Widerstand im Iran geht weiter

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Ercan Ayboga

Am 24.11.2012 fand in Erfurt eine Informations- und Diskussionsveranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) zur Opposition im Iran statt. Die TeilnehmerInnen diskutierten mit vier Referenten, die verschiedene Aspekte des gesellschaftlichen Widerstands und gesellschaftlicher Opposition im Iran abdeckten. Der Fokus dieser Veranstaltung lag bewusst nicht auf der Diskussion über das Atomwaffenprogramm des iranischen Staates, was in der Vergangenheit bei vielen Veranstaltungen der Fall gewesen war. Durch dieses Programm gilt der iranische Staat in der westlichen Mehrheitsöffentlichkeit immer mehr als die größte Gefahr für den Weltfrieden. Dabei wird oftmals der Eindruck erweckt, dass nach der »Grünen Revolte« von 2009 innenpolitischer Friede eingekehrt wäre. Die Lage im Iran ist jedoch gerade in den letzten Monaten und Jahren immer mehr durch zahlreiche Widerstandsaktivitäten geprägt.

Die Einführung in das Thema gab der Autor und Kolumnist Bernard Schmid aus Paris, der die iranische Revolution von 1979 analysierte und anschließend die Entwicklung der oppositionellen Kräfte bis heute beschrieb. Zunächst hob er hervor, dass es sich bei der Revolution von 1979 um keine islamische gehandelt habe. Die Revolutionszeit begann Mitte 1977; die Islamisten erstarkten erst ein Jahr später und wuchsen zu einem von mehreren Kraftzentren heran. Sie hätten sich geschickt revolutionärer Rhetorik bedient und den starken Klerus und die Basar-Leute hinter sich gehabt. Die Spaltung und Naivität der Linken und auch das schlaue Taktieren und die frühe Bewaffnung der islamistischen Kräfte hätten für die vollständige Machtübernahme ein Jahr nach der Revolution im Februar 1979 gesorgt. Dass es sich bei den Islamisten um Konterrevolutionäre handelte, wurde am 04.03.1979 offenbar, als Homosexuelle hingerichtet wurden. Die Botschaftsbesetzung im November 1979 habe zu einer zwiespältigen Haltung bei der Linken geführt. Kurz gesagt, die Islamisten hätten es kurz nach der Revolution verstanden, die linken Kräfte zu spalten, deren frühere Ausdifferenzierung sich in den darauffolgenden Jahrzehnten als tragisch herausstellen sollte.

Interessant zu wissen ist im Zusammenhang mit der iranischen Revolution noch, dass erst der Ölarbeiterstreik die Endrunde der Revolution einleitete. Die Effektivität des Streiks sei darin begründet gewesen, dass die Raffinerien alle an einem Ort konzentriert waren. Gerade deshalb habe das neue islamische Regime heute die Raffinerien über das ganze Land verstreut.

Nach dem Tod Khomeinis wurde die Macht im Staat verteilt und es wurden regelmäßige Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abgehalten. Doch das System sei so geblieben, wie es war, und das trotz zahlreicher sozialer Proteste im ganzen Land Anfang der 90er Jahre; die Opposition sei schon weitgehend zerschlagen gewesen. In diesen Jahren wurden Dutzende ins Ausland geflohene Oppositionsführer von staatlichen Mitarbeitern ermordet.

Die achtjährige Periode mit Staatspräsident Chatami, in den Millionen ihre Hoffnungen gesteckt hatten, sei von Anfang an trügerisch gewesen, eine Transformation dieses Regimes nie machbar. Er und andere seien Ausdruck der stark ausgeprägten Elitenkonkurrenz im Iran. Auch Mussawi von der »Grünen Bewegung« sei im Endeffekt Teil dessen.

Die dritte Phase im Staat Iran habe mit Ahmadinedschad begonnen, mit dem der Terror von oben zugenommen hat. Seine verbale Konfrontation mit auswärtigen Mächten diene der »Schließung der eigenen Reihen«.

Der Autor und zweite Referent des Abends Peyman Javaher-Haghighi teilte die wichtigsten sozialen Bewegungen im Iran in vier Gruppen: Frauenbewegung, Studierendenbewegung, ArbeiterInnenbewegung und ethnische Bewegungen.

Zunächst ging er auf die institutionalisierte Geschlechterapartheid ein. Er hob zunächst hervor, dass in wirtschaftlichen und politischen Krisen der Druck auf die Frauen zunehme, da diese selbstbewusst aufträten, nach individuellen Freiheiten suchten und bei Protesten eine federführende Rolle spielten. Ein Grund für das Selbstbewusstsein der Frauen liege darin, dass sie 60?% der Studierenden stellen.

Genauso fürchte das Regime die Studierenden. Direkt nach der Revolution wurden die Universitäten erst einmal für drei Jahre geschlossen, um die islamistische Ideologie einführen zu können. Doch trotz aller ideologischen Strukturänderungen und Repressionen an den Universitäten hätten die Studierenden immer wieder revoltiert. In der Logik der Machthaber müsse »das Nest der Säkularisierten« mit heute 3,5 Mio. Studierenden – 20-mal mehr als vor der Revolution – zerschlagen werden.

