Was geschieht in Şêx Meqsûd, Şehba, Efrîn und Azaz?

halepBewertung von Seyit Evran, Firatnews, 08.04.2016

Seit zwei Tagen haben sich die Angriffe auf das Viertel Şêx Meqsûd in Aleppo verstärkt. 25 ZivilistInnen haben dabei ihr Leben verloren, über hundert wurden verletzt.

Seit dem 27. Februar, dem Tag, an dem nach der Einigung zwischen Russland und den USA ein Waffenstillstand in Syrien ausgerufen wurde, finden ständig Angriffe auf Şêx Meqsûd und Efrîn statt. In den letzten beiden Tagen haben die Angriffe jedoch eine neue Dimension angenommen.

Einige Tage nach Beginn der Angriffe wurde die seit ungefähr drei Monaten stockende Genfer Syrien-Konferenz erneut gestartet. Staffan de Mistura, der angeblich für eine Lösung eintritt, veröffentlichte ein aus elf Artikeln bestehendes Dokument, mit dem eine Einigung zwischen dem Assad-Regime und dem Syrischen Nationalrat (SNC) erreicht wurde. Von kurdischer Seite wurde dieses Papier abgelehnt, weil sie darin komplett ignoriert wird. Außerdem wird in dem Dokument der Umgang des syrischen Regimes vor 2011 mit der kurdischen Bevölkerung befürwortet. Die syrische nationale Opposition und das Regime sind sich bei diesem Thema einig.

Nach der Veröffentlichung des Dokuments bestätigte Esad Zoobi im Namen der SNC-Delegation die Übereinstimmung mit dem Baath-Regime.

Angriffe nach Gesprächen zwischen Hicap und Barzani

Nach der ignoranten Erklärung Zoobis und den ablehnenden Reaktionen aus Rojava ist der Delegationskoordinator Riyad Hicap nach Hewlêr gefahren, um Barzani zu treffen. Das Gespräch hat gestern stattgefunden. Zu den Inhalten wurde eine sehr kurze offizielle Erklärung abgegeben. Auffällig ist jedoch, dass direkt im Anschluss Şêx Meqsûd von islamistischen Banden angegriffen wurde, zu denen auch Ehfad-ı Selahattin gehört, einer mit der Türkei und der KDP in Verbindung stehenden Gruppierung. Bisher haben ungefähr 25 Zivilistinnen dabei ihr Leben verloren, über hundert wurden verletzt. Der Zeitpunkt kann kein Zufall sein. Die Angriffe sind nicht unabhängig von der Zusammenkunft zwischen Zoobi und Barzani zu betrachten. Es muss sogar davon ausgegangen werden, dass sie bei diesem Gespräch beschlossen wurden. Von der KDP unterstützte Gruppierungen greifen seit geraumer Zeit die SDF und die Ceyş El Suwar-Gruppen in der Gegend um Şêx Meqsûd und Efrîn an. Es ist allgemein bekannt, dass sie dabei von der Türkei mit Mörsern, Raketen und Panzern unterstützt werden.

Machtübergabe an der Grenze bei Azaz

Ein weiteres Gebiet, das seit der Ausrufung des Waffenstillstands in Bewegung geraten ist, befindet sich zwischen Azaz,-Bab und-Cerablus. Das mehrheitlich aus kurdischen Dörfern bestehende Gebiet steht seit 2013 unter IS-Kontrolle. Dorthin liefert die Türkei am meisten Unterstützung für den IS. Außerdem gilt es als wichtiges Durchzuggebiet für die Militanten. Da die Zeit des IS abzulaufen scheint, wurden unter dem Namen FSA von der Türkei, Saudi-Arabien und der KDP unterstützte Gruppen vereinigt, die den IS ersetzen sollten. Dieser Zusammenschluss wurde zunächst „Sultan Murad“, später wieder FSA genannt. Das ist auch der Name, den die internationalen Kräfte vorziehen. Weder die USA noch Russland haben bisher darauf reagiert, dass in Şêx Meqsûd Dutzende ZivilistInnen getötet wurden und der Waffenstillstand verletzt wird. Sie erklären sogar, der Waffenstillstand werde eingehalten, und zeigen damit, dass die Massaker der genannten Gruppierungen mit ihrem Einverständnis stattfinden.

