Seit Samstag bombardiert die Türkei erneut zivile Infrastruktur der Demokratischen Selbstverwaltung in der Region Nord- und Ostsyrien (auch Rojava genannt). Laut Behörden der Autonomieregion wurden bei den bisherigen Angriffen acht Menschen getötet und zwölf verletzt, elf von ihnen allein am Montag. Die türkische Luftwaffe griff Energieversorgungseinrichtungen, Ölraffinerien, Tankstellen, Industrieanlagen, Gewerbebetriebe, einen Bahnhof, ein Krankenhaus und zahlreiche Dörfer mit Drohnen und Kampfflugzeugen an.
Die Türkei hat ihre Serie von Luftangriffen auf den Nordosten Syriens auch am Montagabend fortgesetzt. Nach Angaben des Energiekomitees der Demokratischen Selbstverwaltung brach nach einem Drohnenangriff am östlichen Stadtrand von Qamişlo ein Feuer an einer Tankstelle aus. Menschen seien offenbar nicht verletzt worden, das Feuer sei inzwischen unter Kontrolle, hieß es.
Zwei weitere Drohnenangriffe trafen die medizinische Infrastruktur in Qamişlo. Getroffen wurden ein Dialysezentrum sowie eine Abfüllanlage für medizinischen Sauerstoff. Beide Einrichtungen befinden sich auf dem Gelände des Krankenhauses Covid 19.
„Internationale Staatengemeinschaft muss Türkei stoppen“
Die Demokratische Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens hat sich gestern schriftlich zu den jüngsten Angriffen der Türkei geäußert und die internationale Gemeinschaft aufgefordert, diese Angriffe als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen einzustufen und die Verantwortlichen entsprechend zu bestrafen. Bei einer Pressekonferenz des Exekutivrats der Selbstverwaltung am Montag wurde ein scharfer Ton angeschlagen. Die Erklärung wurde vom Ko-Vorsitzenden des Gremiums, Hisên Osman, verlesen. Darin heißt es unter anderem:
„Seit nunmehr zehn Jahren verfolgt die Türkei ihre Vernichtungsabsichten in unseren Regionen und stiftet Chaos. Allein die letzten drei Monate sind gekennzeichnet vom türkischen Staatsterror: permanente Angriffe auf Wohngebiete, Infrastruktur, Ölfelder und kommunale Dienstleistungseinrichtungen. Es sind jene Einrichtungen, die bereits im Oktober von der Türkei bombardiert wurden, und dennoch versuchen, öffentliche Dienstleistungen für die Bevölkerung zu erbringen und die durch Krieg und Embargo verursachte Belastung der Menschen zu lindern.
Wir, die Demokratische Selbstverwaltung in der Region Nord- und Ostsyrien, verurteilen die Angriffe des türkischen Staates auf unsere Gebiete, unsere Bevölkerung und unsere Infrastruktur. Diese Angriffe verursachen humanitäres Leid und haben auch schwere wirtschaftliche Folgen. Darüber hinaus bedrohen sie die Bemühungen zur Friedenssicherung und den Kampf gegen den Terrorismus. Wir fordern daher die Vereinten Nationen sowie alle einschlägigen Menschenrechtsgremien und -organisationen auf, eine klare Position gegen diese Angriffe zu beziehen, die den Frieden und die Sicherheit von Millionen von Menschen bedrohen, und ihren politischen, moralischen und humanitären Pflichten gegenüber der Bevölkerung Nord- und Ostsyriens nachzukommen.“
„Vergeltungsangriffe“ unter Hinweis auf UN-Charta
Die Türkei hat am Samstagabend eine neue Welle von Luftangriffen gegen die Demokratische Selbstverwaltung in der Region Nord- und Ostsyrien gestartet. Zunächst wurden Energieversorgungsanlagen in Tirbespiyê und Dêrik bombardiert, vielerorts brach die Stromversorgung zusammen. Mittlerweile stehen auch Qamişlo, Amûdê, die nicht vollständig besetzte Kleinstadt Şêrawa bei Efrîn sowie Kobanê im Fokus der Angriffe. Laut Ankara sind die Angriffe als „Vergeltung“ für den Tod mehrerer Soldaten gedacht, die bei „grenzüberschreitenden Operationen“ der türkischen Armee im Irak von der kurdischen Guerilla getötet wurden. Die Türkei rechtfertigt ihren Staatsterror in Nord- und Ostsyrien mit dem Verweis auf Artikel 51 der UN-Charta, der das Selbstverteidigungsrecht eines Landes regelt.