Stigmatisierung und Ausgrenzung fortsetzen oder Dialog annehmen?

Mit über einer Million Menschen stellen die Kurdinnen und Kurden in Deutschland eine der größten Gruppen von Einwanderinnen und Einwanderern dar. Während die meisten Einwanderinnen und Einwanderer in Deutschland ihre kulturelle Identität – etwa durch Gründung von Vereinen, Medien und Kultureinrichtungen – ungestört praktizieren können, stehen kurdische politische, kulturelle und soziale Aktivitäten unter dem Generalverdacht des sogenannten »PKK-Bezuges«. Die Folgen sind fortwährende Überwachung, Diffamierung und Kriminalisierung fast sämtlicher kurdischer Aktivitäten in Deutschland. Dabei kommt es immer wieder zu erheblichen Grundrechtseingriffen – etwa in die Versammlungsfreiheit oder die Meinungsfreiheit.

Die Dimension der politischen, kulturellen, aber auch physischen und psychischen Folgen dieser seit Jahrzehnten anhaltenden Repression gegen Kurdinnen und Kurden ist beispiellos und betrifft inzwischen Generationen, die nichts anderes kennen. Diese Zeit ist geprägt von: Tausenden Gerichtsverfahren, Hunderten Festnahmen, zahllosen Razzien in kurdischen Vereinen und Privatwohnungen, Einbürgerungsverweigerungen, Abschiebedrohungen, Widerrufen des Asylstatus, Spitzelanwerbungen durch die Geheimdienste oder Versuchen der Strafverfolgungsbehörden, Kurdinnen und Kurden als Kronzeuginnen oder Kronzeugen in sog. Terrorverfahren zu gewinnen.

Umstände, die zum Verbot geführt haben

Wenn man die Gründe der Einführung des Verbotes näher betrachtet, darf man die Gesamtumstände, die zu dem Betätigungsverbot geführt haben, nicht unbeachtet lassen. So gab es bereits vor der Erklärung Manfred Kanthers am 26. November 1993, welche die PKK verbieten sollte, bereits zahlreiche Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern des türkischen Staates auf nationaler, aber auch internationaler Ebene. Die damalige Ministerpräsidentin der Türkei Tansu Çiller besuchte am 20. September 1993 die Bundesrepublik Deutschland und führte dabei intensive Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Bundesregierung, u. a. auch mit Helmut Kohl. Nach dem Deutschlandbesuch hatte sich Tansu Çiller auch auf die Agenda geschrieben, auf internationaler politischer Ebene gegen die kurdische Freiheitsbewegung vorzugehen, und traf sich unter anderem mit dem damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten Bill Clinton. All diese Gespräche verdeutlichen, dass die Gründe, die damals für die Rechtfertigung des Verbotes genutzt wurden, eigentlich als Vorwand fungiert haben, um auf politischer Ebene dem Druck des türkischen Staates zur Kriminalisierung der kurdischen Bewegung nachzugeben.

Gründe der Aufrechterhaltung des Verbotes

Die Gründe hingegen, die als Vorwand zur Durchführung und Aufrechterhaltung des Betätigungsverbotes dienten, waren maßgeblich gestützt auf Aktionen der kurdischen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland, die die Kriegsverbrechen des türkischen Staates hierzulande dechiffrierte und die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem türkischen Staat verurteilte. Als Reaktion auf die grausamen Morde in Lice am 22. Oktober 1993, als türkische Truppen in der kurdischen Kleinstadt Lice Häuser in Brand steckten und 16 Zivilistinnen und Zivilisten ermordeten und mehrere Dutzend verletzten, gingen auch zeitgleich Tausende Kurdinnen und Kurden in Deutschland auf die Straßen. Die Demonstrantinnen und Demonstranten protestierten lautstark unter anderem auch vor den türkischen Konsulaten und anderen türkischen Einrichtungen gegen die begangenen Kriegsverbrechen. Diese Bilder in Deutschland waren nicht im Interesse des türkischen Staates, weswegen dieser zunehmend den Druck auf die damalige Bundesregierung erhöhte. Von da an begann eine zunehmende Repression gegen die kurdische Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland, die mit der Erklärung des Verbotes förmlich deklariert wurde. Zu betonen ist, dass bis heute die amtierenden Bundesregierungen behaupten, dass man nicht gegen die kurdische Gesellschaft insgesamt mit dem Betätigungsverbot vorginge, sondern gegen die »terroristische« PKK. Die Entwicklung, die allerdings zum Verbot führte, verdeutlicht, dass man mit dem Verbot die kurdische Gesellschaft insgesamt »zügeln« wollte, weil man unzufrieden war, dass diese ihren legitimen Protest gegen den türkischen Staat auf die Straßen Deutschlands brachte. In der Begründung des Betätigungsverbotes wurden dabei vier zentrale Aussagen des Innenministeriums ausgesprochen, die bis heute ohne revidiert und hinterfragt zu werden von den sich neu formierenden Bundesregierungen einfach übernommen werden und die sich allerdings bei einer gegenwärtigen Betrachtung der Umstände widerlegen lassen:

