Vom Lösungsprozess zur Eskalation in Kurdistan – Ein Rückblick

Mako Qoçgirî, Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 13.06.2017

Es ist nicht lange her, vor etwas mehr als zwei Jahren gab es noch starke Hoffnungen auf eine andere, eine demokratische und friedliche Türkei. Doch heute stehen wir einer gänzlich anderen Situation gegenüber. Wir wollen nochmal einen Blick zurück werfen. Wie konnte es soweit kommen?

Vom Lösungsprozess und dem Wahlerfolg der HDP bei den Parlamentswahlen 2015 bis zum Ein-Mann-Präsidialsystem

Der türkische Staat führte seit 2013 mit dem inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan intensive Gespräche über eine friedliche Lösung der kurdischen Frage. Und auch wenn von Seiten der AKP dieser Dialogprozess unnötig in die Länge gezogen, zum Teil gar Sabotageakten ausgesetzt war, gelang es Abdullah Öcalan bis in das Jahr 2015 den Dialog aufrecht zu erhalten. Die Phase des Dialogs mündete schließlich Ende Februar 2015 in der sogenannten Dolmabahce-Deklaration, das einen Rahmen für den Übergang vom Dialog zu den Verhandlungen mit den Konfliktparteien darstellen sollte. Die Deklaration umfasste nicht nur eine Roadmap zur Lösung der kurdischen Frage in der Türkei, sondern behandelte auch grundlegende Demokratisierungsfragen des türkischen Staatssystems. Doch das ging dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan dann wohl zu weit und er entzog dem Lösungsprozess seinen Zuspruch. Auf diesen herben Dämpfer für einen Frieden folgte schließlich der Wahlerfolg der Demokratischen Partei der Völker (HDP) bei den Parlamentswahlen vom 7. Juni 2015. Die Hoffnungen auf den Frieden keimten nochmals auf. Allerdings sollte auch diese Hoffnung nur kurz währen. Denn die AKP, die übrigens bei denselben Wahlen die Regierungsmehrheit verloren hatte, steuerte die Neuwahlen an. Und um diese zu gewinnen, setzte sie auf Krieg.

Der Anschlag vom 5. Juni in Diyarbakir: AKP läutet den Krieg in Kurdistan ein

Eigentlich begann der Krieg bereits zwei Tage vor den Wahlen vom 7. Juni. Bei der finalen Wahlkampfveranstaltung der HDP in ihrer Hochburg Amed (Diyarbakir) ging eine Bombe hoch, bei dem fünf Menschen ihr Leben verloren und weitere zahlreiche schwer verletzt wurden.

Für den Anschlag wurde ein aus der Türkei stammendes IS-Mitglied verantwortlich gemacht. Doch im Prinzip war klar, dass die türkischen Sicherheitsbehörden, wenn nicht selbst den Anschlag gelenkt, so doch mit Sicherheit den Attentäter hatten gewähren lassen. Denn bei den letzten Umfragen, zwei Tage vor den Wahlen, zeichnete sich die Niederlage der AKP bereits ab. Die Hoffnung hinter dem Anschlag war es wohl, mittels einer Provokation den Wahltermin kurzfristig abzusagen. Doch trotz den Opfern bei dem Bombenanschlag kam es am jenen Abend zu keinerlei Aufruhr in Amed und anderswo. Die Menschen waren gewillt, an der Wahlurne ihre Antwort auf den Staatsterror zu geben. Das taten sie dann auch.

Knapp mehr als einen Monat nach den Wahlen, genauer am 17. Juli 2015, trat Erdoğan in die Öffentlichkeit vor die Kameras und erklärte abermals die „Dolmabahçe Deklaration“ für nichtig. Wer bis dahin noch die Hoffnung auf einen Kursumkehr der AKP in Richtung Frieden hatte, der musste diese nun völlig begraben.

