Über die sich ändernden Kräfteverhältnisse in Iran und Ostkurdistan
Adem Uzun, 06.06.2014
Das Staatssystem des Iran wird von seinen eigenen Volksgruppen, insbesondere den hier lebenden Kurdinnen und Kurden infrage gestellt, ebenso werden die Konzepte der kapitalistischen Moderne als ein überholtes Modell wahrgenommen. Der Iran, mit seiner langen Geschichte und Staatstradition, wurde im 20. Jh. von westlichen Staaten entsprechend ihren Interessen politisch umstrukturiert. Das seitdem geschaffene Gefüge mit dem Westen ist mit der islamischen Revolution von 1979 ein wenig ins Wanken geraten. Die Beziehungen und Dialoge der neuen Islamischen Republik mit westlichen Staaten, allen voran den USA und Israel, waren von diesem Zeitpunkt an von Widersprüchen geprägt. Während zu Deutschland und Frankreich solide Beziehungen gepflegt wurden, dauerten die Gegensätze mit den USA und Israel an. Heute lässt sich besser verstehen, dass derartige Differenzen in Szene gesetzt werden, um den eigenen Einfluss im Mittleren Osten zu stärken. Nach innen nimmt der Iran den »Feind von außen« zum Vorwand und sucht damit sein undemokratisches und despotisches System zu legitimieren.
Auf der anderen Seite wurden nach dem Niederwerfen der ersten kurdischen Republik von Mahabad (1946) die Spezialkriegsmethoden und die Vernichtungspolitik gegenüber ihren Nachfolgern in gleicher Härte fortgesetzt. Obwohl der iranische Staat die Verantwortung trägt für die von Sonderkommandos in Europa verübten Morde an zwei Vorsitzenden der Demokratischen Partei Kurdistan-Iran/PDK-I (am 13. Juli 1989 in Wien an Dr. Qasimlo und zweien seiner Begleiter, die sich auf Einladung der iranischen Regierung an einer Friedenskonferenz beteiligten, und am 13. September 1992 in Berlin an Dr. Sadiq Sherefkendi und dreien seiner Freunde), sind diese Taten ungestraft geblieben. Derartige Massaker wie auch die fortgesetzte Unterdrückung von KurdInnen im Iran hatten zur Folge, dass der Widerstandskampf für längere Zeit verstummte. Genauso wenig konnten die dort lebenden aserbaidschanischen, arabischen, belutschischen und anderen ebenfalls einer grausamen Assimilierungspolitik ausgesetzten Volksgruppen aktiven Widerstand leisten.
Angesichts der sich wandelnden Kräfteverhältnisse im Mittleren Osten erscheint die Fortsetzung einer solchen Politik durch das Iran-Regime schwer vorstellbar. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch die Machtbalance im Iran selbst nicht mehr wie bisher gewahrt werden kann, sind die anderen sich parallel zu den Entwicklungen im Mittleren Osten organisierenden Volks- und Oppositionsgruppen innerhalb des Landes, einschließlich der kurdischen Freiheitsbewegung, die große Unterstützung aus der Bevölkerung erfahren.
Angesichts dieser regionalen Veränderungen und der Eigendynamik und Organisierung im Land ist die Islamische Republik auf der Suche nach neuen Konzepten:
Autonomes Kurdistan – demokratischer Iran
Infolgedessen werden Unterdrückung, Folter, Hinrichtungen und eine Politik der Angst im Zeichen einer wahren Diktatur intensiviert. Die verschiedenen Volksgruppen werden gegeneinandergehetzt. Außerdem werden diverse regionale Krisen und Konflikte dazu missbraucht, ein schiitisch zentriertes Umfeld zu stärken. Damit wird bezweckt, einen Schutz gegenüber vermeintlichen Angriffen aufzubauen. Gleichzeitig wird der Öffentlichkeit mit den Atomverhandlungen das Bild eines kompromissbereiten, einsichtigen und lösungsorientierten Kurses vorgespiegelt. Darüber hinaus hat es sogar Äußerungen in Richtung einer Anerkennung des Staates Israel und des Holocaust gegeben. Während die Islamische Republik Iran gegenüber dem Westen politische Maskerade betreibt, verhält sie sich in der eigenen Region und nach innen wie eine typische Besatzungsmacht. Es hat den Anschein, als ob sich der Westen davon täuschen lässt und den Staatsterror ignoriert. Mit welchen Absichten oder aus welchen Gründen auch immer, die Folgen der aktuellen Innen- und Außenpolitik des Iran deuten darauf hin, dass er sein System auf die bisherige Art und Weise nicht bewahren kann. Zum ersten Mal hat die kurdische Freiheitsbewegung, welche die innere oppositionelle Dynamik anführt, einen derart hohen Organisierungsgrad erreicht, dass sie überall in Kurdistan präsent ist und von verschiedenen Kreisen unterstützt wird, wodurch sie auch in der Lage ist, allen Angriffen mit aktiver Verteidigung zu begegnen.
