SOLANGE NOCH ZEIT IST… BEVOR HUNGERSTREIKENDE STERBEN …

erdoganAppell von Akademikern und Intellektuellen zum aktuellen Hungerstreik in den türkischen Gefängnissen

In einer gemeinsamen Erklärung haben mehr als hundert Akademiker, Intellektuelle, Journalisten und Künstler an die AKP-Regierung appelliert, Schritte hinsichtlich einer Lösung bezüglich des Hungerstreiks in der Türkei zu tätigen. Der Hungerstreik wurde am 12. September 2012 von 63 Mitgliedern der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Partei der Freien Frauen Kurdistans (PAJK) initiiert. Nach der Aufnahme des Hungerstreiks durch die erste Gruppe schlossen sich in den folgenden Tagen und Wochen mehr als 1000 weitere politische Gefangene der Aktion an. Unter den Hungerstreikenden befinden sich inhaftierte Abgeordnete, Bürgermeister, JournalistInnen und Anwälte, darunter die Abgeordneten der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) Faysal Sariyildiz und Gülseren Yildirim, der inhaftierte Bürgermeister von Van Bekir Kaya, die Journalisten Fatma Koçak, Tayip Temel und Mehmet Emin Yildirim.

In der gemeinsamen Erklärung heißt es:
„Die Türkei befindet sich an der Schwelle eines Alptraums. Tausende Gefangene befinden sich im Hungerstreik. Wir haben Tage wie diese schon einmal erlebt. Wir haben sie vor 16 (*) Jahren erlebt. Wir haben sie erneut vor 12 Jahren (**) erlebt. Und wir wollen solch eine Scham heute nicht noch einmal erleben.
Die Gefangenen wollen sich vor Gericht in ihrer Muttersprache verteidigen. Damit die – sei es durch den Ministerpräsidenten oder durch andere Regierungsvertreter – begonnenen Verhandlungen mit Imrali (***) mit Frieden beendet werden können, wollen sie, dass die Isolationshaftbedingungen von Abdullah Öcalan aufgehoben werden.
Um ihre Forderungen auf die Tagesordnung zu bringen setzen sie ihr Leben aufs Spiel. Ob wir ihre Methode gutheißen oder nicht ändert nichts an der Tatsache, dass es hier um Menschenleben geht. Das drohende Drama ist offensichtlich: Solange die Regierung den Hungerstreikenden kein Gehör schenkt, nähern sich mehr als tausend junge Menschen Schritt für Schritt ihrem Tod. Angesichts eines solchen Schreckensszenarios darf kein Mensch schweigen.
Vor uns stehen die Feiertage. Aber während die Politik in die Ferien geht, wird das Alltagsleben in den Gefängnissen wie gewohnt weiter gehen. Nach den Feiertagen wird der Hungerstreik seine siebte Woche hinter sich lassen, eine Stufe nach der es vielleicht kein Zurück mehr geben wird. Solange wir noch die Zeit dafür haben, sollten wir zu verhindern versuchen, dass kein weiterer schwarzer Fleck in unsere Geschichte und auf unser Gewissen fällt.
Wir, die unten aufgeführten UnterzeichnerInnen, fordern die Regierung dazu auf, zu allererst den Forderungen Gehör zu schenken, guten Willen zur Lösung zu zeigen und konkrete Schritte einzuleiten.“

Unter den UnterzeichnerInnen befinden sich unter anderem folgende Namen:
Prof. Dr. Ayse Berkman, Prof. Dr. Ayse Erzan, Prof. Dr. Ayse Gözen, Prof. Dr. Ayse Hür (Journalist), Prof. Dr. Betül Tanbay , Prof. Dr. Çigdem Kafesçioglu, Prof. Dr. Erol Katircioglu, Prof. Dr. Fatma Gök, Dr. Ferhat Kentel, Prof. Dr. Gençay Gürsoy, Karin Karakasli (Autorin), Prof. Dr. Mehmet Bekaroglu, Prof. Dr. Melek Göregenli, Prof. Dr. Mesut Yegen, Prof. Dr. Mithat Sancar, Nadire Mater (Journalistin), Prof. Dr. Nazan Üstündag, Prof. Dr. Özgür Sarioglu, Prof. Dr. Rasit Kaya, Prof. Dr. Semih Bilgen, Suavi (Musiker), Sanar Yurdatapan (Musikerin), Prof. Dr. Ufuk Uras, Vedat Türkali (Autor), Vedat Yildirim (Musiker)

Quelle: 22-24.10, Radikal und Firat News Agency – ANF

(*) Gegen eine Neuregelung für die Gefängnisse im Jahr 1996 durch den damaligen Justizminister Mehmet Agar treten in der gesamten Türkei insgesamt 2174 Gefangene in Hungerstreik und 355 in Todesfasten. Erst als zehn Gefangene infolge des Hungerstreiks ihr Leben verlieren, tritt der Justizminister Agar zurück. Sein Nachfolger Sevket Kazan nimmt die Neuregelung seines Vorgängers zurück

(**) Im Dezember 2000 beschließt die damalige türkische Regierung einen großen Hungerstreik in den Gefängnissen der Türkei gewaltsam zu beenden und ermordet bei der Umsetzung der ‚Zurück ins Leben‘-Operation mindestens 30 Gefangene. Der Hungerstreik war zwei Monate zuvor von den Gefangenen aufgrund der Einführung der F-Typ Isolationsgefängnisse für politische Gefangene aufgenommen worden.

(***) Auf der Insel Imrali im Marmarameer ist der kurdische Politiker Abdullah Öcalan seit 1999 inhaftiert.

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