Der Anschlag von Suruç – „Das Volk hat sich für das Chaos entschieden“

Die AKP suggerierte bereits vor den Wahlen vom Juni, dass allein ihr Wahlsieg die Stabilität im Lande aufrechterhalten werde. Alles andere müsse zwangsläufig ins Chaos führen. Hinter diesen Aussagen steckte eine klare Drohung.: „Entweder ihr wählt uns oder den Krieg und das Chaos.“

Am 20. Juli 2015 ließ Erdoğans Partei dann auch ihrer Drohung Taten folgen. An diesem Tag hatten sich 300 Jugendliche dem Aufruf der Föderation der Sozialistischen Jugendvereine (SGDF) folgend in  der Grenzstadt Suruç eingefunden. Sie wollten von dort die Grenze passieren, um im zerstörten Kobanê den Kindern Spielzeug zu bringen und den Wiederaufbau der Stadt zu unterstützen. Während ihrer Abschlusspresseerklärung vor dem Grenzübergang kam es zu einem Selbstmordanschlag. 33 junge Menschen verloren ihr Leben. Für den Anschlag erklärte sich erneut der IS verantwortlich.

Die eingeleitete Untersuchung zu dem Anschlag wurde vom türkischen Staat zur Verschlusssache erklärt. Stellvertretend für die türkischen Sicherheitskräfte, die zum Zeitpunkt des Anschlags wundersamer Weise verschwanden, wurde der örtliche verantwortliche Polizeioffizier Mehmet Yapalıal zu einer Geldstrafe von sage und schreibe 7.500 türkischen Lira verurteilt.

Die Namen der getöteten Jugendlichen des Anschlags von Suruç lauten: Koray Çapoğlu, Cebrail Günebakan, Hatice Ezgi Sadet, Uğur Özkan, Nartan Kılıç, Veysel Özdemir, Nazegül Boyraz, Kasım Deprem, Alper Sapan, Cemil Yıldız, Okan Pirinç, Ferdane Kılıç, Yunus Emre Şen, Çağdaş Aydın, Alican Vural, Osman Çiçek, Mücahit Erol, Medali Barutçu, Aydan Ezgi Salcı, Nazlı Akyürek, Serhat Devrim, Ece Dinç, Emrullah Akhamur, Murat Yurtgül, Erdal Bozkurt, İsmet Şeker, Süleyman Aksu, Büşra Mete, Duygu Tuna, Polen Ünlü, Nuray Koçan, Vatan Budak und Mert Cömert.

Die türkische Armee nimmt erneut den Krieg auf

Teil der von Erdoğan abgelehnten Dolmabahce-Deklaration war auch der Rahmen für eine Beendigung des bewaffneten Kampfes der PKK. Und auch während des Dialogs scheuten die Kräfte der Arbeiterpartei Kurdistans keine Mühe, um bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem türkischen Militär aus dem Weg zu gehen. Es sollte von Seiten der Guerillakräfte zu keinen Vorfällen kommen, die für einen Abbruch des Dialogs hätten sorgen können.

Hatten die türkischen Sicherheitskräfte schon während der Gespräche mit der PKK immer wieder mit Angriffen auf die Zivilbevölkerung und provokativem Verhalten den defacto-Waffenstillstand in Gefahr gebracht, so sahen sie mit dem Abbruch der Gespräche keinerlei Anlass mehr, sich zurückzuhalten. So kam es am 24. und 25. Juli zu den ersten großangelegten Bombardierungen von Stellungen, die durch die Kräfte der PKK gehalten wurden. Bei grenzübergreifenden Luftangriffen auf die Kandilberge waren auch von Zivilisten bewohnte Dörfer Ziel der türkischen Armee. Der HDP-Fraktionssprecher İdris Baluken bewertete damals diese Angriffe als Bombardierung des Lösungsprozesses durch die AKP.

Erdoğan: Der Lösungsprozess befindet sich im Tiefkühlfach

Dass die Bombardements auf den Lösungsprozess von höchster Stelle angeordnet wurden, daran ließ Erdoğan bei einem Interview am 11. August 2015 keinen Zweifel. Anlässlich einer Ordensverleihung, an den in den Ruhestand verabschiedeten türkischen Generalstabschef Necdet Özel, erläuterte der türkische Staatspräsident gegenüber einer Nachfrage in einem Fernsehsender, dass der Lösungsprozess sich derzeit im Tiefkühlfach befinde. Im selben Interview griff er nicht nur die kurdische Bewegung an, sondern auch alle Kreise, die sich öffentlich gegen eine Eskalation des Krieges aussprachen.

