Zur Lage der Kurden im iranischen Ostkurdistan

Hîva ResidîEine Perspektive für alle Völker dieser Welt
Hîva Residî, ehemaliger PJAK-Milizionär, im Interview

Dieses Interview mit dem Aktivisten Hîva Residî führte Dilzar Dilok am 25. Januar 2011. Hîva Residî war in Ostkurdistan als Milizionär der „Partei für ein Freies Leben in Kurdistan“ (PJAK) aktiv und an ihren politischen Arbeiten beteiligt. Wegen Repressionen und Morddrohungen des iranischen Regimes war er gezwungen, nach Südkurdistan zu emigrieren, wo er im Kandil-Gebiet lebt.

Wie ist die allgemeine Lage der Kurden in Ostkurdistan – wie viele leben dort, welche Organisierungsformen gibt es, ist die Bevölkerung einer Assimilationspolitik ausgesetzt, und wenn ja, wie ist das im Alltag spürbar?
Im Allgemeinen unterscheidet sich die Lage des Volkes in Ostkurdistan von der in den anderen Teilen Kurdistans. Das hängt mit den früheren Aufständen in der Region zusammen. Vor 90 Jahren gab es die Erhebung von Simko Schikak1 und die Bevölkerung war ihr durchaus nicht abgeneigt. Später wirkten sich die Regime von Riza Schah und von Khomeini negativ auf die Kurden aus. Sowohl mit militärischen Mitteln als auch durch die politische, soziale und rechtliche Nichtanerkennung wurde in der Bevölkerung große Angst verbreitet und wurden patriotische Empfindungen unterdrückt. Die Furcht vor dem Regime hielt von einem richtigen Freiheitskampf ab und ihre geistigen und psychischen Auswirkungen sind weiterhin spürbar.
Ostkurdistan verfügt zudem über eine gewisse soziale und ethnische Vielfalt. Es werden unterschiedliche Dialekte des Kurdischen gesprochen – Sorani, Kurmandschi und Kelhori – und es gibt verschiedene religiöse Gruppen: Ein Teil der Kurden folgt dem islamischen Sunnitentum, ein anderer Teil dem Schiitentum; zudem gehört eine nicht geringe Anzahl der religiösen Gruppe der Ehl-i Hak an. Durch diese Umstände wird eine Einheit erschwert. In der Konsequenz fällt eine starke Organisierung der Bevölkerung schwer, ein bedeutender Widerstand gegen das System ist nicht möglich. Im gesamten Iran gibt es keine starke Widerstandskraft gegen das System. Da sind die Kurden noch am besten dran. Aber auch ihnen blieb in der Vergangenheit eine eigene Ideologie für den Kampf gegen das Regime versagt. Heute ist es ihnen allerdings gelungen, das aufzubrechen. Durch die Person Abdullah Öcalans konnten sie die Mauern zwischen den Kurden mit ihren verschiedenen Dialekten und ihrer unterschiedlichen Religionszugehörigkeit einreißen. In nicht unbedeutendem Ausmaß wurde eine Einheit etabliert. Zudem gibt es beachtliche Annäherungen an andere Volksgruppen in der Region. So leben zum Beispiel in den Städten Xoy, Mako oder Urmiya Aserbaidschaner, von denen viele von der Ideologie Öcalans beeinflusst sind und zum Teil an der Organisierung teilnehmen.

In welcher Form betreibt der iranische Staat eine Assimilationspolitik gegen die kurdische Bevölkerung und welchen Einfluss hat sie?
Im Iran ist die kurdische Sprache nicht verboten und auch das kulturelle Leben wird nicht behindert. Aber auf der ideologischen Ebene gibt es eine Unterdrückungspolitik. Es wird versucht, die Bevölkerung in dieser Hinsicht gleichzuschalten. Die Schulen sind Ausbildungsstätten für die staatliche Ideologie, sie soll hier im Besonderen in den Köpfen der Kinder verankert werden. Was hier im Bildungswesen geschieht, ist eine sanfte Assimilationspolitik, die sozusagen auf „natürlichem Wege“ die Bevölkerung auf Linie bringen soll. Und diese Politik wird bis in die Universitäten fortgeführt. Nur wer nach dem Studium das System verinnerlicht hat, findet eine Anstellung. Aber wer sich dem verweigert, wird aus dem System ausgeschlossen. Es gibt eine große Anzahl Universitätsabsolventen, gar Menschen mit Doktortitel, die anschließend keine Stelle finden und unter armseligen Umständen leben müssen.