Internationaler Plan

Die jüngsten Bewegungen dieser Gruppierungen in den überwiegend kurdischen Dörfern zwischen Azaz, Bab und Cerablus verweisen auf einen internationalen Plan. AKP und KDP, die als strategische Partner für die Umsetzung dieses Plans verantwortlich sind, haben jedoch noch einen weiteren Plan. Dazu gehört die kürzlich vollzogene Übergabe der Dörfer an der türkischen Grenze an die Ehrar Uş Şam-Gruppierung. Die Grenzdörfer Dudyan, Tel Şehir, Çobanbey, Karagöz, Tel Ar, Didriş, Xelfetli, Mezraa, Şuverin und Bahverte, in denen Kurden, Araber und Türkmenen gemeinsam leben, wurden gestern offiziell vom IS der Ehrar Uş Şam-Gruppe übergeben. Vor der Übergabe wurde jedoch Kilis von einem unbekannten Ort aus mit Mörsern angegriffen. Im Anschluss hat sich der IS aus den Dörfern zurückgezogen und Ehrar Uş Şam hat diese eingenommen. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat vor einer Weile erklärt, auf der Achse Azaz-Cerablus könne eine neue Stadt erbaut werden, um das Problem syrischer Flüchtlinge zu lösen. Diese Idee entspricht der Absicht der Türkei, eine Pufferzone an der Grenze zu errichten. Die Übergabe der Dörfer verweist darauf, dass die Umsetzung von Erdoğans Plan begonnen hat. Offenbar haben sich die USA, Russland und die europäischen Länder in dieser Frage geeinigt. Das zeigt ein weiteres Mal, dass es sich im Grunde genommen um einen internationalen Plan handelt.

Neue Stellungen für den IS

Der IS hat sich aus den Dörfern zwischen Azaz, Bab und Cerablus zurückgezogen und neue Stellungen in dem Gebiet, das von Kräften der QSD und Ceyş El Suwar gehalten wird, bezogen. Ceyş El Suwar kontrolliert das Gebiet zwischen Tıl Rıfat und Ehraz. Die neuen IS-Stellungen liegen in dem Gebiet Sed Şehba, das aus zwanzig Dörfern besteht. Die Dörfer Ehraz, Tıl Rıfat un Kefer Naya werden weiterhin von Ceyş El Suwar kontrolliert, die Dörfer Om Hoş und Tel Malid vom IS. Die Angriffe auf Şêx Meqsûd dauern ununterbrochen an. Es wäre keine Überraschung, wenn der IS in den kommenden Tagen Tıl Rıfat, Kefer Naya und Ehraz angreift. Ceyş El Suwar und weitere Kräfte sind darauf vorbereitet.

Das Ziel ist Efrîn

Şêx Meqsûd ist wie eine Luftröhre für Efrîn. Die Angriffe dienen dem Ziel, Efrîn die Luft zu nehmen. Es werden gezielt ZivilistInnen angegriffen, um das Gebiet zu entvölkern. Somit soll der Zugang nach Efrîn aus südlicher Richtung versperrt werden. Im Nordosten liegen die Dörfer zwischen Azaz, Bab und Cerablus, die von dem IS an Ehrar Uş Şam übergeben wurden. Die neuen IS-Stellungen im Gebiet Sed Şehba liegen im Südosten. Efrîn wird also von allen Seiten belagert. Um den Belagerungsring zu verkleinern, werden vermutlich Angriffe aus Şêx Meqsûd, der Umgebung von Azaz und dem Gebiet Sed Şehba stattfinden. All diese Bewegungen verweisen auf den Plan, an dem einschließlich Russlands und der USA diverse internationale Kräfte beteiligt sind, Aleppo, Şehba und Efrîn einzunehmen. Es handelt sich um eine neue Version der strategischen Partnerschaft zwischen der von der AKP regierten Türkei und der Barzani-Familie, die mehr noch als die internationalen Kräfte eine Plage für die Region sind. Die internationalen Kräfte unterstützen diesen Plan, weil er auch ihren Interessen bei der Aufteilung der Region entspricht. All diese Entwicklungen verweisen darauf, dass es in kommender Zeit in Rojava zu heftigen Auseinandersetzungen kommen wird.