Gleichzeitig mit dem aufflammenden Krieg begann die heiße Phase des Wahlkampfes für die Neuwahlen in der Türkei, die für den 1. November angesetzt wurden. Auf die Aussagen aus AKP-Kreisen, dass die Bevölkerung bei den Wahlen im Juni sich für das Chaos entschieden habe, folgten unzählige Angriffe auf Anhänger und Wahllokale der HDP. Erdoğans Wahlkampf bestand im Wesentlichen darin, in einem Kampf gegen die HDP zu sein, die gemeinsam mit ihren Millionen von Unterstützern zu Terroristen erklärt wurden.  Aussagen wie diese veranlassten überall im Lande faschistische Mobs dazu, Angriffe auf die HDP zu begehen. In den ersten Septemberwochen 2015 wurden in verschiedenen Städten Wahlkampf- und Parteibüros der HDP in Brand gesteckt. Selbst auf die Parteihauptzentrale in Ankara, die im Übrigen unter permanenter Polizeikontrolle steht, kam es zu einem Angriff, während HDP-Mitglieder sich im Gebäude befanden.

Kriegsverbrechen in Kurdistan

In Kurdistan war der schmutzige Krieg unterdessen bereits eingekehrt. Nachdem bei bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und der türkischen Armee Mitte August 2015 die Guerillakämpferin mit dem Nom de guerre Ekin Van (bürgerlicher Name Kader Kevser Eltürk) ihr Leben ließ, wurde ihr Leichnam von türkischen Soldaten ausgezogen und im Stadtzentrum von Gimgim (türk. Varto) nackt zur Schau gestellt. Die für dieses Kriegsverbrechen verantwortlichen Soldaten teilten die Bilder des Leichnams über die Sozialen Medien.

Am 2. Oktober ereignete sich eine ähnliche Situation in Şirnex (türk. Şırnak). Dort wurde der kurdische Aktivist Hacı Lokman Birlik durch Spezialeinheiten der türkischen Polizei ermordet. Anschließend wurde sein Leichnam an ein gepanzertes Fahrzeug der Polizei gehängt und auf diese Weise quer durch die Innenstadt hinter sich her geschleift. Auch diese Bilder wurden von den türkischen Sicherheitskräften aufgezeichnet und im Internet verbreitet.

Im Krieg gegen die Friedensaktivisten: Der Anschlag von Ankara

Trotz des um sich greifenden Staatsterrors ließ die Bevölkerung sich von ihrem Kampf für Frieden nicht abbringen. Und so versammelten sich am 10. Oktober 2015 tausende Menschen in der türkischen Hauptstadt Ankara zur „Frieden- und Demokratiekundgebung“. Doch auch bei dieser großen und bunten Zusammenkunft von unzähligen Menschen, die lautstark eine Rückkehr zum Lösungsprozess forderten, gingen Bomben hoch. Zwei Explosionen mitten in der Menschenmenge führten zum Tod von mehr als 100 Menschen. Mehr als 500 weitere Personen wurden verletzt. Auch hier wurde der IS für den bis dato blutigsten Anschlag in der Geschichte der Türkei verantwortlich gemacht.

Doch welche Rolle der Staat bei diesem Anschlag spielte, offenbarte sich bereits wenige Minuten nach den beiden Explosionen. Die Polizei sperrte die Wege ab, über welche die aufgebrachte Menge zu fliehen versuchte. Damit nicht genug, die flüchtenden Menschen wurden von den türkischen Sicherheitskräften mit Wasserwerfern und Gasgranaten angegriffen. In Ankara sollte an jenem Tag ein Exempel an denjenigen Menschen statuiert werden, die dem Kriegskurs der AKP widersprachen.

Das dunkle Kapitel der „Ausgangssperren“

Und dieser Kriegskurs sollte sich nicht allein gegen die bewaffneten Kräfte der PKK, sondern gegen die gesamte kurdische Bevölkerung Kurdistans richten. Ein besonders grausames Beispiel hierfür sollte sich in der Stadt Cizîr (Cizre) ereignen. Doch hierzu lassen wir einen Untersuchungsbericht des Menschenrechtsvereins (IHD) und weiterer zivilgesellschaftlicher Organisationen sprechen:

„Gemäß Paragraph 11/C des Gesetzes 5442 aus dem Provinzialverwaltungsgesetzbuch wurde am 4. September 2015 durch den Gouverneur von Şırnak ab 20 Uhr eine Ausgangssperre für die Kreisstadt Cizre ausgesprochen. Diese Ausgangssperre wurde bis einschließlich zum 12. September aufrechterhalten. Zu einer zweiten Ausgangssperre kam es am 13. und 14. September, zu einer dritten am 14. und 15. November. Die am längste anhaltende Ausgangssperre erstreckte sich dann schließlich über 79 Tage und dauerte vom 14. Dezember 2015 bis einschließlich dem 3. März 2016 an.“