Unterscheidet der Staat in seiner Politik gegenüber den Kurden auch nach ihrer Sprachzugehörigkeit?
Die Besonderheiten der Menschen und Regionen sorgen auch immer für eine gesonderte Annäherung des Staates. Die Kurmandschi Sprechenden werden besonders stark unter­drückt. Weil diese Menschen in geographisch schwer zugänglichen Regionen leben, versuchen sie sich ihren Lebensunterhalt durch Landwirtschaft und Tierzucht zu sichern. Der Staat hat keinerlei Interesse, in diese Gebiete zu investieren. Das Einkommen der Bevölkerung soll auf einem Niveau gehalten werden, dass sie sich gerade noch selbst ernähren kann. Dadurch kann die staatliche Machtpolitik noch lebensbedrohlicher gegen das Volk eingesetzt werden.
Die Regionen der Soranisprachigen haben wiederum ihre eigenen Besonderheiten. Die ehemalige Präsenz der PDK-Iran hier hat Einfluss auf die Politik des Staates gehabt. Hier war von Zeit zu Zeit der Drogen- und Waffenschmuggel verbreitet. Der Staat drückte dabei mal die Augen zu oder förderte ihn gar, ein anderes Mal dagegen wurden die Schmuggler verhaftet, zum Tode verurteilt und die Bevölkerung dadurch vom Schmuggeln abgeschreckt. Ein bedeutender Unterschied bei den Sorani-Sprechern ist, dass sie der nationalen Frage gegenüber aufgeschlossener sind. Darum ist der Druck des Staates durch das Bildungswesen stärker, auch der religiöse Druck auf die Bevölkerung. Mit allen Mitteln sollen die nationalen Gefühle des Volkes gebrochen werden.
Und auch in den Regionen mit mehrheitlich Kelhori sprechenden Einwohnern wird kultureller Druck ausgeübt. Hier sollen die Menschen in ihre Häuser gesperrt werden. Die Entwicklung des Handwerks wird verhindert, dadurch sollen sie ökonomisch abhängig gemacht werden. Oft bleibt als einziger Ausweg der Drogenschmuggel, durch den Staat zusätzlich gefördert, um die Energien der Bevölkerung in die falsche Richtung zu kanalisieren und ihren Willen zu brechen.

In Nordkurdistan versucht das Militär, seine Kontrolle und die Unterdrückung durch die Organisierung von Dorfschützern aufrechtzuerhalten. Wie sehen die polizeiliche und die militärische Praxis des Iran gegenüber den Kurden aus? Gibt es etwas Ähnliches wie das Dorfschützersystem?
Im Iran gibt es Sicherheitskräfte namens „Niru-i Intizami“. Das ist ihre Antwort auf gesellschaftliche Probleme. Analog zu den regionalen Unterschieden hat auch das Militär seine Besonderheiten. So sind beispielsweise die Kurden aus Kirmanschah überwiegend Schiiten. Hier setzt der Staat kurdische Soldaten ein, die Kurmandschi oder Sorani sprechen [beide Gruppen mehrheitlich sunnitisch; Anm. d. Übers.]. Das Polizeisystem funktioniert ähnlich. Beides wird staatlich gelenkt, um die Bevölkerung anhand ihrer Unterschiedlichkeiten gegeneinander auszuspielen, zu spalten und Feindschaften zu schüren. So leben zum Beispiel auch schiitische Aserbaidschaner in Kurdistan. Die werden staatlicherseits gegen die Kurden aufgebracht und es entsteht der Eindruck, als ob existierende Probleme solche zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen seien.

