Imrali-Delegation: Wir sind hoffnungsvoller als gestern
Die Imrali-Delegation der DEM-Partei hat sich am 10. April mit dem türkischen Staatspräsidenten und AKP-Vorsitzenden Recep Tayyip Erdoğan getroffen. Nach dem Treffen gab die Delegation einer schriftliche Erklärung ab, in der sie sich wie folgt äußerte: „Unser Treffen mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seiner Delegation fand in einer äußerst positiven, konstruktiven und produktiven Atmosphäre statt, die voller Hoffnung für die Zukunft war.
Die Bedeutung der gegenwärtigen Phase des Prozesses wurde bekräftigt, und die nächsten Schritte wurden gemeinsam bewertet. Es wurde betont, dass eine gewalt- und konfliktfreie Zeit, in der die demokratischen und politischen Räume gestärkt werden, von entscheidender Bedeutung für unser Land, unsere Bürger:innen und unsere Region sind.
Unsere Delegation und unsere Partei werden ihre Bemühungen mit noch größerer Entschlossenheit und Sorgfalt fortsetzen, um den Aufruf zu Frieden und einer demokratischen Gesellschaft in der kommenden Zeit zu verwirklichen. Heute ist es uns eine Ehre, der ganzen Nation mitzuteilen, dass wir hoffnungsvoller sind als gestern.
Wir danken allen politischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen, die mit ihren Vorschlägen, Warnungen oder Kritiken zu diesem Prozess beigetragen haben.“
Die Delegation hatte seit dem ersten Besuch bei Öcalan Ende Dezember 2024, eine Vielzahl an Gespräche mit sämtlichen Parteien sowie der Zivilgesellschaft geführt. Mit der höchsten Ebene des türkischen Staates gab es aber bisher keinen Dialog. Jetzt gibt es Hoffnung, dass die Schritte zu einem Friedensprozess von Seiten der Türkei erwidert werden. In der kommenden Woche wird die Delegation außerdem ein Gespräch mit dem Justizministerium führen, um über die rechtlichen Grundlagen für einen möglichen Friedensprozess mit Abdullah Öcalan zu beraten.
Seit dem Aufruf Öcalans für Frieden und eine demokratische Gesellschaft hatte die türkische Seite die Angriffe auf die Gebiete Rojavas und der PKK fortgeführt. So berichtete das Pressezentrum der Volksverteidigungskräfte (HPG) von Angriffen mit den verbotenen Waffen, darunter Phosphor.
In der Türkei selbst verstärkte der Staat zugleich die Repression: Neben der Festnahme des Präsidentschaftskandidaten der CHP, Imamoğlu, gab es allein in den letzten drei Monaten über 14 tausend Festnahmen.
Über die Absetzung Imamoğlus gibt es erste Gespräche mit deutschen Politiker:innen, die sich für den abgesetzten Bürgermeister einsetzen. So reiste eine Delegation von Bündnis 90/die Grünen gemeinsam mit der Kölner Oberbürgermeisterin nach Istanbul, um über die Absetzung des CHP-Politikers und eine Demokratisierung der Türkei zu sprechen. Die Proteste gegen die Inhaftierung gehen indes weiter, wenn auch nicht mehr in dem Ausmaß, wie direkt nach Imamoğlus Verhaftung.
Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens definiert rote Linien
Die Ko-Vorsitzende des Außenkomitees der Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien, Ilham Ehmed, hat zentrale Bedingungen für Gespräche mit der selbsternannten Übergangsregierung Syriens dargelegt.
Neben der Kritik an dem laufenden Prozess zur Erarbeitung einer Verfassung, ging es um den Fokus der in den kommenden Gesprächen mit der islamistisch geprägten Übergangsregierung gesetzt werden soll.
Als nicht verhandelbar nannte Ehmed kulturelle und sprachliche Rechte aller Bevölkerungsgruppen, Religionsfreiheit und das Recht auf Bildung in der Muttersprache. Bisher gebe es nur wenig Diversität in der Regierung und der Verfassungskommission, die diese Punkte sicherstellen. Syrien selber sei durch eine Vielfalt an Bevölkerungsgruppen geprägt.
Viele befürchten, dass die von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) dominierte Zentralregierung versuchen könnte, die Übergangszeit zu nutzen, um ein zentralistisch-autoritäres Regierungsmodell zu etablieren. Dagegen fordert die Demokratische Selbstverwaltung ein gerechtes, inklusives Regierungssystem, jenseits von Nationalismus und Sektierertum.
Voraussetzung für eine Vereinbarung, die die Interessen der gesamten Bevölkerung Syriens berücksichtigt, sei ein offener Dialog über Themen wie die künftige Verfassung, Verwaltungsstrukturen und politische Rechte.
