Zur Debatte über die an den türkischen Ministerpräsident Binali Yildirim von der TU Berlin verliehene Ehrendoktorwürde

Offener Brief an das Präsidium und die Mitglieder des Akademischen Rats der TU-Berlin, 07.02.2017

Sehr geehrter Herr Präsident Prof. Dr. Christian Thomsen,

sehr geehrte Frau Prof. Dr.-Ing. Christine Ahrend,

sehr geehrter Herr Prof. Dr. Hans-Ulrich Heiß,

sehr geehrte Frau Prof. Dr. Angela Ittel,

sehr geehrte Mitglieder des Akademischen Rats der Technischen Universität Berlin,

mit großer Sorge beobachten wir seit Monaten die politischen Vorgänge in der Türkei: Dazu gehören die von höchster Regierungsebene veranlassten Repressionen gegenüber Politikerinnen und Politikern, Menschenrechtsaktivisten, Mitarbeitern der Universitäten, aber auch gegenüber Presse- und Medienvertretern.

Hintergrund ist der gescheiterte Putschversuch vom 15. Juli 2016, der auf Grundlage des ausgerufenen Ausnahmezustands in den darauffolgenden Monaten zu umfangreichen polizeilichen, juristischen und politischen Maßnahmen gegen die progressive und vor allem auch prokurdische Oppositionellen führte.

Im November 2016 machten die Festnahmen von gewählten Abgeordneten des Türkischen Parlaments, allesamt Abgeordnete der Partei HDP (Demokratische Partei der Völker) aber auch die Schließung von Medien, Vereinen und Gewerkschaften aus der Menschenrechts- und Frauenbewegung Schlagzeilen. Einige Wochen zuvor wurden die von der HDP dominierten Kommunen unter zentralistische Zwangsverwaltung gestellt. ((https://civaka-azad.org/zwangsverwaltungen-in-nordkurdistan-wie-der-staat-die-demokratische-kommunalverwaltung-abschafft/))

Hinzu kommt, dass die von der AKP gestellte Regierung in den vergangenen Tagen mithilfe der Stimmen der ultranationalistischen MHP eine Verfassungsänderung zugunsten eines Präsidialsystems, das die Befugnisse des Parlaments grundlegend beschneidet, im Türkischen Nationalparlament durchzusetzen versucht. Damit würde das parlamentarische System de jure unterminiert, nachdem der Schutz von Menschen- und Bürgerrechten de facto außer Kraft gesetzt wurde. ((http://www.deutschlandfunk.de/guenter-seufert-swp-politologe-praesidialsystem-waere-ende.694.de.html?dram:article_id=375892))

Die Verantwortung dafür tragen federführend der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der Ministerpräsident Binali Yildirim.

Wir erachten es daher als äußerst bedenklich, dass Binali Yildirim die ihm im Jahre 2011 von ihrer renommierten Universität verliehene Ehrendoktorwürde weiterhin trägt. Die damalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan, hielt zum damaligen Zeitpunkt eine Laudatio, in der Sie auf seine „Brückenfunktion“ hinwies.

Abgesehen von den oben genannten Entwicklungen geben weitere Vorfälle zu denken, so dass kaum mehr die Rede von einer „Brückenfunktion“ des türkischen Ministerpräsidenten sein kann ((https://www.pressestelle.tu-berlin.de/medieninformationen/2011/dezember_2011/medieninformation_nr_3782011/)):

So führte die Resolution des Deutschen Bundestags vom Juni 2016 zur Anerkennung des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich von 1915 zu einem politischen Eklat, den der Präsidenten aber auch der Ministerpräsident zu verantworten haben. Beide Regierungsvertreter sanktionierten sowohl im Vorfeld als auch im Nachhinein die Bundesregierung und Mitglieder des Bundestages auf politischem Wege. Außerdem schufen deren damalige Äußerungen ein von nationalistischer Hetze geprägtes Klima, das sich gegenüber Bundestagsabgeordneten, insbesondere den türkeistämmigen entlud.

Angesichts der anhaltenden Repressalien, denen Oppositionelle und Intellektuelle ausgesetzt sind, sowie des forcierten Abbaus demokratischer Strukturen in der Türkei und der fragwürdigen politischen Umgangsformen mit dem Ausland, für die Binali Yildirim als türkischer Ministerpräsidenten mitverantwortlich ist, plädieren wir dafür, dass eine Aberkennung seiner Ehrendoktorwürde ernsthaft erwogen werden sollte.

Wir schließen uns damit den Forderungen der Petition ‘“Aufforderung an die TU Berlin zur Aberkennung der Ehrendoktorwürde des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım” ((https://asta.tu-berlin.de/ehrendoktorwuerde)) an und unterstützen die entsprechende Pressemitteilung des Allgemeinen Studierendenausschusses der TU Berlin (Dezember 2016).

Mit freundlichen Grüßen

NAV-DEM – Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V.