Wie schon erwähnt beginnt der Druck auf die Kurden bereits in der Schule. Die kurdischen Jugendlichen im Alter von 15, 16 Jahren werden gezwungen, Mitglieder der Basidsch2 zu werden. Die Kinder bekommen eine neue Identität, und im militärreifen Alter werden ihnen gewisse Möglichkeiten geboten. Das ist eigentlich nichts anderes als ein ausgeklügeltes Bespitzelungssystem. Wer das akzeptiert, dient fortan der Diktatur aus Teheran. Und wer das nicht akzeptiert, wird unter Druck gesetzt, um in den bergigen Regionen als Dschasch, eine Art Dorfschützer, zu agieren. Ihnen wird somit die zeitlich unbegrenzte Aufgabe auferlegt, die Grenzen des Nationalstaates zu schützen. Die Bestrebungen gegen diese Politik der Identitätslosigkeit, die in der Bevölkerung in Form der PJAK immer mehr Akzeptanz genießen, versucht der Staat durch Gegenpropaganda im Keim zu ersticken.

In den 90er Jahren war die türkische Kurdenpolitik geprägt von Dorfzerstörungen, Morden sogenannter unbekannter Täter und Vertreibungen. Gibt es diese Art „Kurdenpolitik“ auch in Ostkurdistan?
Eine ähnliche Praxis gab und gibt es auch dort. Mögliche revolutionäre Entwicklungen nehmen oft aus den bergigen Regionen heraus ihren Verlauf. Deswegen waren es zuvor vor allem die Soranisprachigen, die mit der Zerstörung ihrer Dörfer, Entführungen oder Vertreibungen konfrontiert waren. Heute hat sich diese Praxis auf alle Gebiete Ostkurdistans ausgeweitet. So werden beispielsweise die Weideflächen bombardiert, sodass die Menschen keine Tierzucht mehr betreiben können. Die Dorfbewohner werden dadurch praktisch in ihre Dörfer eingesperrt. Die Tierzucht ist ihre Lebensgrundlage und die wird ihnen geraubt. Damit wird Armut und in deren Folge Vertreibung bewusst forciert.
Die Massaker in Ostkurdistan halten ebenfalls an. Aber man versucht sie zu vertuschen, und das gelingt ihnen auch gut. Denn wer sich traut, die Massaker an der Zivilbevölkerung öffentlich zu machen, unterschreibt sein Todesurteil. Und es ist ohnehin nicht einfach, von hier aus die breite Öffentlichkeit zu erreichen. Der einzige Ausweg, der den Menschen bleibt, ist die Flucht. Oder sie versuchen sich mit Drogen ihrer Realität zu entziehen und werden dadurch auch zum Drogenschmuggel getrieben. Das beschreibt im Großen und Ganzen die Politik des iranischen Staates gegenüber den Kurden.
Ich hatte erwähnt, dass in Ostkurdistan Menschen leben, die der Ehl-i-Hak-Religion angehören. Sie leben vor allem in der Region Kirmanschah und gehören nicht zum islamischen Schiitentum, der Staatsreligion des Iran. Und der Staat akzeptiert keine anderen Religionsgruppen, vor allem nicht von außerhalb des Islam. Die Menschen dort gehören nicht dem Islam an und leben nach ihrer eigenen Kultur und Bräuchen. Vor allem diese Gruppe ist ständigen Diffamierungen und Bedrohungen durch das Regime ausgesetzt. Wenn sie Schiiten oder Sunniten, also Muslime wären, könnten sie noch bis zu einem gewissen Grade akzeptiert werden, aber so billigt sie das Regime nicht. Dennoch leben diese Menschen ihre Kultur und ihre patriotischen Gefühle sind stark. Weil die Schule als erster Schritt der Integration in das System verstanden wird, gehen ihre Kinder auch nicht zur Schule. Zwar ist im Iran das Sprechen der kurdischen Sprache nicht verboten, aber in den Schulen wird nicht auf Kurdisch gelehrt. Schulsprache ist ausschließlich Persisch, und so werden die Kinder in den Schulen assimiliert. Das System gestattet den Menschen also das Sprechen ihrer (Mutter-)Sprache ausschließlich im privaten Bereich, während es im öffentlichen Bereich untersagt bleibt. Das ist die Annäherungsweise des iranischen Staates. Zudem ist jeder auch zum Militärdienst gezwungen.

