Sipan Hemo über die Situation der Raqqa-Offensive, Civaka Azad, 30.07.2017
Der Oberbefehlshaber der Volksverteidigungseinheiten (YPG), Sipan Hemo hat in einem Interview am 28. Juli mit der Nachrichtenagentur ANF, Fragen bezüglich der letzten Entwicklungen in Rojava und Syrien, insbesondere den anhaltenden Interventionsversuchen der türkischen Armee auf den Kanton Afrîn beantwortet.
Während die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) daran arbeiten, die Kontrolle über das Stadtzentrum von Raqqa zu erlangen, führen sie im Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) einen heldenhaften Widerstand. Auf welcher Ebene befindet sich ihre Beziehung zu den USA und den Koalitionskräften?
Die Bedeutung des Widerstandes gegen den IS-Terror und seine Unterstützer in Rojava und Syrien ist bekannt. Die Raqqa-Operation der SDF dauert weiter erfolgreich an. Während unsere Kämpfer gegen den IS kämpfen, arbeiten sie daran, die Kontrolle über das Stadtzentrum zu erlangen und die Zivilisten zu befreien. In diesem Rahmen wurden acht strategische Stadtteile aus den Fängen des IS befreit. Die Raqqa-Operation führen wir gemeinsam mit den Koalitionskräften. Auch einige Vertreter der internationalen Presse verfolgen die Operation. Es ist von gleicher Bedeutung wie der Operation in Mosul. Das Hauptziel ist den IS-Terror so schnell wie möglich zu beenden. In diesem Sinne wird die SDF von den Koalitionskräften unterstützt um diesen Terror zu beenden. Die Militäroperationen koordinieren wir gemeinsam.
An der Offensive auf Raqqa nahm das syrische Regime nicht teil. Ist dies das Ergebnis der Absprachen mit Russland und dem Regime?
Die SDF führt einen langfristigen Widerstandskampf, um zusammen mit den USA und den Koalitionskräften Raqqa vom IS zu befreien. Nach der Befreiung von Tabqa haben die Koalitionskräften und die SDF eine gemeinsame Entscheidung zur Befreiung Raqqas getroffen und die Offensive auf Raqqa bekannt gegeben. Von Anfang an gab es nicht die Situation, dass Russland sich an der Operation beteiligt. Die Pläne und das Programm für die Offensive auf Raqqa bereiten unsere Kräfte vor. Es gibt kein Bündnis, das wir mit dem Regime geschlossen haben. Weder die Kräfte des Regimes, noch andere Kräfte haben etwas mit der Offensive auf Raqqa zu tun. Während mit dem Widerstands- und Aufopferungsgeist der SDF die Militäroperation weiter anhält, kam es an manchen Orten im Umkreis von Raqqa und Tabqa zu Spannungen mit den Regimekräften. Damit diese Spannungen nicht in einem großen Krieg ausarteten, haben wir Treffen mit ihnen abgehalten. Es wurde koordiniert und geplant welche Orte die Koalitionskräfte, Russland und die Regimekräfte kontrollieren. Im Fall von Raqqa informieren sich die Kräfte wie USA und Russland gegenseitig. Während die USA mit der SDF gemeinsam handelt, plant und agiert Russland mit dem Regimekräften. Es wurde darüber diskutiert, welche Gebiete die regionalen Kräfte kontrollieren sollen. Die Regimekräfte agierten jedoch nicht nach dem Plan und dem Programm. Stattdessen bombardierten sie SDF-Stellungen. Darauf antwortete die USA und schoss eines ihrer Kampfflugzeuge ab.
Der türkische Staat setzt seine Besetzungspläne in der Region Afrîn und Şehba weiter fort. Ist dies nicht eine Bedrohung und zugleich eine Gefahr für die YPG-Kräfte? Warum möchte der türkische Staat die Raqqa-Offensive verhindern? Wie bewerten Sie andererseits die Haltung Russlands zu den Besatzungsplänen der Türkei?
Was der türkische Staat in Nordsyrien vorhat, ist kein Geheimnis und liegt auf der Hand. Er versucht, seine Invasionspläne und -szenarien fortzusetzen. Um die Invasion der Türkei zu verhindern und aufzuhalten, hält unser Widerstand weiter an. Unser Widerstand breitet sich weiter aus. Russland bewegt sich kontinuierlich entsprechend eigener Interessen in der Region. Seine Annährung basiert auf dieser Grundlage. Seine politischen und diplomatischen Bemühungen versucht er stets im Vordergrund zu halten. Einerseits akzeptiert er nicht und andererseits versucht er Beziehung herzustellen. Er hält Beziehung zum türkischen Staat aufrecht und zeitgleich signalisiert er ihm „Ihr dürft syrisches Territorium nicht betreten“. Seit 2011 bis heute hat Russland versucht mit Hilfe des türkischen Staates den Umkreis von Damaskus, Daraa, Homs und Aleppo unter Kontrolle zu bringen. Das verschaffte den syrischen Regimekräften eine Atempause. Die Beziehungen Russlands mit dem türkischen Staat ändern sich entsprechend taktischer Errungenschaften. Als SDF finden wir diese Haltung Russlands nicht richtig. Russland verfolgt eine Interessenspolitik gegen die Errungenschaften unser Gesellschaften und gegen die syrische Revolution.
Von welchem Szenario in Nordsyrien träumt die Türkei? Wie wird der Widerstand der YPG/YPJ-Kräfte gegen die Besatzung durch die Türkei aussehen?
Seit Anbeginn der Revolution in Rojava hat der türkische Staat daran gearbeitet, seine Politik der Verleugnung und Besatzung unserer Gesellschaft aufzuzwingen. Sie kalkuliert über Projekte, wie sie die Rojava-Revolution zerschlagen kann. Dies sind sehr gefährliche Projekte. Die Kräfte von Rojava und Nordsyrien haben diese Gefahr im Blick. Sie wollen nämlich unsere Bevölkerung massakrieren. Unsere Kräfte sind gegen ihre Pläne vorbereitet. Während der türkische Staat versucht mit FSA-Gruppen seine Pläne in Afrîn und Şehba umzusetzen, lassen die PYG und die revolutionären Kräfte diese Angriffe ins Leere laufen. Die Angriffe in Eyn Deqna waren Teil eines großen Plans. Sie wollten die Region Afrîn und Şehba kontrollieren. Unsere Kräfte haben die notwenige Antwort gegeben. Der türkische Staat hat direkte Verluste erlitten. Sie erleiden zusammen mit ihren FSA-Gruppen in Afrîn und Şehba jeden Tag Verluste. Das hängt mit dem historischen Widerstand und der Entschlossenheit unserer Kräfte zusammen. Wir werden in der kommenden Phase jede unserer besetzten Städte befreien. Zu diesem Thema haben wir auch den Koalitionskräften einige Themen mitgeteilt. Bei anhaltenden Angriffen auf Afrîn, kann die Raqqa-Operation nicht weitergeführt werden. Die grundlegende Verteidigungskraft der Şehba-Region die Ceyş El-Siwar (Revolutionäre Kräfte) kämpft zurzeit in Raqqa. Sie haben dieses Thema auch zur Sprache gebracht. Sie haben erklärt, dass bei anhaltenden Angriffen auf ihre Gebiete ihr Kampf in Raqqa keinen Sinn macht. Wir agieren auch auf dieser Grundlage.