Auf diesen beiden Bewegungen und denen der ArbeiterInnen und der ethnischen Bevölkerungsgruppen basiere die »Grüne Bewegung«, getragen insbesondere von der weniger ideologisierten und gegenüber Repression sensibleren Jugend. Die Forderungen seien erst einfache gewesen, dann aber schnell radikaler geworden. Selbst Chamenei, der »Revolutionsführer«, wurde infrage gestellt. Dass Millionen auf die Straße gingen, könne nicht nur auf Kommunikationsmittel wie »soziale Medien« zurückgeführt werden, auch wenn sie wichtig waren. Diese Bewegung sei auch ein Ergebnis der Desillusionierung aus der Chatami-Zeit gewesen; die Hardliner waren jedoch zu absolut keinen Zugeständnissen bereit und das Regime sehr trainiert in der Niederschlagung von Aufständen. Eine Schwäche der »Grünen Bewegung« sei u.?a. gewesen, die Forderungen verschiedener Bevölkerungsgruppen wie der ArbeiterInnen und der ethnischen Minderheiten nicht einzubeziehen, die ländlichen Gebiete waren von den Protesten abgetrennt. Mussavi und Karroubi hätten die politische Führung übernommen, trotzdem nicht alle der aus verschiedenen Schichten, darunter auch der verarmten Mittelschicht, stammenden Protestierenden mit den beiden einverstanden gewesen seien. Es sei zu ihrem Vorteil gewesen, dass sie den Protestierenden etwas Freiraum gegeben hatten, ihre große Schwäche, dass sie nicht konsequent genug waren und die gesamte Bewegung im Rahmen des Systemerhalts einschränken und bremsen wollten.

Ahmadinedschad habe nur die Unterstützung eines Bruchteils der ärmeren Schichten und sei somit nicht der »Mann der kleinen Leute«. Dabei sei zu bedenken, dass 40?% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben – bei steigender Tendenz.

Worian Ahmadi von der Kommunistischen Partei Irans und ihrer Kurdistan-Sektion »Komalah« behandelte die Lage der arbeitenden Menschen im Staat Iran, die im Falle des Engagements für ihre Rechte mit systematischer Repression konfrontiert werden würden. Der Staat habe große Angst vor ArbeiterInnen, die im Vergleich zu Nachbarstaaten einen relativ hohen Bevölkerungsanteil stellen. Im Iran gebe es – neben den offiziellen und staatsnahen Vertretungen – unzählige illegale Gewerkschaften und Komitees, die meistens nicht von parteipolitisch gebundenen Menschen getragen werden, sondern für die Rechte der ArbeiterInnen kämpfen würden. Die jüngste Wirtschaftskrise mit hoher Inflationsrate träfe vor allem Letztere, was u.?a. die Verbreitung von Zeitarbeit mit sich brächte. Auch würden immer wieder Gehälter für Monate nicht ausgezahlt. Immer mehr Menschen haben eine zweite Beschäftigung.

Am 15. Juni 2012 habe eine Versammlung von 59 VertreterInnen der illegalen Gewerkschaften stattgefunden, die von Staatskräften gestürmt worden sei. Aufgrund internationaler Proteste seien die Festgenommenen wieder freigekommen.

Der an der Universität Heidelberg promovierende B. R. sprach über den Widerstand im kurdischen Teil des Staates (Ostkurdistan), der zu den wichtigsten im Iran zähle. Die KurdInnen würden dort nicht wie in der Türkei und Syrien offen verleugnet und die Unterdrückung äußere sich aufgrund der persischen und kurdischen sprachlichen und kulturellen Nähe subtiler. Offiziell sei es möglich, auf Kurdisch zu unterrichten, doch nirgends werde das angewandt. Das liege an der tatsächlich starken Repression in Ostkurdistan, wo die Arbeits- und Perspektivlosigkeit sehr groß sei. Von dort würden viele Menschen nach Teheran und in die anderen ökonomischen Zentren auswandern. Es gäbe dort viele Arbeitskräfte, doch keine Fabriken. Hervorzuheben von der Widerstandspalette sei die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (PJAK), eine jüngere Partei und mit Sympathien vor allem unter Jugendlichen. Die beiden älteren Parteien PDK-Iran (Demokratische Partei Kurdistans) und Komalah hätten nach jahrzehntelangem Widerstand gegen das Regime in den letzten Jahren viel von ihrem Einfluss eingebüßt. Die PJAK, die auch mit einer Guerilla gegen das Regime kämpft und sich bisher einigermaßen halten konnte, habe auch durch ihr politisches Projekt des »Demokratischen Konföderalismus« große Aufmerksamkeit erregt. Damit seien Demokratie von unten und Selbstverwaltungsstrukturen für alle Menschen im Iran gemeint.

Alle vier Referenten lehnten allgemeine Wirtschaftssanktionen gegen den Iran ab – das träfe nur die breite Bevölkerung und liefere dem System sogar Argumente –, befürworteten aber Sanktionen für Rüstungsgüter, Überwachungstechnik und Ähnliches. Auch sprachen sie sich gegen eine ausländische Intervention im Iran aus, was fatale Folgen für die Gesellschaft haben würde. Das wäre hilfreich für die Staatsmacht, die mit ihren Verbalattacken international von den eigentlichen Problemen im eigenen Land ablenken will. Das totalitäre Ahmadinedschad-Regime wolle zwar Atomwaffen herstellen, habe aber real kein Interesse an einem Krieg mit Israel, den USA oder anderen Mächten und sei kein Selbstmordregime.

Die Referenten forderten zunächst die Erarbeitung eines realistischen Bildes der Menschen im Iran. Als zweiten Schritt forderten sie eine Kritik der Politik der deutschen Regierung, welche die Menschenrechte und nicht das Nuklearprogramm ins Zentrum rücken müsse. Von der Zivilgesellschaft in Deutschland erwarten sie, dass die Nuklearfragen mit Menschenrechtsfragen verbunden werden. Weiterhin könnte es in der BRD selbst einen kritischeren Umgang mit deutschen Unternehmen wie Siemens geben, das Abhörtechnik geliefert hat. Auch Aufmerksamkeit für im Iran Inhaftierte nutze ihnen in manchen Fällen.