Du hast sowohl patriotische Empfindungen als auch direkte oder indirekte Erfahrungen mit revolutionären Bewegungen in der Vergangenheit in Ostkurdistan erwähnt. Wie war die erste Reaktion der Bevölkerung auf die PJAK?
Im Zuge des internationalen Komplotts 1999 brach die aufgestaute Wut der ostkurdischen Bevölkerung hervor. Die patriotische Bevölkerung Ostkurdistans zeigte nach der Entführung Abdullah Öcalans am 15. Februar 1999 eine deutliche Reaktion und damit, dass sie nicht bereit war, eine Trennung von einer Führungsperson mit der Kraft, sie zu ihrer Freiheit zu führen, hinzunehmen. Es gab Erfahrungen mit revolutionären Bewegungen, aber jeder gescheiterte Aufstand hinterließ auch tiefe Wunden. Trotz alledem waren der revolutionäre Glaube und die patriotischen Gefühle der Bevölkerung ungebrochen. So setzte sie große Hoffnungen in die PDK-I und in Dr. Qasimlo. Der ist dann in Wien von iranischen Agenten ermordet worden [1989]. Die Bevölkerung verlor dennoch nicht ihren Glauben und setzte ihre Hoffnungen auf die Befreiungsbestrebungen unter der Führung der PKK in Nordkurdistan.
Nach der Festnahme Abdullah Öcalans erreichten die revolutionären und patriotischen Emotionen der Bevölkerung einen neuen Höhepunkt. Die stellte sich hinter ihre Führungspersönlichkeit, und das ganz offen, trotz Angriffen und der Bedrohung durch die Todesstrafe. Dieser Widerstand der Bevölkerung hat historische Wurzeln. Die großen Volksaufstände (serhildans) fallen ja nicht vom Himmel. Vor allem zu einer Zeit, in der sich in der Region sonst kaum jemand rührte. Ich hatte in den Jahren 94–95 auch an den Arbeiten der Apocu-Bewegung teilgenommen, als sie in kleinen bewaffneten Gruppen in dieses Gebiet kam, um Propaganda zu machen und ihre Ideologie der Bevölkerung zu vermitteln. Diese zeigte daran großes Interesse. Auch der Unterschied der PKK zu den vorherigen Bewegungen wurde sofort deutlich. Das war in ihrer Lebensweise, in ihrer Opferbereitschaft, in ihrer Freiheitsperspektive klar ersichtlich und weckte neue Hoffnungen. Trotz der Traumen durch die Niederlagen der früheren Bewegungen weckte die ideologische, politische und gesellschaftliche Perspektive der PKK in der Bevölkerung das Gefühl von etwas Neuem und belebte wieder historische Werte. Das schuf eine Bindung an die Bewegung und die Skepsis gegenüber dem erneuten Versuch einer gesellschaftlichen Organisierung war in erheblichem Maße aufgebrochen. Die Moral und die Kultur sowie das Lebensverständnis der Apocu-Bewegung waren ein Lichtblick für die Bevölkerung Ostkurdistans. Die Volksaufstände fanden sich vor allem in den Kurmandschi- und Sorani-Gebieten. Die Bewegung war noch nicht bis in die Kelhori-Gebiete vorgedrungen, weshalb es dort auch noch zu keinen Aufständen kam. Allerdings reichte es bereits aus, um die ostkurdische Bevölkerung wieder aufzuwecken.