Dazu kommt, dass das Projekt »autonomes Kurdistan – demokratischer Iran« zu einem attraktiven und einigenden Konzept geworden ist. Auch wenn die kurdischen Parteien im Iran noch immer keine Einheit unter sich gebildet haben, unter der Führung der Partei für ein Freies Leben in Kurdistan (PJAK, 2004 gegründet) hat sich in der Bevölkerung mittlerweile eine starke Mobilisierung und Unterstützung entwickelt. In politischer und gesellschaftlicher wie auch in militärischer Hinsicht hat die kurdische Befreiungsbewegung große Schritte gemacht und dies mit dem KODAR-Modell vervollständigt (um die kurdische Frage im Iran auf dem Wege des Dialogs zu lösen, wurde mit dem Kongress für Demokratie und Freiheit in Ostkurdistan, KODAR, der Demokratische Konföderalismus proklamiert). Unter kurdischer Führung hat die Organisierung und Mobilisierung der Bevölkerung für eine Wende im Kräfteverhältnis sowie im politischen Diskurs gesorgt. Mit dem KODAR ist gleichzeitig das Thema der Beziehungen und Verhältnisse der KurdInnen im Iran untereinander von Neuem angestoßen worden. Um diese Entwicklungen und die Bestrebungen der anderen Volksgruppen im Iran auf eine gemeinsame politische Linie zu bringen und einen Demokratisierungsprozess voranzutreiben, stehen zahlreiche Bemühungen auf der Tagesordnung. Der KODAR kann dabei den verschiedenen gesellschaftlichen Kreisen im Kampf für Freiheit und Gleichberechtigung eine geeignete Plattform bieten.
Dialoggruppe Ostkurdistan ins Leben gerufen
Um zum einen auf die genannten Veränderungen in der Region und zum anderen auf die Entwicklungen im Iran besser vorbereitet zu sein, hat der Nationalkongress Kurdistan (KNK) vom 19. bis 20. Mai 2014 in Schweden eine »Ostkurdistan-Tagung« unter Beteiligung wichtiger Individuen und Parteien veranstaltet. Es konnten nicht alle bekannten Parteien aus Ostkurdistan teilnehmen, trotzdem war es möglich, eine wesentliche Präsenz zu realisieren. Neben der Strategie der nationalen Einheit war eines der Hauptthemen der Tagung die Rolle der KurdInnen angesichts der sich wandelnden Kräfteverhältnisse in Iran, Ostkurdistan und der gesamten Region.
Die Ostkurdistan-Tagung wurde in der kurdischen Öffentlichkeit positiv aufgenommen. Zudem wurde begrüßt, dass aus den Diskussionen eine »Dialoggruppe Ostkurdistan« resultiert, die eine Zusammenarbeit mit dem KNK fortsetzen wird. Wie sich in den letzten Entwicklungen des kurdischen Befreiungskampfes im Iran als auch auf der zweitägigen Tagung gezeigt hat, besteht Konsens darüber, dass die KurdInnen zu einem wesentlichen Akteur im Befreiungskampf gereift sind und die Demokratisierung des Iran eine unabdingbare Notwendigkeit für alle seine Volks- und Gesellschaftsgruppen darstellt. In diesem Kontext wurde die Lösung der kurdischen Frage als eine wesentliche Bedingung für Stabilität und Frieden verstanden. Außerdem haben die KurdInnen aufgrund ihres Kampfes sowie aus geostrategischen Gründen in der Region größeres Gewicht gewonnen. Dies ist der Hauptgrund, warum eine Politik, in der die KurdInnen keine Berücksichtigung finden, zum Scheitern verurteilt ist.