Protestaktion gegen Gefangenschaft von verletzten YBŞ-Kämpfern
Wie wir bereits berichteten, wurden in einer Militäroperation der irakischen Armee am 18. März im Şengal, dem Siedlungsgebiet der Êzîd:innen, fünf Kämpfer der YBŞ verletzt und anschließend verschleppt. Die YBŞ sind die Selbstverteidigungseinheiten Şengals. Sie wurden im Zuge des Genozids und Femizids durch den sogenannten IS vor fast 11 Jahren gegründet. Damals zogen sich sowohl das irakische Militär wie auch die Peshmerga der KDP zurück, bevor es zu Auseinandersetzungen mit den IS-Kräften kommen konnte und lieferte die êzîdische Bevölkerung den Dschihadisten quasi schutzlos aus. Es waren Kämpfer:innen der PKK, die zu ihrer Unterstützung anrückten und einen ersten Fluchtkorridor erkämpften. Zurückgedrängt wurde der IS dann auch durch die Selbstverteidigungskräfte Nord- und Ostsyriens YPJ und YPG.
Seit der Befreiung vom selbsternannten Islamischen Staat organisieren sich die Êzîd:innen nach dem Vorbild der Demokratischen Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens selbst. Sie haben in den letzten 10 Jahren eine eigene Rätestruktur mit verschiedenen Komitees aufgebaut, in denen sich die Bevölkerung organisiert und ihre Anliegen bespricht. Auch die YBŞ-Kräfte sind Teil der Selbstverwaltung.
Die am 18. März verwundeten YBŞ-Kämpfer sind nun seit nahezu einem Monat in Gefangenschaft. Bisher gibt es keine Information über ihren Gesundheitszustand oder Aufenthaltsort. Aus Protest haben sich deshalb Familien der verschleppten Kämpfer zu einem „Sit-In“ zusammengefunden, der solange fortgeführt werden soll, bis die Gefangenen wieder frei sind.
Dreitägige Operation im Roj-Camp
Die Frauen-Sicherheitskräfte der Autonomen Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien haben eine dreitägige Operation im Roj-Camp durchgeführt. Das Roj-Camp umfasst 2600 Bewohner:innen aus fast 740 Familien, die Teil des IS waren. Im Zuge der Operation wurden 16 Mitglieder aktiver IS-Zellen festgenommen. Diese hatten Kontakt mit anderen IS-Zellen außerhalb des Camps, um Familien zu rekrutieren und aus dem Camp zu schmuggeln. Die Einheiten der YPJ und der Frauensicherheitskräfte endeckten auch einen Tunnel, der zu diesem Zweck gegraben worden war. Weiterhin fanden die Einheiten Propagandamaterial des IS sowie Ausrüstung um Kindern den Gebrauch von Waffen beizubringen.
Die Gefahr, die weiterhin von Zellen des IS ausgeht, zeigt sich u.a. darin, dass es allein im März insgesamt 15 Angriffe durch Schläferzellen gab, bei denen zwei Mitglieder der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) und ein Zivilist getötet wurden. Im Februar waren es sieben. Bei Einsätzen der internen Sicherheitskräfte der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens konnten bereits im März 17 IS-Mitglieder gefangen genommen werden, darunter sieben hochrangige Mitglieder.
Es besteht die Gefahr, dass die Situation in Syrien den IS wieder erstarken lässt. Unter der neuen Übergangsregierung, die von der islamistischen HTS geführt wird, könnte es für den IS einfacher sein, seine Ideologie zu verbreiten. Damit einhergehend ist zu befürchten, dass es mehr Rekrutierungs- und Finanzierungsmöglichkeiten für den IS gibt, wie der Sicherheitsanalyst Jeremy Hodge im Small Wars Journal schreibt. Dies könne auch zu einer erhöhten IS-Aktivität in anderen Regionen der Welt führen.
Auch bis zu hundert deutsche IS-Kämpfer bzw. deren Familienangehörige befinden sich in den Camps Al-Hol und Roj der Demokratischen Selbstverwaltung. Der deutsche Staat führt aktuell jedoch keine weiteren Rückführungen durch und stellte erst 2023 ein Programm zur Unterstützung des Al-Hol Camps ein. Die Demokratische Selbstverwaltung spricht von den Camps als eine „tickenden Zeitbombe“, da ständig die Gefahr von Ausbrüchen und verstärkten Angriffen drohe.
Vereinzelten IS-Kämpfern wird in Deutschland der Prozess gemacht. Am 19. Mai startet in diesem Zusammenhang ein Prozess in München gegen zwei IS-Mitglieder. Sie sind unter anderem wegen der Versklavung zweier êzîdischer Mädchen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen angeklagt. Insgesamt sind 44 Verhandlungstage angesetzt.
Kommende Prozesstermine gegen kurdische Aktivist:innen
Aktuell finden drei Prozesse gegen Kurd:innen wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft statt. Gegen den 70-jährigen Emin Bayman und den 68-jährigen Mehmet Ali Yilmaz wird in Stuttgart verhandelt. Der Prozess gegen Selahattin Kaya findet in Düsseldorf statt. Die Termine der nächsten Verhandlungstage und weitere Infos findet ihr in der aktuellen Ausgabe des Azadi-Infodienstes.
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