Erklärung des Menschenrechtsvereins Türkei/Deutschland e.V. (TÜDAY) zum Grubenunglück in Soma, 15.05.2014
Soma ist eine Stadt in der türkischen Provinz Manisa, im Westen der Türkei. In Soma gibt es große Kohlevorkommen und daher auch zwei Kohlekraftwerke. Insgesamt arbeiten 6400 Menschen in den Gruben von Soma.
Am Dienstagnachmittag kam es beim Schichtwechsel laut Aussagen der Sicherheitskräfte zu einer Explosion. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich mehrere hundert Bergarbeiter in 2000 Meter Tiefe und der Grubeneingang war 4000 Meter vom Ort der Explosion entfernt. Die Folgen der Explosion waren Stromausfall und damit verbunden Defekte von mehreren Aufzügen.
Nach Angaben der Hilfskräfte erfolgte der Tod der Bergarbeiter durch Erstickung, denn es kam zu erheblichen Problemen bei der Luftzufuhr. Auch die Einsatzkräfte haben es mit giftigem Kohlenmonoxid und CO2 zu tun. Der dichte Rauch im Schacht erschwert weiterhin erheblich die Bergungsarbeiten.
Verletzte werden in nahe gelegene Krankenhäuser gebracht. Jedoch hat das Krankenhaus in der Stadt von Soma keine Station für Brandverletzungen, so dass die Verletzten nicht angemessen medizinisch versorgt werden können. Ein Kühlhaus für Lebensmittel und Kühllaster dienen derzeit als Leichenhalle. Auch ist derzeit noch immer kein Stab für ein Krisenmanagement eingerichtet worden, die den Angehörigen der Opfer weiterhelfen könnten.
Die Identifizierung der Toten seitens der Angehörigen und die Bestattungsanstrengungen laufen permanent weiter. Es wird nach Angaben der Regierung kein Staatsbegräbnis für die Toten geben. Da die Regierung Angst vor Ausschreitungen hat, wurden Polizei, Gendarmerie und Spezialsicherheitskräfte nach Soma geschickt. Während der Premierminister Erdogan und andere Politiker bei ihrer Ankunft in Soma auf große Proteste der Einwohner von Soma stieß, versuchte Erdogan das Grubenunglück zu relativieren und sagte, dass ein Unglück wie dieser zum Bergbau dazugehöre. Es sei ein Betriebsunfall, wie er auch in anderen Betrieben passieren könne.
In Gruben -wie die in Soma- sind ganze Ketten von Subunternehmern am Werk, die nicht vernünftig kontrolliert werden. Sicherheitsvorschriften werden außer Acht gelassen und der Gewinn steht im Vordergrund.
Nach Aussagen von Überlebenden, starben die Bergarbeiter an Kohlenmonoxid Vergiftungen. Sie haben die regungslosen Körper ihrer Freunde auf dem Boden liegen gesehen. Nach den letzten Gesetzesänderungen der letzten Jahre kam es immer wieder zu Lücken, sowohl im Bereich der Einhaltung der Sicherheitsstandards, als auch bezüglich der Voraussetzungen für die Aufnahme in den Bergwerken.
Kritiker werfen der Regierung vor, bei der Privatisierung in den letzten Jahren vieler ehemaliger Bergbaufirmen die Einhaltung von Sicherheitsvorkehrungen ignoriert zu haben.
Das türkische Ministerium für Arbeit und soziale Sicherheit erklärte, die Grube sei im März auf Sicherheitsmängel untersucht worden, und es habe keine Beanstandungen gegeben. Medien und Oppositionsparteien berichten jedoch, dass erst vor kurzem eine Forderung der Opposition nach einer Überprüfung des Bergwerks im Parlament von der AKP zurückgewiesen wurde.
Der Inhaber von Soma Kömürcülük Alp Gürkan, Ing. für Geologie berichtete in einem Zeitungsinterview, wie der Tonnenpreis der Kohle seit der Privatisierung der Grube von 140 auf 24 Dollar gedrückt wurde. Man müsse nur gut planen, sagte er!! Die Arbeiter verdienen ca. 1100 bis 1600 TL (umgerechnet etwa 350 bis 552 EUR) im Monat.
Aufgrund mangelnder Sicherheitsvorkehrungen und Verstöße gegen damalige gesetzliche Bestimmungen kam es im März 1992 in Kozlu bei Zonguldak zu einem der größten Grubenunglücke seit über 150 Jahren, bei dem 263 Menschen starben. Aufgrund der unzureichenden Sicherheitsvorkehrungen und den permanenten Verstößen gegen gesetzliche Bestimmungen, mangelnde Kontrolle sowie der prekären Auflockerung der gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der Sicherheitsstandards, starben weit über 300 Menschen bei Grubenunglücken in der Türkei.
Die derzeitige Bilanz der Grubenunglücke in der Türkei beläuft sich wie folgt: 396 Tote bei Arbeitsunfällen in den Monaten Januar-April 2014, darunter 17 Tote, die nicht mal 18 Jahre alt waren.
Nach Angaben der ILO weist die Türkei einer der höchsten Zahlen an Arbeitsunfällen weltweit auf. So starben insgesamt 12.268 Menschen seit dem Jahr 2000 bei Arbeitsunfällen, zumeist aufgrund mangelnder Sicherheitsvorkehrungen.
Die türkische Sozialversicherungsanstalt (SGK) nennt eine weitere erschreckende Zahl: täglich ereignen sich 172 Arbeitsunfälle mit durchschnittlich drei Toten. Was die Arbeitsbedingungen angeht, ist die Türkei das gefährlichste Land in Europa
Wir fordern die türkische Regierung auf, die Verantwortlichen des Unglücks zur Rechenschaft zu ziehen und die aufgelockerten prekären Gesetzesänderungen zum Nachteil der Arbeitnehmer und zugunsten der Arbeitgeber unverzüglich in weiteren gesetzlichen Bestimmungen zu revidieren, und Maßnahmen und Vorkehrungen zur Einhaltung der internationale Sicherheitsstandards im Bergbau zu treffen. Das Recht der Arbeitnehmer auf ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld ist ein grundlegendes Menschenrecht, und es muss als solches auch anerkannt werden.