Iran will antikurdische Allianz reaktivieren
Deshalb ist verständlich, dass die Islamische Republik Iran gegen die Bestrebungen der kurdischen Bewegung, sich in Iran und Ostkurdistan noch stärker zu organisieren und zu einem bedeutenden politischen Akteur zu werden, an ihre alte antikurdische Bündnispolitik anzuknüpfen und die Beziehungen mit der Türkei, Syrien und Irak wieder aufzufrischen versucht. Mit der Absicht, einen Status für die KurdInnen zu verhindern, unterstützt sie in Syrien in einem Stellvertreterkrieg in widersprüchlicher Weise radikal-sunnitische islamistische Gruppen gegen die KurdInnen. In der Türkei sucht der Iran den Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan zu sabotieren. Im Irak erhofft er sich mit der Unterstützung der Al-Maliki-Regierung, seinen Einfluss noch weiter zu festigen. Zurzeit werden von ihm radikale terroristische Gruppen wie ISIS (Islamischer Staat in Irak und Syrien), die mit al-Qaida in Verbindung gebracht wird und deren Angriffe auf die Revolution in Rojava (Westkurdistan) andauern, heimlich unterstützt. Daneben wird die Existenz des Baath-Regimes gewährleistet, um Druck auf die KurdInnen auszuüben, weil eine erfolgreiche Autonomie in Rojava mit anerkanntem Status Auswirkungen auf die KurdInnen im eigenen Land hätte und ein Modell für sie darstellen könnte. Daher ist es verständlich, dass ein kurdischer Status, unabhängig davon, in welchem Teil Kurdistans, den Interessen des Iran widerspricht. Der steht massiv unter Druck, weil er quasi umzingelt ist und jederzeit Gefahr läuft, angegriffen zu werden, und daneben mit einem Wirtschaftsembargo konfrontiert ist. Um sich daraus zu befreien, ist eine Demokratisierung unumgänglich. Die undemokratische Politik gegenüber den KurdInnen und anderen Volksgruppen ist wesentliche Ursache dafür, dass er sein eigenes Ende herbeiführt.
Der Westen erhält mit seiner Politik die Islamische Republik aufrecht
Wie oben bereits angeführt, irrt die Islamische Republik Iran mit dem Versuch, kraft ihrer undemokratischen und despotischen Politik gegenüber den KurdInnen und allen anderen Volksgruppen ihre Existenz zu verlängern. Außerdem glaube ich nicht, dass ihre politischen Täuschungsmanöver zum Erfolg führen werden. Von Bedeutung ist jedoch, dass die Politik der westlichen Staaten diejenige des Iran hinsichtlich Heuchelei übertrifft. Diese Staaten wissen genau, dass die wahre Antriebskraft für die Demokratisierung des Iran in der inneren demokratischen Opposition und im Freiheitskampf der verschiedenen Volksgruppen liegt. Anstatt diese demokratischen Kräfte zu unterstützen, erhält der Westen mit seiner Politik die Islamische Republik aufrecht. Das illustriert nur die Tatsache, dass ein Konflikt zwischen beiden Seiten inszeniert ist.
Demnach verändern sich die Kräfteverhältnisse in der Region nicht nur zum Nachteil Irans, sondern auch zum Nachteil aller mit ihm kooperierenden Kräfte, die eine gemeinsame Politik betreiben. Die westlichen Staaten, die immer noch an ihrer Nationalstaatspolitik festhalten und auf Kosten der Rechte der Völker auf ihre eigenen ökonomischen, militärischen und diplomatischen Interessen pochen, verlieren die Möglichkeit, ihren Einfluss im Mittleren Osten weiterhin aufrechtzuerhalten. Das Beispiel der KurdInnen, die es mit ihrem Befreiungskampf in allen vier Teilen Kurdistans geschafft haben, ihre Unterdrückung abzuwenden, und eine Position erkämpft haben, in der sie selbst die Kräfteverhältnisse mitbestimmen, beweist, dass es im Hinblick auf ihre Rechte von nun an keine Umkehr mehr gibt.
Quelle: Kurdistan Report 174 | Juli/August 2014