YXK – Verband der Studierenden aus Kurdistan e.V.

Kurd-Akad – Netzwerk Kurdischer AkademikerInnen

ISKU – Informationsstelle Kurdistan e.V.

Kampagne Tatort Kurdistan


++++KUNDGEBUNG Aufforderung an die TU Berlin zur Aberkennung der Ehrendoktorwürde des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım++++

Wann? 8.2.2017, 12:00 Uhr
Wo? Vor der TU (vor dem Hauptgebäude)

FB:Veranstaltung: https://www.facebook.com/events/224167094712904/

Wir äußern hiermit unseren Protest gegen das autoritäre Regime in der Türkei und zeigen uns solidarisch mit unseren in der Türkei verfolgten Kolleg_innen. Wir sprechen uns für die Aberkennung der Ehrendoktorwürde des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yıldırım aus. Als enger Vertrauter Präsident Erdoğans trägt er maßgeblich zur autoritären Umgestaltung der Türkei und zur Zuspitzung des Bürgerkriegs in den kurdischen Gebieten im Südosten des Landes bei.

Ehrendoktorwürden bedeuten in erster Linie, die fachliche Kompetenz und somit eine herausragende Leistung in einem wissenschaftlichen Bereich zu würdigen. Gleichzeitig bedeutet die Verleihung, die Verbundenheit mit den betreffenden Wissenschaftler_innen zu verdeutlichen. Als Wissenschaftler_innen der TU Berlin und anderer Hochschulen lehnen wir eine solche Verbundenheit mit dem türkischen Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden der AKP, Binali Yıldırım, ab.

Über 6.000 Akademiker_innen wurden in der Türkei gekündigt, 40.000 Lehrer_innen haben ihre Jobs verloren. Die Ausschaltung von kritischen Meinungen, die Gleichschaltung von Medien und die Auflösung vieler Medienhäuser sowie die Inhaftierung zahlreicher Journalist_innen ebenso wie die Verhaftung und Verfolgung unzähliger hochrangiger oppositioneller Politiker_innen wurden von Ministerpräsident Yıldırım maßgeblich vorangetrieben. Jemand, der in der Türkei die Verfolgung von vielen Wissenschaftler_innen auf einen allgemeinen Verdacht hin verantwortet und die Hochschulen unter direkte politische Kontrolle bringt, darf keinen Ehrentitel dafür erhalten. Hervorgehoben wird in der offiziellen TU-Erklärung sein Engagement für „die Ausbildung, Verbreitung, Wissenschaft und Forschung der Informations- und Kommunikationstechnologie“. Das Binali Yıldırım den Ehrendoktortitel am 7. Dezember 2011 ausgerechnet für seine Leistungen in den Kommunikationstechnologien erhalten hat, ist grotesk. Bereits seit den Gezi-Park-Protesten im Jahr 2013 findet unter seiner Verantwortung der sukzessive Ausbau der Internetüberwachung und der Einschränkung des freien Zugangs zum Internet statt. Zuletzt kam es zu regelmäßigen Blockaden sozialer Netzwerke, Cloud-Dienste und Anonymisierungsnetzwerke wie VPNs oder TOR. Statt für Netzneutralität und den Ausbau des freien Internets steht der heutige Ministerpräsident für ein staatlich kontrolliertes Internet ohne freie Meinungsäußerung. Nicht zuletzt steht die von ihm initiierte Debatte um die Wiedereinführung der Todesstrafe den Grundsätzen einer toleranten und demokratischen Hochschule diametral entgegen. Die Türkei befindet sich mitten im Umbau zu einer autoritären Präsidialdiktatur.

Wir sind der Meinung, dass es politischer Konsequenzen bedarf, die über Lippenbekenntnisse hinausgehen. Als Kooperationspartner vieler türkischer Wissenschaftsprojekte haben wir eine Verantwortung. Aus dieser Verantwortung unseren Kolleg_innen gegenüber, die den Säuberungen und Beschränkungen zum Opfer fielen, können wir nicht weiter hinnehmen, dass sich Ministerpräsident Yıldırım, federführender Mitgestalter dieses Systems, mit Ehrenauszeichnungen der Hochschule schmücken darf. Autonome Wissenschaft bedarf eines demokratischen Umfeldes – dies sehen wir in der Türkei nicht mehr gegeben.

Die TU Berlin muss sich klar zur Freiheit der Wissenschaftler_innen bekennen und diese schützen. Wir fordern, dass sich die TU eindeutig von der Politik ihres Titelträgers distanziert und sich klar durch eine Aberkennung positioniert – zugunsten der Opfer der autoritären und repressiven Politik der türkischen Regierung.

Unterstützt die Petition zur Aberkennung der Ehrendoktorwürde von Binali Yildirim:

https://www.change.org/p/technische-universität-berlin-dr-no-keine-ehrendoktorwürde-für-binali-yıldırım?source_location=topic_page