Einladung zur Selbstreflektion: Was uns an der Berichterstattung zum „Kurdenfestival“ stört

Ein Kommentar von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 20.09.2017

„Die Deutschenführerin Angela Merkel ruht sich auf ihrem Vorsprung in den Umfragen vor Martin Schulz, der selbst gerne Deutschenführer werden will, nicht aus und führt weiterhin einen intensiven Wahlkampf.“

„O’zapft is – Das traditionelle Deutschenfest in München ist wieder eröffnet. Zu den auch als ‚Oktoberfest‘ bekannten Feierlichkeiten werden auch in diesem Jahr national wie international zehntausende Gäste erwartet.“

Es ist undenkbar, dass Meldungen in der oben genannten Form Eingang in die deutsche Medien finden, oder? Leider nicht ganz! In den letzten Tagen war zwar in den deutschen Tageblättern nicht von „Deutschenführer“ oder „Deutschenfest“ die Rede. Dafür konnte man zuhauf von „Kurdenführer“ und „Kurdenfest“ lesen.

Die Öcalan-Bilder auf dem „Kurdenfest“

Der Anlass für die Berichterstattung war das vom „Demokratischen Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland“ (NAV-DEM) organisierte 25. Internationale Kurdische Kulturfestival in Köln. Das Festival fand im Schatten skandalöser Auflagen der Kölner Ordnungsbehörden statt. So wurde auf dem Gelände der Veranstaltung das Verkaufen, ja sogar das kostenlose Verteilen von Essen und Trinken untersagt. Die Organisatoren sprachen von bewusster Schikane durch die Stadt und die Polizei ((Siehe hierzu die Erklärung von NAV-DEM: https://civaka-azad.org/trotz-schikanen-der-stadt-koeln-erfolgreicher-verlauf-des-25-internationalen-kurdischen-kulturfestivals/)). Das skandalöse Lebensmittelverbot schaffte es allerdings kaum in die deutschsprachigen Medien. Auch kaum berichtet wurde, dass zehntausende Menschen aus ganz Deutschland und Europa an diesem Tag am Festival teilnahmen. Stattdessen berichteten die Lokalmedien zunächst von einer verletzten Polizistin, die bei dem Versuch einer Festnahme umgestoßen worden sein soll. Trotz dessen, das das Festival ansonsten völlig friedlich ablief, reichte diese Meldung doch aus, um zumindest das Klischee der „gewaltbereiten Chaos-Kurden“ in das Gedächtnis der Öffentlichkeit zurückzurufen.

Doch erst wirklichen Eingang in die Medien schaffte es das Festival durch „Schützenhilfe“ aus Ankara, nämlich nachdem der deutsche Botschafter ins türkische Außenministerium zitiert wurde. Prompt tauchten Schlagzeilen wie „Kurdenfest: Türkei bestellt deutschen Botschafter ein“ (heute.de, 17.09.) in den deutschen Medien auf. Erbost sei die Türkei wegen den Bildern des „Kurdenführers“ – manchmal auch als „PKK-Führer“ bezeichnet – Abdullah Öcalan, die auf dem Fest gezeigt worden seien.

Der Orientalismus in der Berichterstattung zum Thema „Kurden“

Wir wollen an dieser Stelle keine Sprachanalyse über die Berichterstattung zu diesem Fall aufmachen. Das würde den Rahmen sprengen und wäre vielleicht eher eine interessante Herausforderung für Medienwissenschaftler. Doch selbst ohne tiefgreifende Analyse ist mit bloßem Auge zu erkennen, dass wir es mit einem unreflektierten Sprachgebrauch deutscher Journalisten zu tun haben, wenn es um das Thema „Kurden“ geht. Wir müssen nicht weiter ausführen, welche Konnotationen in der deutschen Öffentlichkeit der Begriff „Führer“ herbeiruft. Wenn nun das Bundesinnenministerium das PKK-Verbot „konkretisieren“ will und das Bild von Abdullah Öcalan völlig aus der Öffentlichkeit tilgen will, dann wird mit einer Berichterstattung wie dieser eben die Legitimation für eine Ausweitung der Kriminalisierungspolitik geschaffen. Denn wer will denn ernsthaft in Deutschland das Bild eines „Führers“ in der Öffentlichkeit sehen!? Dass Abdullah Öcalan Repräsentant einer Bewegung ist, die seit über 30 Jahren für die Anerkennung einer entrechteten und verleugneten Gesellschaft kämpft; dass er Ideengeber für ein demokratisches, antinationales und auf Frauenbefreiung basierendes Gesellschaftsmodell ist, das derzeit im Norden Syriens realisiert wird; dass er ein politischer Gefangener ist, der seit 1999 unter totalen Isolationsbedingungen festgehalten wird und für dessen Freiheit nachweislich über 10 Millionen Menschen eintreten ((https://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/erklaerungen/2015/02/04.htm)); all das ist dank der genannten Berichterstattung dann kaum noch von Gewicht.

Zum „Kurdenfest“ wollen wir an dieser Stelle gar nicht viel mehr sagen, als dass dieselben Redaktionen, die diese Begrifflichkeit in ihren Artikeln nutzten, wohl kaum von einem „Türkenfest“ oder gar „Deutschenfest“ gesprochen hätten. Ohne den jeweiligen Journalisten zu nah treten zu wollen, Begriffskonstellationen wie „Kurdenfest“ haben einen orientalischen, ja gar rassistischen Beigeschmack. Man könnte stattdessen einfach das Festival bei seinem Namen nennen. Wem „Internationales Kurdisches Kulturfestival“ zu lang für die Schlagzeile ist, könnte zur Not nur „Kurdisches Kulturfestival“ schreiben. Befremdlich (und orientalistisch) ist es auch, dass es kaum von journalistischem Interesse zu sein scheint, über die Ereignisse im Nachgang des Festivals Mal mit den Organisatoren zu sprechen. Es wird zwar munter über „die Kurden“ berichtet. Sie selbst  zu Wort kommen zu lassen, ist aber wohl weniger von Belang.

Aus diesen Gründen möchten wir unseren journalistischen Kollegen zum Schluss nahelegen, das von ihnen verwendete Vokabular in ihren Berichten über die „Kurden“ zumindest einmal kritisch zu reflektieren. Falls es weiteren Gesprächsbedarf zu diesem Thema gibt, nehmen Sie Kontakt mit uns auf.