Pressemitteilung vom Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 29.12.2015
Mit einer Teilnahme von 501 Delegierten fand am vergangenen Wochenende der Kongress des DTK (Demokratischer Gesellschaftskongress) in Amed (Diyarbakır) statt. Hauptforderung des Kongresses ist die Beendigung der gewaltsamen Angriffe des türkischen Staates auf die kurdische Zivilbevölkerung im Südosten der Türkei und eine Wiederaufnahme des Friedensprozess zwischen der türkischen AKP-Regierung und der PKK.
Die Angriffe der türkischen Sicherheitskräfte auf die kurdische Zivilbevölkerung haben in den letzten Tagen ein gespenstiges Ausmaß erreicht. Alleine in den Landkreisen Cîzre und Sîlopî sind in den letzten zwei Wochen mindestens 35 Zivilisten getötet worden. Trauriger Höhepunkt dieser Gewaltspirale spiegelt die Tötung des 89-Tage alten Miray dar. Auf dem Schoß seiner Tante sitzend erwischte eine Polizeikugel den Säugling. Eine weiße Flagge hissend machten sich die Großeltern des kleinen Jungen auf den Weg zu einem Krankenwagen. Noch bevor sie den Krankenwagen erreichen konnten, schossen Scharfschützen auf das alte Ehepaar. Eine Kugel traf dabei den 75-Jahre alten Süleyman Inci, der ebenso wie sein 3-Monate alter Enkel den Verletzungen erlag.
Tod des 89-Tage alten Miray kein Einzelfall
Der HDP-Abgeordnete Osman Baydemir ließ indessen vor PressevertreterInnen verlautbaren, dass es sich bei dem Mord des kleinen Miray um keine Ausnahme handelt und dass die AKP seit Monaten einen systematischen Vernichtungskrieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung führt. Nicht nur weil Wege zu Krankenhäusern versperrt blieben, sondern weil sich dort ebenfalls Scharfschützen der türkischen Spezialkommandos verschanzen, erliegen viele Menschen ihren Verletzungen oder werden auf dem Weg zum Krankenhaus ins Visier von Mörsergranaten und Maschinengewehren genommen.
Eilantrag vor den EGMR getragen
Nachdem das türkische Verfassungsgericht einen Eilantrag der stellvertretenden Co-Vorsitzenden der HDP, Meral Danış Beştaş, abgeleht hatte, wurde dieser nun an das Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) getragen. Die Demokratische Partei der Völker beklagt in ihrem Gesuch die gesetzeswidrigen Ausgangssperren, wodurch der Bevölkerung Grundrechte wie Freiheit, Recht auf Leben, Bildung und Reisefreiheit entzogen werden. In dem Antrag bilanzierte die HDP die Anzahl der zivilen Todesopfer seit Verhängung der Ausgangssperren in 18 Kreisstädten auf 122.
DTK: Wiederaufnahme der Friedensgespräche
Unter dem Gesichtspunkt der Geschehnissen in Nordkurdistan tagte der Demokratische Gesellschaftskongress mit der Teilnahme der wichtigen VertreterInnen der kurdischen Politik der Türkei in Amed. Kernforderungen der 14 Punkte umfassenden Abschlussresolution waren sowohl die Anerkennung der Demokratischen Selbstverwaltung in den kurdischen Gebieten, als auch die Wiederaufnahme von Gespräche zwischen der türkischen Regierung und der PKK. „Es ist äußerst wichtig, dass die Dialog- und Verhandlungskanäle erneut beschritten werden, damit wir all unsere Probleme überwinden können. Vor diesem Hintergrund erachten wir es für zwingend notwendig, dass die Freiheit vom kurdischen Volksrepräsentanten Abdullah Öcalan gewährleistet wird. Nur so kann der Verhandlungsprozess stabil und auf Augenhöhe geführt werden.“
KCK: Keine Waffen an die Türkei
Der KCK-Sprecher Zübeyir Aydar fordert indessen die deutsche Bundesregierung dazu auf, den Forderungen der Linkspartei und der Grünen nachzugehen und den Waffenverkauf an die Türkei mit sofortiger Wirkung einzustellen. „Die deutsche Bundesregierung sollte dem Beispiel des niederländischen Parlaments nachgehen und sämtliche Abkommen auf Eis legen [Anmerk. der Red.: Die Niederlande fordert die EU dazu auf, die versprochene Flüchtlingshilfe von 3 Milliarden Euro im Angesicht der Angriffe des türkischen Militärs nicht zu zahlen]. Durch das Schweigen der deutschen Bundesregierung bezüglich der Verbrechen der türkischen AKP-Regierung gegen die Menschlichkeit, wird nicht nur einem Massaker an der kurdischen Zivilbevölkerung lautlos zugestimmt, zeitgleich wird sich die Türkei gestärkt darin fühlen, die Terrormiliz des IS weiterhin uneingeschränkt zu unterstützen.“
Appell an den Bundestag
Songül Karabulut, Exekutivratsmitglied des Kurdistan Nationalkongress (KNK), rief unterdessen dazu auf, Aufklärungsdelegationen aus Europa in die betroffene Gebiete zu entsenden. „Die Politik darf hier nicht wegschauen. Ähnlich wie vor einigen Wochen, als in der Stadt Cizre die erste Ausgangssperre verhängt wurden, müssen die Parlamentarier sämtlicher Fraktionen zusammenkommen und über schnellen Lösungsmöglichkeiten debattieren. Sowohl die deutsche Zivilgesellschaft als auch die Presse muss ihrer Verantwortung, Öffentlichkeit zu schaffen, nachkommen.“