1. Die PKK verstoße gegen hier geltendes Recht

Einer der Hauptgründe des Betätigungsverbotes ist die Einschätzung, dass die PKK gegen hier geltendes Recht verstoße. Ein Großteil der in Deutschland verübten Straftaten, die der PKK angelastet werden, wurden jedoch nie bewiesen und zu den vor dem Verbot verübten Straftaten hat die PKK in mehreren Stellungnahmen eine selbstkritische Haltung gezeigt und sich bei der deutschen Gesellschaft entschuldigt. Die meisten seitdem festgestellten Straftaten der PKK in Deutschland sind lediglich aufgrund des Betätigungsverbotes Straftatbestände. Dazu gehören beispielsweise Verstöße gegen das Vereinsgesetz durch das Zeigen verbotener Symbolik.

2. Die PKK verstoße gegen den Gedanken der Völkerverständigung

Ein weiteres Hauptargument der Aufrechterhaltung des Verbotes ist die Annahme, dass die PKK gegen den Gedanken der Völkerverständigung verstoße. Gerade bei diesem Aspekt wird deutlich, wie überholt diese Annahme in der gegenwärtigen Situation ist, denn eine Auseinandersetzung des Innenministeriums mit dem Paradigmenwechsel der PKK seit Anfang der 2000er Jahre ist seither in keiner Weise erfolgt. So wird starr an Argumenten festgehalten wie denen, die PKK wolle einen eigenständigen Staat errichten und sei separatistisch. Doch genau in diesen Punkten hat sich die PKK gravierend entwickelt, was sich auch durch die praktische Umsetzung in Rojava belegen lässt. Die PKK versucht eine politisch-gesellschaftliche Alternative zum Nationalstaaten-System im Mittleren Osten durch die Umsetzung des sog. Demokratischen Konföderalismus zu schaffen, den der kurdische Vordenker und Gründer der PKK auf der Gefängnisinsel Imralı entwickelt hat. Statt der Exklusivität eines »eigenen« Staates für die Kurdinnen und Kurden organisiert die PKK das friedliche Zusammenleben zwischen verschiedenen Volksgruppen in den jeweiligen Ländern und strebt dabei die Demokratisierung dieser Länder an. In diesem Sinne ist auch dieses Argument der Gefährdung der Völkerverständigung nicht zutreffend, da die PKK die Verständigung zwischen den Völkern gerade fördert.

3. Die PKK gefährde die innere Sicherheit und öffentliche Ordnung

Des Weiteren geht aus der damaligen Verbotsverfügung hervor, dass auch die Gefährdung der sogenannten inneren Sicherheit und Ordnung als maßgebliches Argument zur Rechtfertigung der Maßnahmen gegen die kurdische Gesellschaft angeführt wird. Dabei begründet man diese vermeintliche Gefährdungslage mit einer Bezugnahme zu gewalttätigen Aktionen in den 90er Jahren, v. a. mit Aktionen gegen türkische Konsulate, Banken und Reisebüros, wozu u. a. auch Brandanschläge und Sachbeschädigungen genannt werden. Eine Diskussion über die damalige Einschätzung der BRD, dass die PKK die innere Sicherheit und Ordnung gefährde, möchte ich an dieser Stelle nicht führen. Vielmehr ist entscheidend, ob angesichts der gegenwärtigen Situation eine solche Gefährdungslage überhaupt noch besteht. Die Auslegung der Gesetze im Lichte der Gegenwart obliegt dabei dem Verantwortungsbereich des Bundesinnenministeriums. Doch eine Aktualisierung der Verbotsverfügung unter Einbeziehung der Entwicklungen, die die PKK durchlebt hat, ist bisher nicht erfolgt. Schließlich bleibt auch in Bezug auf diesen Aspekt der Verbotsverfügung festzuhalten, dass die aktuellen Verstöße gegen Gesetze allein auf den Umstand zurückzuführen sind, dass ein Betätigungsverbot besteht. Dies wiederum führt immer wieder dazu, dass allein das Zeigen von Symbolen oder Skandieren von Parolen auf Demonstrationen, die eine Nähe zur kurdischen Bewegung implizieren könnten, von einzelnen Einsatzkräften als ein Verdacht des Verstoßes gegen das Betätigungsverbot gewertet wird und dazu führt, dass die Einsatzkräfte auf eine unverhältnismäßige Art und Weise in Versammlungen eingreifen, was oftmals dann auf Unverständnis bei den Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmern stößt. Diese mittlerweile gängige Praxis birgt eine enorme Eskalationsgefahr auf Demonstrationen, was wir auch zuletzt auf der Defend-Kurdistan-Demonstration am 14. Mai in Berlin beobachten konnten. ((https://defend-kurdistan.com/uncategorized-en/statement-zum-angriff-der-polizei-auf-die-defend-kurdistan-demonstration-am-14-mai-in-berlin/?fbclid=IwAR0Dzp9uUBtck0LiXWL5lz3BJOUxjzlywZf3S_GuOn4tdHztVFudNzphCYk)) Somit gefährdet nicht die PKK die innere Sicherheit und Ordnung, sondern die Aufrechterhaltung des Betätigungsverbotes trägt maßgeblich dazu bei, die Gefährdung der inneren Sicherheit und Ordnung zu fördern.

