Die beste Antwort auf die Zerstörung in Gever

gever-direnis-yikim2Özgür Aydin für Firatnews, 05.06.2015

Die Bevölkerung von Gever (Yüksekova) hatte für sich die Entscheidung gefällt, dass sie fortan über sich selbst bestimmen möchte. Sie musste ganze 78 Tage lang hierfür einen harten Preis zahlen. Denn 78 Tage lang haben die Kräfte des Staates, die diese Entscheidung der Bevölkerung nicht zu akzeptieren gewillt waren, eine Ausgangssperre über den Gever verhängt und in dieser Zeit die Stadt in großen Teilen zerstört und niedergebrannt.

Wir fahren nach Ende der Ausgangssperre in die Stadt. Die Fahrt erweist sich als die reinste Qual. Nach rund zwei Stunden Aufenthalt im Stau vor der Stadt wird unser Fahrzeug von den Sicherheitskräften genauestens durchsucht und unsere Einreise registriert, was den Stau erklärt.

Sobald wir im Stadtzentrum ankommen, fällt uns das Ausmaß der Zerstörung sofort ins Auge. Wir sehen zerstörte Wohnungen und Häuser und niedergebrannte Arbeitsstätten soweit das Auge reicht. Aber uns fällt außerdem auf, dass das Stadtzentrum belebt ist. Überall sind Menschen, welche die Überreste der Verwüstungen aufräumen und ihre Läden und Geschäfte wieder in Gang setzen.

Gever besteht aus neun Vierteln. Zwei dieser Viertel sind völlig zerstört. Vier weitere Viertel weisen erhebliche Schäden auf. Selbst das Viertel Esentepe, in welchem keinerlei Barrikaden oder ähnliches errichtet wurde, ist völlig verwüstet.

In der gesamten Stadt weisen rund 10.000 Wohnungen und Geschäften Schäden auf, davon sind 6.000 in einem erheblichen Maße beschädigt worden. Viele Menschen können in ihren Wohnungen derzeit nicht mehr leben und sind deshalb in Zelten untergebracht.

Auch in Gever findet man, wie in den anderen Orten der Ausgangssperren, überall Wandschmierereien mit rassistischen und sexistischen Parolen. Im Stadtzentrum wurden viele der Schmierereien bereits übermalt, doch in den Seitenstraßen sind sie noch zu sehen.

Viele Wohnungen befinden sich im geplünderten Zustand. Vom Fernseher, über die Klimaanlagen bis hin zum Kühlschrank und der Waschmaschine wurden viele Haushaltsgeräte einfach mitgenommen.

Und selbst wenn die Ausgangssperre über Gever offiziell für beendet erklärt worden ist, hört man auf den Straßen weiterhin die Geräusche von Schüssen und Sprengfallen. Die Aufräumarbeiten finden parallel hierzu statt. Und die Bevölkerung der Stadt beklagt, dass man sie aus ihrer Heimat zur Flucht zwingen möchte und niemand hiergegen an ihrer Seite steht.

Die Aufräumarbeiten in der Stadt laufen trotz alledem. Die Mezopotamya Rechtsanwaltskammer hat eine Zweigstelle in der Stadt eröffnet, um die Opfer der Zerstörung rechtlich zu beraten. Die Architekten- und Ingenieurskammer ist unterdessen damit beschäftigt, die Schäden zu dokumentieren.
Die humanitäre Hilfe für die Notleidenden in der Stadt leistet der Rojava Solidaritätsverein. Doch diesen Hilfen decken nur einen Bruchteil des Bedarfs. Es scheint, dass die Bevölkerung mit ihrem Elend allein gelassen werden soll. Im besten Fall, so kalkuliert wohl die Regierung, sollen sie dadurch zur Emigration gezwungen werden.

Wir treffen im Cumhurriyet Viertel Ahmet Aslan, der uns schildert, dass seine Wohnung erst nach dem Ende der Auseinandersetzungen mutwillig zerstört worden ist. Aslan fährt wie folgt fort: „Auf den Bildern habe ich es gesehen. Unsere Wohnung war noch ganz. Erst im Nachhinein wurde das Gebäude zerstört. In den Ruinen ist unser Fernseher nicht zu finden. Die übrige Einrichtung wurde offenbar mit Benzin übergossen und niedergebrannt. Welcher Mensch tut so etwas? Das scheint wie ein Albtraum. Ich habe durch jahrelange mühselige Arbeit diese Wohnung eingerichtet. Ich weiß nicht, mit welchem Geld ich eine neue Wohnung aufbauen und einrichten soll?“

Auch Ali Koç, den wir im Viertel treffen, ist davon überzeugt, dass Zerstörung geplant und systematisch vonstattengegangen sein muss. „Sie wollen, dass wir aus Gever verschwinden“, erzählt er und fährt wie folgt fort: „Gever ist ein Ort, der sich nie vor dem Staat niedergekniet hat. Deswegen sollten wir nun bestraft werden. Die gesamte Zerstörung wurde in dieser Weise geplant. Man wollte uns den Lebensraum genommen. Aber wir werden alle gemeinsam die Stadt von Neuem aufbauen. Das wird die beste Antwort auf ihre Zerstörung sein.“