sedat Sur, Firatnews, 28.02.2017

Seit dem 11. Februar ist das Gebiet Omeryan, das Nahe der Kreisstadt Nisebîn (Provinz Mêrdîn/Mardin) liegt, den Angriffen des türkischen Militärs ausgesetzt. Das erste Ziel der Militäroperationen war das Dorf Xerabê Bava. Danach folgten ähnliche Angriffe auf das Dorf Talatê. Das Muster der Angriffe sieht so aus, dass in den Dörfern zunächst Ausgangssperren ausgerufen und sie anschließend durch das Militär belagert werden. Es wird niemand aus den Dörfern raus- und reingelassen. Diese Situation hält in Xerabê Bava seit 18 und in Talatê seit 8 Tagen an. In beiden Dörfern wurden mehrere Zivilisten hingerichtet, die Dorfbewohner sind systematischer Folter ausgesetzt, Häuser werden niedergebrannt und das Kleinvieh der Dorfbewohner, mit dem sie ihren Unterhalt bestreiten, wird getötet.

Warum greift der Staat das Gebiet Omeryan an?

Nachdem 2015 und 2016 der türkische Staat einen Vernichtungskrieg gegen die kurdische Städte, die als Hochburgen des Widerstands gegen den Kolonialismus in Kurdistan gelten, geführt hat, sind nun die widerständigen ländlichen Gebiete im Visier des türkischen Militärs. Das Gebiet Omeryan setzt sich aus rund 90 Dörfern zusammen und ist die Region, in denen die Kurdische Freiheitsbewegung schon sehr früh große Unterstützung der Landbevölkerung genoss. Hier erhalten die politischen Parteien, die mit den Ideen der Kurdischen Freiheitsbewegung sympathisieren, traditionell große Unterstützung. Und so ist Omeryan seit den 80er Jahren immer wieder ins Visier des türkischen Staates geraten. Die Bevölkerung der Region ist für ihren Widerstand gegen die Staatsmacht über die Provinz Mêrdîn hinaus bekannt.

Das erste Ziel Xerabê Bava

Aus diesem Grund hat der türkische Staat Omeryan zum Ziel seiner ersten größeren Angriffswelle in Nordkurdistan in diesem Jahr auserwählt. Am 11. Februar wurde in den Dörfern Yavruköy, Büyükkardeş, Küçükkardeş, Akarsu und Xerabê Bava eine Ausgangssperre ausgerufen. Am Tag darauf begann das türkische Militär, das Dorf Xerabê Bava mit schweren Waffen anzugreifen. Zunächst wurden die männlichen Dorfbewohner auf dem Hauptplatz des Dorfes versammelt und dort schwerer Folter ausgesetzt. Dutzende Menschen wurden anschließend festgenommen. Auch in den darauffolgenden Tagen kam es bei Hausdurchsuchungen im Dorf immer wieder zu Festnahmen  und Foltervorfällen.

Doch damit endeten die Ereignisse nicht. Das Militär begann im Anschluss damit, bestimmte Häuser des Dorfes in Brand zu setzen und das Kleinvieh der Bewohner zu töten. Die übrigen Dorfbewohner wurden in ihren Häusern eingesperrt. Andere Häuser wurden zu Stützpunkten des Militärs umgewandelt. Obwohl in Xerabê Bava die Strom- und Wasserleitungen gekappt wurden, ließ das Militär keine Hilfsgüter ins Dorf gelangen. So begannen die Menschen nach knapp einer Woche, an Lebensmittel- und Wasserknappheit zu leiden. Bislang ist bekannt, dass fünf Menschen im Dorf hingerichtet worden sind. Zahlreiche weitere Menschen sind durch die Folter verletzt worden. Einige Menschen wurden aufgrund ihrer Verletzungen und auftretender Krankheiten ins Krankenhaus eingeliefert. Weitere Menschen, die auf ärztliche Behandlung angewiesen sind, werden noch immer im Dorf festgehalten.

Obwohl das Militär mit allen Mitteln versucht, die Ereignisse im Dorf zu verschleiern, gelangte das Bild des schwer gefolterten 60jährigen Abdi Aykut an die Öffentlichkeit. Dieses Bild wurde zum Symbol der Grausamkeiten des türkischen Staates in Xerabê Bava. Umgehend deklarierte der türkische Innenminister den Mann zum Terroristen. Aykut wurde bei einer Razzia in seinem Haus durch das Militär schwer gefoltert und anschließend festgenommen. Erst als sein Zustand sich in Militärgewahrsam verschlechterte, wurde er in ein Krankenhaus eingeliefert. Gestern wurde er dann erneut festgenommen. Berichten zufolge ist sein Gesundheitszustand weiter im kritischen Zustand.

Laut offiziellen Angaben wurden mittlerweile 29 von 33 festgenommenen Personen aus dem Dorf wieder entlassen. Die aus der Haft entlassenen Dorfbewohner berichteten anschließend von ihren Foltererlebnissen. Sie gaben an, dass sie nach den Folterungen alle in überbelegten kalten Haftzellen tagelang festgehalten wurden.

Das nächste Ziel ist Talatê

Am zehnten Tag der Angriffe auf Xerabê Bava weitete das Militär dann seine Angriffe auf das Dorf Talatê aus. Dieses Dorf wurde am 21. Februar umzingelt und anschließend bombardiert. Daraufhin wurden mit Räumungsgeräten zahlreiche Häuser im Dorf niedergerissen. Auch hier wurden die Wasser- und Stromleitungen gekappt. Viele Dorfbewohner sind festgenommen worden. Von den beiden Personen Mahmut Uzun und Abdurrahman Ülker fehlt seitdem jedes Lebenszeichen.

In Xerabê Bava hat der türkische Staat hingegen seit dem 23. Februar begonnen mit schwerem Gerät das Dorf zu räumen. So versucht der Staat seine Gräueltaten zu überdecken, wie ein Mitarbeiter der Räumung erklärte. Sowohl die Tierleichen des getöteten Kleinviehs, als auch der Schutt der zerstörten Häuser werden derzeit beseitigt.

Kein Zutritt für Menschenrechtsdelegation in das Dorf

Mit dem Beginn der Angriffe auf Xerabê Bava haben Delegationen der HDP und DBP immer wieder versucht, in das Dorf zu gelangen. Doch ihnen wird der Zutritt durch das Militär bis heute verweigert. Eine Gruppe von Politikern und Aktivisten hat deshalb eine ständige Mahnwache in der Nähe des Dorfes begonnen. Diese Mahnwache erhält große Solidarität von der lokalen Zivilgesellschaft und den Menschen aus der Region.

Die Angriffe weiten sich aus

Doch die Angriffe des türkischen Staates reißen nicht ab. Das letzte Ziel ist das Dorf Qurdise (Yardere). Dieses Dorf wurde am 27. Februar durch das Militär belagert. Auch hier wurde eine Ausgangssperre ausgerufen. Die Bewohner dürfen Qurdise nicht mehr verlassen. Auch der Zutritt in das Dorf ist verboten worden.

Der 11. Februar markiert den Beginn einer neuen Angriffswelle auf die Region Omeryan. Zwei Dörfer wurden in großen Teilen zerstört. Mit Cibilgirave und Qurdise befinden sich zwei weitere Dörfer derzeit im Belagerungszustand. Und ein Ende dieser Angriffe ist derzeit nicht abzusehen.