4. Die PKK gefährde die Belange Deutschlands

Ein weiterer Aspekt der Verbotsverfügung ist die Begründung, dass die PKK die Belange Deutschlands gefährde. Dabei orientieren sich die Belange Deutschlands seither nur an den wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der BRD. Die menschenrechtliche Situation in der Türkei wird ignoriert, was ziemlich widersprüchlich ist für ein Land, das von sich behauptet, Vorreiter der Demokratie und Menschenrechte zu sein. Die PKK hat es sich zum Ziel gemacht, in den Staaten, in denen die Kurdinnen und Kurden leben, insgesamt demokratischere Verhältnisse zu schaffen, ohne dabei die bestehenden Grenzen verändern zu wollen. Eine stabilere und demokratische Türkei wird dazu führen, dass auch die wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der BRD gefördert werden. Insofern bleibt auch in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass die Ziele der PKK nicht die Belange der Bundesrepublik gefährden, sondern diese fördern.

Heute wie damals Appeasement-Politik auf Kosten der kurdischen Gesellschaft

Statt aktiv auf den türkischen Staat im Hinblick auf die Schaffung von demokratischeren Verhältnissen einzuwirken, ist die Verhaltensweise, die wir von der BRD seither beobachten können, eine Appeasement-Politik, die sogar dazu führt, dass die Türkei auf die Innenpolitik der BRD einwirkt. Eine ähnliche Vorgehensweise praktiziert die Türkei aktuell auch im Zusammenhang des NATO-Beitrittes von Schweden und Finnland. Sie versucht die Zustimmung zum NATO-Beitritt dieser Länder von ihrem Umgang mit den Kurdinnen und Kurden abhängig zu machen. Dabei fordert der türkische Staat auch von diesen Staaten eine gezielte Kriminalisierung der kurdischen Bewegung sowohl nach innen als auch nach außen hin. Die Appeasement-Politik der BRD hat dazu geführt, dass die kurdische Gesellschaft stigmatisiert, ausgegrenzt und diskriminiert wurde. Um zu verhindern, dass dies auch in Zukunft passiert und gerade Länder wie Schweden und Finnland diese Kriminalisierungspraxis des deutschen Staates übernehmen, ist es erforderlich, dass ein Umdenken im Hinblick auf den Umgang mit der kurdischen Bewegung in der BRD stattfindet.

Antrag zur Aufhebung

Um dieses Umdenken anzustoßen, wurde am 11. Mai 2022 ein Antrag beim Bundesinnenministerium zur Aufhebung des Betätigungsverbotes eingereicht. Anlass zu diesem Antrag war vor allem auch eine Erklärung der Arbeiterpartei Kurdistans zum traditionellen kurdischen Newroz-Fest im März dieses Jahres, in welcher sie von der aktuellen Bundesregierung die Neubewertung der PKK im Sinne einer eigenständigen Kurdenpolitik forderte. ((https://anfdeutsch.com/aktuelles/pkk-deutschland-muss-die-uhr-auf-null-setzen-31261)) Die PKK hat durch diesen Antrag verdeutlicht, dass die jahrzehntelange Verleugnungs- und Ausgrenzungspolitik des deutschen Staates gegenüber der kurdischen Gesellschaft nicht gefruchtet hat. Sie hat gezeigt, dass die kurdische Gesellschaft es trotz der ganzen repressiven Maßnahmen geschafft hat, ihr Selbstbestimmungsbestreben nicht aufzugeben und sich weiterhin zu organisieren. Sie hat sogar am Beispiel dieser rechtlichen Vorgehensweise in der Gestalt des Antrags demonstriert, dass die kurdische Gesellschaft den Widerstand gegen Verleugnung und Assimilation auf eine nächsthöhere Ebene getragen hat und sich auf allen Feldern des gesellschaftlichen Daseins zunehmend professionalisiert. Schließlich wurde damit auch die Haltung aufgezeigt, die die kurdische Gesellschaft in Zukunft einnehmen sollte, nämlich die, als Gesellschaft die passiv-defensive Haltung zu verlassen und eine offensiv-konfrontative Haltung im Wege eines Dialoges selbstbewusst einzunehmen.

