“Die Aufhebung des PKK Verbots kann eine Wende in der kurdischen Politik Deutschlands darstellen”

pkkdemoOffener Brief von verschiedenen kurdischen Organisationen an die Bundeskanzlerin Angela Merkel, Oktober 2014

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

mit großer Freude und Dank haben wir die sofortigen Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung für die kurdische Region im Irak aufgenommen. In dieser für unser Volk schwierigen Zeit war Ihr Beistand von immenser Bedeutung. Ferner haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, als Erste die Gräueltaten als Völkermord bezeichnet. Diese offensive Haltung begrüßen wir ausdrücklich. Als  zivilgesellschaftliche kurdische Organisationen in Deutschland sehen wir uns dadurch hinsichtlich unserer legitimen Forderungen gestärkt. Zudem ist diese Haltung auch für die Zukunft entscheidend, wenn es um den Transfer des Völkermordes auf die internationale Agenda der Politik und Justiz geht.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

selbstverständlich bedarf ein dauerhafter Frieden in Kurdistan zunächst eines nationalen politischen Konsens unter den führenden kurdischen Kräften. Aufgrund der schmerzlichen Erfahrung in Sinjar haben führende kurdische Parteien in der Verteidigung um Maxmur gemeinsam agiert, welches den nationalen Widerstandswillen unseres Volkes gestärkt und zugleich den IS eingeschüchtert hat. Wir sind um den Ausbau dieser nationalen Konsenspolitik weiterhin bemüht.

International allerdings wird es umso wichtiger sein, Staaten, die den IS unterstützen, mit politischen und diplomatischen Maßnahmen entgegenzuwirken.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

mit großer Aufmerksamkeit haben wir die Debatten des jüngsten NATO Gipfels bezüglich einer Intervention in Syrien verfolgt. Die Erfahrungen seit 2011 haben zwei wesentliche Unterschiede aufgezeigt. Das eine war die rege Unterstützung der syrisch-arabischen Opposition durch die USA und einige Staaten der EU. Ferner wurden zwei breitangelegte Syrien Konferenzen in Genf abgehalten. Obwohl diese Bemühungen auf eine politische Lösung abzielten, haben sie das erhoffte Resultat nicht in gewünschtem Ausmaß erbringen können. Die Krise sowie das Chaos und damit die Destabilisierung in diesen Ländern dauern mit weitgehenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen an. Es geht vielmehr um die Entwicklung politischer und gesellschaftlicher Alternativen als Transformationsprozess zu einer tatsächlichen Demokratie. Die diesbezügliche kritische Haltung der Kurden in Syrien war eine Präventivmaßnahme. Die Kurden in Rojava (Nordsyrien) haben gemeinsam mit den Christen (Assyrern), Arabern und Tschetschenen ein demokratisches Modell, genannt demokratische Autonomie in Rojava, entwickelt, welches politisch und gesellschaftlich auf „Einheit der Vielfalt“ beruht. Die verschiedenen ethnischen und religiösen Gemeinschaften verfügen jeweils über lokale Autonomien, die in den oberen Entscheidungsgremien der kantonalen Verwaltungen zusammengetragen werden. Hier geht es um ein Modell, dass in ganz Syrien umgesetzt werden kann. Rojava versteht sich dabei als Teil eines zukünftigen demokratischen Syriens.  Vom multiethnischen und –religösen Aspekt Syriens aus betrachtet ist das in Rojava praktizierte Modell essentiell und zukunftsversprechend. Doch leider wurden die Menschen in  Rojava zur Zielscheibe des Terrorismus der Dschihadisten, wobei sie stets den permanenten Angriffen des IS (in der Vergangenheit der El Nusra) standhielten. Sie mussten für ihre Existenz zunächst selbständig ohne jegliche internationale Unterstützung kämpfen. Dabei erachten wir die internationale Anerkennung von Rojava unerlässlich und wegweisend für ein zukünftiges demokratisches Syriens. Wir glauben, dass dies auch im Sinne der Bundesregierung ist.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

die politische Lösung der kurdischen Frage bedarf jenseits von humanitärer und militärischer auch einer politischen Unterstützung. Dies ist allerdings unter Beibehaltung der bisherigen Politik hinsichtlich der kurdischen Frage nicht möglich. Es ist wichtig, dass ein führendes Land wie die Bundesrepublik auch hier einen politischen Kurswechsel vornimmt. Weniger förderlich ist es,  die Rechte der Kurden als einen sekundären Part innerhalb der bilateralen Beziehungen zur Türkei, dem Iran und Irak zu sehen und diesen Staaten, so zumindest die Strategie des 21. Jahrhunderts der europäischen / westlichen Staaten, Priorität zu gewähren. Die historisch-strategischen Beziehungen der Bundesrepublik zur Türkei haben die Lösung der kurdischen Frage im Sinne der Interessen der Türkei stark beeinträchtigt. Doch es hat sich sehr viel im türkisch-kurdischen Konflikt verändert.  Den 25 Millionen Kurden in der Türkei ist es gelungen, sich der Negierungspolitik der Türkei zu entziehen. Seit fast zwei Jahren nun befindet sich eine türkische staatliche Delegation in einem Dialog mit dem Vorsitzenden der PKK, Herrn Abdullah Öcalan. Dies ist sehr zu begrüßen und zu unterstützen.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