Danach begann die große Phase der Organisierung. Welche Rolle hat dabei die PJAK gespielt?
In den Gründungsjahren der PJAK [ab 2004] hat die Bevölkerung sich ihr noch nicht wirklich angenähert. Denn die Quelle für die Hoffnungen der Bevölkerung waren Abdullah Öcalan und die PKK. Wegen den Erfahrungen aus der Vergangenheit war die Bevölkerung skeptisch gegenüber der Gründung einer neuen Partei. Nach einer gewissen Zeit hat sie allerdings begriffen, dass diese neue Partei sich nach den Lehren Öcalans und seinem Verständnis von Moral und Kultur richtet. Die Arbeiten der Partei trugen in dieser Hinsicht somit ihre Früchte. Allerdings sollte man auch wissen, dass es im Iran keine Basis für eine legale politische Arbeit gibt. Das System duldet in keinster Weise eine legale politische Arbeit durch zivile Initiativen, geschweige denn Oppositionsarbeit. Das System ist so autoritär, dass es selbst die kleinste Rührung nicht zulässt. Diejenigen, die nicht bedingungslos auf der Seite des Regimes stehen, werden als Systemgegner betrachtet. Und alle Systemgegner gelten zugleich als Gegner Gottes und werden dementsprechend bestraft. Daraus gibt es keinen legalen Ausweg, weil der Staat seine Gesetze entsprechend aufgebaut hat. Kontrolle und Autorität sind einfach allgegenwärtig. Es herrscht eine Atmosphäre, in der der Bürger bei jedem Schritt diese Allgegenwärtigkeit des Staates angstvoll spürt. Damit es überhaupt die Möglichkeit zur Meinungsfreiheit geben kann, muss zunächst diese Atmosphäre aufgebrochen werden. Die Todesstrafe ist heute eine ständige Bedrohung für die iranische Gesellschaft. Jeder „falsche“ Schritt wird als Gegnerschaft zur Iranischen Revolution begriffen und dementsprechend bestraft. Als Kurde hat man bereits automatisch die erste Voraussetzung für die Systemgegnerschaft erfüllt. Wenn man nun noch den Willen der Bevölkerung zu artikulieren versucht, ist es praktisch schon um einen geschehen.
Trotz alledem hat die Bevölkerung im Hinblick auf die PJAK große Hoffnungen. Diese hat aus den Fehlern der früheren Bewegungen gelernt und dadurch zu einem militärischen, politischen und sozialen Wiederauferstehen beigetragen. Ihr Fokus liegt auf dem politischen Bereich. Aber sie beeinflusst die Bevölkerung auch in kultureller Hinsicht. Bei den Frauen und der Jugend spürt man diese Wiederauferstehung stärker. Indiz für diese Wiederauferstehung ist die Tatsache, dass die Bevölkerung die politische Organisierung nicht nur akzeptiert, sondern sie umklammert und vorantreibt.

Inwieweit ist neben der PJAK auch die Selbstorganisierung der Bevölkerung fortgeschritten? Kann die Gesellschaft sich frei organisieren? Wie sieht es mit den Frauen und der Jugend aus?
In Ostkurdistan ist die Situation der Frauen- und der Jugend­organisierung eine andere als in den anderen Teilen Kurdistans. Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir uns die Phase vor der PJAK etwas genauer anschauen. Die Suche nach Freiheit, Demokratie und einem gerechten Leben ist in Ostkurdistan nicht immer auf eine gesunde Art und Weise geführt worden. Das hängt mit der extremen Unterdrückungspolitik des iranischen Regimes zusammen. Die Bevölkerung hat sich aufgrund dessen lange nach dem genauen Gegensatz zu ihren eigenen Lebensumständen gesehnt, den sie in den USA sah. Heute wird im Iran oftmals die US-amerikanische Lebensweise als Vorbild gesehen. Das führt dazu, dass die Suche nach Freiheit sich oft in sehr engen Grenzen bewegt und ihrem wahren Inhalt nicht gerecht wird. So wird die Freiheit der Frau aufgrund des Bedeckungsgesetzes lediglich damit assoziiert, sich freizügig anzuziehen. Also drängt sich eine kapitalistische oder postmoderne Annäherung als das Ziel dieser Suche auf. Es handelt sich somit um nichts anderes als den Versuch einer Imitation, einer Imitation der herrschenden imperialistischen Systeme. Weil das iranische System den Menschen keinen anderen Ausweg bietet, sehen sie das westliche Modell als Pfad zur Freiheit. Obwohl eben diese angebliche Freiheit gleichbedeutend ist mit dem Tod der Moral und somit dem Tod der Gesellschaft.
Unter den kurdischen Frauen hat mit der Entstehung der PJAK eine Bewusstseinsbildung begonnen. Wenn auch anfangs noch recht zögerlich, so haben die Freiheitsbestrebungen der Frauen sich mittlerweile ausgebreitet. Deutlichster Beweis ist die große Anzahl der Frauen, die sich der PJAK anschließen. Es sind vor allem die Frauen und die Jugend, die im System keinerlei Lebensperspektive für sich finden und für die Entfaltung ihres eigenen Lebens lediglich die PJAK als Perspektive sehen. Das ist ihre freie und intuitive Entscheidung. Das Veto der Frau gegen ihre Wahrnehmung innerhalb des Systems lediglich als Objekt im Haushalt äußert sich durch ihre Loslösung aus dem System und ihre Teilnahme an der PJAK. Innerhalb der PJAK erfahren die kurdischen Frauen dann Bildung und werden aufgeklärt.

