Jean Ziegler im Gespräch mit Serkan Demirel von der Nachrichtenagentur Firatnews, 13.11.2017
Der Freund des lateinamerikanischen Revolutionärs Ernesto „Che“ Guevara, Vize-Präsident des Beirats des UN-Menschenrechtsrats, früherer UN Spezialbeauftragter in Fragen des Rechts auf Essen, Soziologe sowie Autor Jean Ziegler bewertete in einem Gespräch mit Firatnews die Entwicklungen in der Türkei und in Kurdistan.
„Was gerade in Nordkurdistan geschieht ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“
Ziegler sprach über den UN im März veröffentlichten UN-Bericht zur Lage in den nordkurdischen Provinzen und sagte: „Der türkische Staat hat in den Provinzen Nordkurdistans grausame Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit haben ein solches Ausmaß erreicht, dass die Türkei vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht werden sollte. Der UN-Sicherheitsrat sollte die Tatbestände in den Provinzen Nordkurdistans bearbeiten und diese schließlich an den Internationalen Strafgerichtshof weiterleiten“, erklärte Jean Ziegler und fuhr fort: „Es wurden bis jetzt keine Maßnahmen eingeleitet. Das heißt aber noch lange nicht, dass es keine geben wird. Was in diesem Prozess wichtig ist, ist es öffentlichen Druck zu erzeugen. Europa ist die gesamte Zeit stumm geblieben und wurde dadurch zum Komplizen dieses Verbrechens. Städte wurden zerstört, hunderte Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, wurden getötet und ganz offen wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit ausgeübt. Es kann keine Rechtfertigung für diese Geschehnisse geben.“
Ziegler sagte, dass die UN eine wichtige Rolle dabei spielen könnten Erdoğan und die türkischen Verantwortlichen vor dem Internationalen Strafgerichtshof anzuklagen und fuhr fort: „Zunächst sollte der UN-Sicherheitsrat die Akten an den Internationalen Strafgerichtshof senden, sodass diese einen Fall wegen Verbrechen an der Menschlichkeit eröffnen können. Zudem sollte der UN-Menschenrechtsrat einen Spezialbeauftragten für die Türkei ernennen, der untersuchen kann, was geschah. Hier muss man ganz klar sagen, dass es durchaus möglich ist Erdoğan den Prozess am Internationalen Gerichtshof zu machen.“
„Öcalan sollte frei sein“
Jean Ziegler sprach auch über die Praktiken, die der türkische Staat gegenüber der Repräsentationsfigur der kurdischen Gesellschaft, Abdullah Öcalan ausübt und betonte, dass diese Praktiken ganz klare Verletzungen des Menschenrechts sind. Jean Ziegler sagte: „Öcalans Inhaftierung und die Praktiken, die gegen ihn ausgeführt werden, können nicht gerechtfertigt werden. Das sind vollkommen willkürliche Handlungen. Die UN-Arbeitsgruppe, die sich mit willkürlicher Verhaftung beschäftigt, kann eine Untersuchung von Öcalans Situation verlangen und als Konsequenz dieser Bemühungen eine Rolle in der Versicherung der Freiheit Öcalans spielen.“
„Faschistisch und totalitär“
Ziegler definierte das Erdogan-Regim faschistisch und totalitär: „Die Identität der Kurden und ihr Recht auf Autonomie sollten anerkannt werden, Verhandlungen mit der PKK sollten möglichst bald beginnen und Öcalan sollte befreit werden, wobei diejenigen, die für die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kurdistan verantwortlich gemacht werden können, entlarvt und vor Gericht gebracht werden sollten.“
„Das Verbot der PKK ist die Verleugnung eines ganzen Volkes“
Jean Ziegler kritisierte besonders die Auflistung der PKK auf der Terrorliste der EU und stellte fest, dass es inakzeptabel sei die Organisation, die den IS am erfolgreichsten bekämpfte, als „terroristisch“ zu bezeichnen. Ziegler nannte die Herangehensweise Deutschlands gegenüber der PKK als unsinnig und führte an: „Die PKK, ihre Flaggen und ihre Banner zu verbieten, das ist die Verleugnung eines ganzen Volkes. Die Türkei ist das was isoliert werden müsste. Ich glaube Europa sollte sowohl ein diplomatisches als auch ein wirtschaftliches Embargo gegen die Türkei aufbauen. Dieses Embargo könnte so lang gehalten werden, bis sie den Frieden mit den Kurden akzeptieren.“
„Die PKK ist eine legitime Freiheitsbewegung“
Ziegler stellte zudem fest, dass die PKK eine Freiheits- und Emanzipationsbewegung ähnlich wie Nelson Mandelas Afrikanischer Nationalkongress (ANC) sei: „Die PKK ist eine nationale Bewegung der Emanzipation und der Freiheit. Die PKK ist eine legitime Widerstandsbewegung, die sich gegen Faschismus und Tyrannei stellt, wie es einst der französische Widerstand gegen die Nazis tat. Ich sage hier ganz deutlich, dass die PKK eine lobenswerte Freiheits- und Emanzipationsbewegung ist, die es verdient von allen Seiten unterstützt zu werden.“