Die politische Konstellation von 1993 hat sich radikal verändert. Weder die Kurden noch die Türkei sind auf dem Stand von 1993, das Jahr in dem die PKK in Deutschland mit der Begründung der bilateralen Beziehungen zur Türkei verboten wurde. Die Argumente der damaligen Verbotsverfügung sind durch die Entwicklungen längst überholt. Entsprechende Debatten werden in der letzten Zeit in Deutschland geführt. Wir meinen,  dass die Bundesregierung diesen Stimmen Gehör schenken sollte. Während durch humanitäre und militärische Hilfeleistungen an Kurden Ihrerseits öffentlich Stellung bezogen wird, wird dies allerdings durch Festnahmen von kurdischen Politikern, mit der Begründung des PKK Verbots, erneut überschattet.

Wir meinen, dass diese Politik einer grundlegenden Änderung bedarf, und sind der Auffassung, dass die Aufhebung des PKK Verbots eine Wende in der kurdischen Politik Deutschlands darstellen wird.

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

Wir glauben, dass die Bundesrepublik im Hinblick auf die politischen Schritte für Frieden in Kurdistan positive Resonanz erhalten wird. Historisch gesehen wissen wir, dass die deutsche Mitbeteiligung  an der schmerzhaften Erfahrung der Teilung Kurdistans per Sykes-Picot oder dem Vertrag von Lausanne äußerst gering war. Diese Verträge haben unsere Existenz als Problem manifestiert. Die Bundesrepublik kann daher heute mit der Überwindung der Strategie von Lausanne, d.h. der Teile und Herrsche- Politik, durch eine neue Strategie, welche die Kurden als Volk mit allen entsprechenden Rechten anerkennt, beginnen. Auf nationaler Eben wird Deutschland die Unterstützung der Kurden haben, da die Kurden politisch und gesellschaftlich gesehen de facto die Absichten des Lausanner Vertrages durch eigenständige Organisierung bereits zum größten Teil überwunden haben.

In diesem Sinne möchten wir uns nochmals für das Engagement sowohl von Ihnen als auch von der Bundesregierung herzlichst bedanken und hoffen auf ein gemeinsames Vorgehen im Kampf gegen Kräfte und Strukturen, die Völkermorde begehen.

1. KNK (Kurdistan National Kongress)
2. NAV-DEM (Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V.)
3. PDK (Demokratische Partei Kurdistans)
4. PUK (Patriotische Union Kurdistans)
5. GORRAN (Bewegung für Wandel)
6. PYD (Partei der Demokratischen Union)
7. PCK (Sozialistische Partei Kurdistans)
8. PDK-I (Demokratische Partei Kurdistans – Iran)
9. PJAK (Partei für ein Freies Leben in Kurdistan)
10. KSDP (Sozialistische Demokratische Partei Kurdistan)
11. PIK (Islamische Partei Kurdistans)
12. KKP (Kommunistische Partei Kurdistan)
13. Auslandsvertretung der Kurdistan KOMALA Partei
14. AKEE (Association Kurdish Employers in Europe e.V.)
15. FEDA (Föderation der demokratischen Alewiten e.V.)
16. FCIK (Föderation Islamische Gesellschaft aus Kurdistan e.V.)
17. FKE (Föderation der Êzidischen Vereine e.V.)
18. GEA (Gesellschaft Êzidische Akademiker/-innen e.V.)
19. KURD-AKAD (Netzwerk kurdischer AkademikerInnen e.V.)
20. YXK (Verband der Studierenden aus Kurdistan e.V.)
21. UNA-KURD (Kurdische Gesellschaft für die Vereinten Nationen)
22. Ceni – Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.
23. Kurdistan Menschenrechtsverein
24. Zagros Plattform, Köln
25. Kurdische Gemeinde Stuttgart e.V.
26. Deutsch – Kurdischer Verein e.V.
27. Verein zur Verteidigung der politischen Gefangenen im Iran, Köln e.V.
28. Kurdische Gemeinde zu Berlin –Brandenburg e.V.
29. KOMAW – Verein für die Familienangehörige der Opfer und Verschwundenen e.V.
30. Kurdisches Zentrum e.V.
31. Awadani e.V.
32. Dest- Dan e.V.
33. Rojava, Verein der Kurden aus West Kurdistans in Berlin e.V.
34. Bun e.V.
35. Berliner Frauenzentrum SOZIK e.V.
36. Gesellschaft für Dersim Wiederaufbau e.V.
37. Gesellschaft gegen Genozid in Dersim 1937 – 1938 e.V.
38. Kurmes e.V.
39. Kurdistan Volkshaus e.V Hamburg und Berlin

 

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