Wie ist die Situation in der Region nach den heftigen Gefechten zwischen iranischer Armee und PJAK im Juli 2011? Wird die Bevölkerung unter Druck gesetzt? Was sind die politischen und gesellschaftlichen Folgen?
Die letzten Gefechte zwischen dem Iran und den PJAK-Kräften sind nur im Zusammenhang mit der aktuellen politischen Phase zu verstehen. In dieser Phase, in der es in den arabischen Staaten zu Regierungsstürzen und Regimewechseln kam, versuchten die Türkei, der Iran und Syrien mit aller Macht, ihre eigene Opposition zu bekämpfen. Auch gemeinsam und indem sie Bündnisse schlossen. So erhofften sie sich einen schnellen Sieg. Sie schreckten nicht davor zurück, den Familien von Guerillakämpfern falsche Mitteilungen zukommen zu lassen, ihre Kinder seien getötet worden und sie sollten deren Leichname abholen. Psychologische Kriegführung. Und alle Medienorgane haben hier mitgewirkt.
Allerdings hat der Widerstand der PJAK in Kandil und anderswo diese Pläne ins Leere laufen lassen. Die Propagandalügen sind aufgeflogen. Es ist auch klargeworden, dass die PJAK nicht so leicht zu besiegen ist, wie sie es sich erhofft hatten. Nicht nur das wurde klar, sondern auch die Hoffnung des Volkes in die PJAK wurde mit dieser Erkenntnis größer. Gestärkt damit wuchs auch der Widerstandsgeist der Bevölkerung gegen das System. Somit hatte der Iran nicht nur sein Ziel verfehlt, sondern genau das Gegenteil seiner ursprünglichen Absichten bewirkt.
Nach dieser militärischen Niederlage wendete sich die Wut des iranischen Staates gegen die Bevölkerung. Die Menschen, die vom Schmuggel leben, wurden an den Grenzen vermehrt angegriffen. Damit sollten sie wieder eingeschüchtert werden. Allerdings zeigte selbst das keine Wirkung mehr. Denn in einer Atmosphäre, in der es ohnehin tagtäglich Tote gibt, kann ein weiterer Tod die kurdische Bevölkerung nicht weiter einschüchtern.

Möchtest Du zum Abschluss noch etwas anfügen?
Die PJAK-Bewegung organisiert sich im Allgemeinen nach den Lehren und Vorstellungen Abdullah Öcalans. Diese Organisierungsform ist nicht nur für die kurdische Bevölkerung gedacht, sondern sie bietet dem persischen, dem arabischen und allen anderen Völkern des Nahen und Mittleren Ostens eine Perspektive. Sie ist eine Perspektive für alle Völker dieser Welt. Sie ist die Alternative zur herrschenden Staats- und patriarchalen Ordnung.
Das Ziel dieser Organisierungsform ist es, im 21. Jahrhundert die Freiheitssuche der Völker zu einem Erfolg zu führen. Die demokratische Nation wird hierfür als Grundlage genommen. Und die Demokratische Autonomie ist die Organisierung innerhalb der demokratischen Nation.
In vielen Bereichen sind die Erfolge bereits ersichtlich. Denn der Erfolg wird an der Schaffung des freien Menschen gemessen.
Obwohl die Herrschenden dieser Welt ihr gesamtes technisches Reservoir, all ihre militärischen und diplomatischen Mittel einsetzen, können sie diese Bewegung und diese Organisierung nicht in die Knie zwingen. Das Jahr 2011 war ein Jahr der intensiven Gefechte und des intensiven Krieges. Und es wäre nicht falsch zu behaupten, dass die Sieger dessen die Widerstandskraft und der Freiheitswille waren.

Fußnoten:
1) Simko Schikak, 1887–1930, kurdischer Stammesführer aus der Gegend von Urmiya
2) Paramilitärische Miliz als Teil der Revolutionsgarden (Pasdaran)

Kurdistan Report Nr. 160 März/April 2012

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