Die Ausgangssperren bedeuteten für die Bevölkerung von Cizîr und der anderen Orte, die davon betroffen waren, einen erbarmungslosen Staatsterror. Zugleich formierte sich aber auch ein Widerstand aus der Zivilbevölkerung heraus, die diesen Belagerungszustand des türkischen Staates trotz ungleicher Voraussetzungen nicht hinzunehmen bereit war. In Cizîr verloren im Zuge der Ausgangssperren 213 Zivilisten, 66 Mitglieder der YPS (zivile Selbstverteidigungseinheiten) und 161 Polizisten und Soldaten ihr Leben. Besonders grausam gingen die Kräfte des türkischen Staates gegen die Menschen vor, die nicht ihre Häuser verlassen wollten. Drei Keller von Mehrfamilienhäusern in Cizîr, in denen die Lokalbevölkerung Schutz vor den Angriffen des türkischen Staates gesucht hatte, wurden durch das Militär mit Benzin begossen und in Brand gesetzt. In diesen Häusern gab es dann auch keine Überlebenden mehr.

Um einem solchen oder ähnlichen Schicksal zu entfliehen, verließen rund 80.000 Menschen aus Cizîr ihren Heimatort. Bei ihrer Rückkehr nach den Ausgangssperren hatte sich ihre Stadt verändert. Ganze Stadtteile wurden durch das Militär geradezu ausradiert. Etwa 3.000 Häuser und Wohnungen waren völlig unbewohnbar, 10.000 weitere Wohneinheiten hatten leichte oder mittlere Schäden davongetragen.

Die AKP hatte nach ihrer Wahlniederlage vom 7. Juni zum Mittel der Kollektivbestrafung der kurdischen Bevölkerung gegriffen. Folgende Auflistung zu den Ausgangssperren erstellten der Menschenrechtsverein IHD und die Menschenrechtsstiftung aus der Türkei (TIHV):

„Im Zeitraum vom 16. August 2015 und dem 31. Januar 2017 wurden insgesamt in 10 Provinzen und 39 Kreisstädten Ausgangssperren verhängt. Nimmt man die Zahlen der letzten Bevölkerungszählung vor Ausrufung der Ausgangssperren aus dem Jahr 2014 zur Grundlage, so wurden durch die Ausgangssperren 1,8 Mio. Menschen durch diesen Zustand zeitweise ihrer grundlegenden Menschenrechte, allen voran das Recht auf Unversehrtheit des Lebens beraubt. […] Mindestens 500.000 Menschen wurden durch die Ausgangssperren dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.“

Der 15. Juli: Ein Geschenk Gottes!

Der unter diesen Kriegsbedingungen errungene Wahlerfolg der AKP am 1. November 2015 hatte den Machthunger Erdoğans noch lange nicht gestillt. Ein Ereignis, dessen Hintergründe bis heute voller Fragezeichen sind, sollte ihm eine geradezu goldene Gelegenheit geben, auf seinem Weg in Richtung Diktatur weitere Hürden zu nehmen. Die Rede ist vom Putschversuch des Militärs in der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016.

Viele Soldaten, die an diesem Putschversuch beteiligt waren, hatten zuvor im Dienste der AKP am Krieg in Kurdistan teilgenommen. Abdullah Öcalan hatte noch während der Gespräche mit dem türkischen Staat im Rahmen des Lösungsprozess immer wieder die AKP vor dem sogenannten „Putschmechanismus“ gewarnt. Wenn die Lösung in der kurdischen Frage nicht vorangetrieben werde, würden bestimmte Kreise diesen Mechanismus in Gang bringen und den Putsch wagen. Diese Warnungen stießen allerdings auf taube Ohren. Doch Öcalans Prognosen sollten sich bewahrheiten.

Ob das Militär nun gestärkt aus dem Krieg in Kurdistan tatsächlich eigenständig einen Putschversuch geplant hatte, oder, wie manch einer behauptet, die AKP diesen Putschversuch selbst konstruiert hat, bleibt unklar. Die Bilanz jener Nacht ist in jedem Fall äußerst blutig: Insgesamt 240 Menschen verloren ihr Leben, darunter 173 Zivilisten.

