Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit, 07.02.2017
Nachdem die türkische Armee gemeinsam mit verschiedenen islamistischen Gruppierungen ab Mitte August des letzten Jahres in Syrien interveniert ist und binnen kürzester Zeit zahlreiche Orte vom sog. Islamischen Staat (IS) erobert hat, steht sie nun seit fast dreieinhalb Monaten vor der nordsyrischen Stadt al-Bab und kommt nicht voran. Al-Bab steht unter der Kontrolle des IS. Dasselbe galt auch für Dscharablus und weitere Städte, die allerdings ohne größere Gegenwehr des IS in die Hände der Türkei und ihrer Unterstützer gefallen sind. Es kursierten hartnäckige Gerüchte, wonach der IS mit Absprache diese Orte der türkischen Armee und den gemeinsam mit ihr kämpfenden islamistischen Kampfverbänden überlassen hat. Doch nicht so in al-Bab, wo der IS erstmals ernsthaften Widerstand gegen die türkische Armee leistet. Die türkischen Kampfverbände wiederum scheinen große Schwierigkeiten zu haben, der Gegenwehr des selbsternannten Kalifats standzuhalten. Bei den Kämpfen sollen allein bis zu zehn Leopard 2 Panzer der türkischen Armee, die aus deutscher Produktion stammen, zerstört worden sein. Die türkischen Angaben über die Opferzahlen in den eigenen Reihen während der Syrienintervention, die mit 56 beziffert werden, scheinen vor diesem Hintergrund mehr als fragwürdig.
Was die Situation in al-Bab noch brisanter macht, ist die Tatsache, dass südlich der Stadt die syrische Armee immer weiter vorrückt und den IS unter Druck setzt. Das bedeutet, die Stadt wird im Norden von der Türkei und im Süden von der syrischen Armee belagert. Die syrische Armee soll sich mittlerweile bis auf sechs Kilometer an den Stadtkern angenähert haben. Was passieren wird, wenn diese Truppen direkt aufeinandertreffen ist unklar. Es gibt allerdings Spekulationen, wonach Russland die türkische Armee zum Rückzug drängen könnte, damit das Assad-Regime die Kontrolle in al-Bab übernimmt.
Ursprünglich ist die Türkei in Syrien einmarschiert, um zu verhindern, dass es den Demokratischen Kräfte Syriens gelingt, eine Verbindungslinie zwischen den Kantonen Afrin und Kobanê freikämpfen und dadurch ein zusammenhängendes Gebiet unter ihre Kontrolle bringen. Der Beginn der türkischen Syrienoperation folgte nämlich kurze Zeit, nachdem die Demokratischen Kräfte Syriens die Stadt Minbic (Manbidsch) westlich von Kobanê vom IS befreit hatten. Und so kündigte die türkische Staatsführung zunächst noch breitspurig an, dass nach der Übernahme der Kontrolle in al-Bab das nächste Ziel der türkischen Armee Minbic sein werde. Doch davon spricht mittlerweile kaum jemand mehr.
Afrin neues Ziel der „Schutzschild Euphrat Operation“?
Größer ist die Gefahr allerdings beim Kanton Afrin, das im Nordwesten Syriens liegt und weitgehend isoliert ist. In den späten Abendstunden des 06. Februars vermeldete die Nachrichtenagentur Hawarnews, dass die Dörfer Merenaz und Fîlan El-Qadi im Kanton Afrin durch das türkische Militär mit Raketen beschossen wurden. Es bleibt abzuwarten, ob es sich hierbei um einen Einzelfall handelt. Möglich scheint allerdings auch, dass die türkische Armee und ihre Verbündeten bei einem Rückzug von der al-Bab Front ihren Fokus auf Afrin lenken werden. Bereits jetzt werden größere Truppenverschiebungen an der türkisch-syrischen Grenze vermeldet. Zudem wurden in der Türkei schon mit Beginn der Schutzschild Euphrat Operation Stimmen laut, die ein zusammenhängendes Gebiet von Dscharablus bis einschließlich Afrin unter türkischer Kontrolle sehen wollen.
Afrin ist der westlichste Kanton der Föderation Nordsyrien/Rojava und wird von den kurdischen Einheiten der YPG und YPJ verteidigt. Schwierig ist die Lage in Afrin deshalb, weil der Kanton nördlich an die Türkei grenzt und die anderen umliegenden Gebiete entweder durch die syrische Armee oder dschihadistische Gruppierungen kontrolliert werden.