Der Weg des Dialoges oder weiterhin Verleugnung?

Im Grunde gibt es zwei Wege, die der deutsche Staat nun im Hinblick auf den Umgang mit der kurdischen Freiheitsbewegung einschlagen kann: Entscheidet er sich weiterhin für einen repressiven Umgang und lehnt den Antrag ab, so wird die Verleugnungspolitik gegenüber der kurdischen Community hierzulande fortgesetzt werden, was wiederum dem türkischen Staat den Rücken stärken wird, indem dieser auch seine Verleugnungspolitik intensivieren und auch gezielt kurdische Errungenschaften ins Visier nehmen wird. Dabei werden, so wie es aktuell auch der Fall in Südkurdistan (Nordirak) oder in Rojava (Nordsyrien) ist, unter dem Deckmantel der »Terrorbekämpfung« völkerrechtswidrige Kriege des türkischen Staates gegen die Kurdinnen und Kurden eben mit dieser Rhetorik legitimiert. Vermutlich wird in diesem Zusammenhang auch der deutsche Staat mit einer bewussten Strategie auf Demonstrationen und Versammlungen vorgehen und versuchen wollen, wieder Bilder zu erzeugen, um die Kurdinnen und Kurden als gewaltbereit darzustellen, damit das Betätigungsverbot weiterhin vermeintlich gerechtfertigt werden kann. Im Falle einer Ablehnung des Antrages wird die PKK, so wie es bereits von den Anwälten auf der Pressekonferenz angekündigt worden ist, dagegen weitere rechtliche Schritte einleiten und den Klageweg beschreiten. Für die kurdische Gesellschaft wird dies bedeuten, geduldig zu sein und auf die Provokationsmöglichkeiten des Staates nicht einzugehen und besonnen zu reagieren.

Entscheidet sich der deutsche Staat dafür, dem Antrag stattzugeben, so wird der Dialogweg mit der in Deutschland lebenden kurdischen Community eröffnet sein. Demonstrationen und Versammlungen, bei denen Verstöße gegen Versammlungsrecht oder Vereinsrecht vorkamen, die eben auf das Betätigungsverbot zurückzuführen waren, werden keinen eskalativen Charakter mehr annehmen. Auch werden die Kurdinnen und Kurden vielmehr gesellschaftlich partizipieren können, da sie nicht mit dem Generalverdacht der PKK-Nähe dämonisiert und systematisch ausgegrenzt werden. Sie werden von ihren Grundrechten Gebrauch machen können, ohne dabei im Vergleich zu anderen Einwanderungsgruppen diskriminiert zu werden. Auch wird die BRD dem türkischen Staat durch die Entkriminalisierung der kurdischen Bewegung symbolisieren, dass er die kurdische Seite und ihre Demokratisierungsbestrebungen ernst zu nehmen hat. Sie wird ihm den Nährboden für das Führen seiner völkerrechtswidrigen Angriffskriege entziehen. Für das Einschlagen dieses Weges ist es von entscheidender Bedeutung, dass alle zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammen mit der kurdischen Gesellschaft offen die Aufhebung des Betätigungsverbotes fordern und die Bestrebungen der kurdischen Gesellschaft nach Akzeptanz und Gleichberechtigung mit Erklärungen unterstützen, was den gesellschaftlichen Druck auf die Bundesregierung maßgeblich erhöhen wird. Diese muss dafür natürlich auch den Mut haben, dem bevorstehenden Druck Ankaras standzuhalten und den angekündigten Regierungs-Fortschritt der Koalition tatsächlich auch zu wagen. Die ausschlaggebende Frage, die das SPD-geführte Bundesinnenministerium in diesem Zusammenhang nun zu beantworten hat, lautet: Stigmatisierung und Ausgrenzung fortsetzen oder den Dialog annehmen?

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