Doch für Erdoğan blieb der Putschversuch dennoch ein „Geschenk Gottes“, wie er es selbst zu Ausdruck brachte.  Denn auf diese Weise konnte der türkische Staatspräsident den Umsturzversuch zum Anlass nehmen, um gegen alle oppositionellen Kreise im Land konzentrierter vorzugehen. Im Rahmen des Ausnahmezustands, der infolge des 15. Julis ausgerufen wurde und bis heute noch anhält, wurden knapp 100.000 Menschen zwischenzeitlich festgenommen, davon 40.000 inhaftiert. Rund 100.000 Menschen wurden aus ihrer Einstellung entlassen. 140.000 Reisepässe wurden für ungültig erklärt. Fast 160 Medienanstalten wurden geschlossen, nochmal so viele Journalisten inhaftiert. 4.811 Lehrbeauftragte aus insgesamt 112 Universitäten des Landes wurden durch die AKP entlassen. 15 Universitäten wurden gar ganz geschlossen. In Nordkurdistan gerieten besonders die Stadtverwaltungen ins Visier der AKP. Von insgesamt 103 Stadtverwaltungen, in denen die prokurdische DBP (Demokratische Partei der Regionen) die Bürgermeister stellt, wurden 82 unter die Zwangsverwaltung der AKP gestellt. 85 Co-Bürgermeister wurden festgenommen und 2.022 Mitarbeiter der Stadtverwaltungen entlassen.

Auf dem Weg zum Ein-Mann-System

Mittels dieser Repressionen beabsichtigte die AKP die gesellschaftlichen Hürden für die von ihr geplante Präsidialdiktatur aus dem Weg zu räumen. Während die demokratische Opposition auf diesem Wege ausgeschaltet wurde, suchte die AKP den Schulterschluss zur rechtsradikalen MHP. Beide Parteien kamen im Oktober 2016 zum ersten Mal zusammen, um die Eckpunkte der geplanten Verfassungsänderung zu besprechen und noch vor dem Jahreswechsel wurde das Gesetzespaket durch die Verfassungskommission im türkischen Parlament abgesegnet. Auf diese Weise wurde im Schnelldurchlauf der Weg zum Verfassungsreferendum über das Präsidialsystem freigeräumt.

Doch die AKP schien in ihrer Sache alles andere als sicher zu sein. Vor allem die HDP schien trotz aller Repressionen weiterhin ein Unsicherheitsfaktor für Erdoğans Partei darzustellen. Und so hatte man bereits vorsorglich am 20. Mai 2016 die Immunität zahlreicher HDP-Abgeordneten im Parlament aufheben lassen. Am 4. November desselben Jahres wurden dann die beiden HDP Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, sowie zahlreiche weitere HDP-Abgeordnete durch die türkische Polizei festgenommen und anschließend inhaftiert.

Im Jahresbericht 2016 des Menschenrechtsvereins IHD sollten diese dunklen Ereignisse der jüngeren türkischen Geschichte wie folgt einfließen:

“Einschließlich ihrer beiden Co-Vorsitzenden wurden 13 Abgeordnete der HDP festgenommen und inhaftiert. Nimmt man die Repressionen gegen die Stadtverwaltungen der DBP hinzu, so wird deutlich, dass die Möglichkeit der legalen Politik für die Kurdinnen und Kurden geradezu sabotiert wird. Dasselbe gilt für ihre Aussicht, die für sie relevanten gesellschaftlichen und politischen Probleme innerhalb der bestehenden Ordnung zu lösen.“

Das Referendum im Ausnahmezustand

Unter diesen Bedingungen kam es dann zum Referendum über die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei. Dass ein solches Referendum keinerlei Legitimität genießen konnte, stand schon lange vor dem 16. April 2017 fest. Und dennoch konnte die AKP ihr Vorhaben lediglich mit der Unterstützung von knapp 51% der Wähler durchsetzen. Und auch dieses Ergebnis war lediglich mit einer ganzen Reihe von „Unregelmäßigkeiten“ am Tag des Referendums möglich. Besonders in den kurdischen Siedlungsgebieten ereigneten sich am 16. April geradezu absurde Dinge. Doch hierrüber berichteten wir bereits ausführlich HIER.